Seiten

Donnerstag, 26. Oktober 2017

"Stuttgart liest ein Buch" - auch die Pfarrer der City-Kirchen

Zum dritten Mal war das Festival "Stuttgart liest ein Buch" am 25. Oktober in der Hospitalkirche zu Gast. Es ist schon guter Brauch, dass auch die Pfarrer der City-Kirchen das Buch lesen bzw. darüber sprechen, um das sich in diesen Wochen alles dreht. "Nachts ist es leise in Teheran aus theologischer Sicht" hieß die Veranstaltung in dem seit März sanierten Gotteshaus beim Evangelischen Bildungstentrum. Dass auch Pfarrer lesen, ist nicht neu. Neu aber war durchaus der eine oder andere Aspekt, den sie im Gespräch zum Thema beitragen konnten. Die iranischstämmige Autorin Shida Bazyar aus Hermeskeil hat zwar, wie Astrid Braun, Geschäftsführerin des veranstaltenden Stuttgarter Schriftstellerhauses, betont, keinen autobiografischen Roman geschrieben. Doch sie hat einen exemplarischen, sehr poetischen und zugleich politischen Roman über die Flucht aus dem Iran der Ayatollahs und die Geschichten vieler Iraner in Deutschland geschrieben. Diese Vielfalt bündelt sich in vier Stimmen, die sich bei der Erzählperspektive über vier Jahrzehnte hin abwechseln. Die vier Geistlichen sprachen über jeweils eine dieser Stimmen aus ihrer Sicht.

Pfarrer Eberhard Schwarz
1979 Behsad war das Kapitel, über welches Eberhard Schwarz sprach. Der Pfarrer der Hospitalkirche fühlt sich am ehesten der Altersgruppe des Vaters Behsad zugehörig. Als in Teheran die Revolution ausbricht und der Schah verjagt wird, ist der hoch gebildete Lehrer und kommunistische Aktivist einer von denen, die einen modernen, besseren Iran wollen. Doch dann frisst die "islamische Revolution" des Ayatollah Khomeini die politische Revolution naiver Weltverbesserer. "Die Islamisten sind einfach besser im Volk vernetzt und können einen Staat organisieren". Als sein bester Freund durch den Gottesstaat verhaftet und im Gefängnis ermordet wird, beschließt Behsad mit seiner Familie die Flucht nach Deutschland. Er scheitert, rettet aber die Familie.



Pfarrer Christoph Doll
1989 Nahid setzt den Roman aus Sicht der Mutter fort. Über diese Lektüre sprach der katholische Pfarrer Christoph Doll von St. Eberhard. Die Flucht selbst, von der heimlichen Vorbereitung bis zum Ankommen bei den freundlichen, aber seltsamen Nachbarn Walter und Ulla. Da zeigt sich Integration als Aufgabe für beide Seiten. Deutschland wird als Ziel aller kulturellen Sehnsüchte entzaubert, Kontraste zeigen sich zwischen verschiedenen Werten und Denksystemen. "Was ist meine Identität?", fragt sich die gebildete und erfolgreiche Ärztin, die auch viel gut gemeinten Unsinn und zahlreiche Klischees erlebt. Wenigstens sollen die Kinder sich waschen, wenn sie Hunde gestreichelt haben.




Monika Renninger
1999 Laleh ist das Kapitel der Tochter. Daraus las Monika Renninger einen Ausschnitt über die Vorbereitungen zu einem Besuch von Mutter und Tochter bei der zahlreichen Verwandtschaft in Teheran. Die Leiterin des Evangelischen Bildungszentrums Hospitalhof hob die Rolle der Tochter hervor, die extrem zwischen zwei grundverschiedenen Welten hin- und hergerissen ist. Die Welt des fremdartigen Gottesstaates, in dem die Frauen sich vor den Blicken der Männer verhüllen müssen, und die Welt der Frauen, die sich trickreich immer mehr kleine Freiheiten ertrotzen. Teherans öffentliche Welt und die private Welt hinter der Haustür mit einer großen Liebe zu Schönheit, Kosmetik, Poesie und Musik. Dennoch: Laleh fühlt sich in Deutschland sicherer und wohler.



Matthias Vosseler
2009 Mo erzählt von Lalehs jüngerem Bruder Mo. Über dieses Kapitel aus der Sicht des "coolen Typs" sprach Pfarrer Matthias Vosseler von der Stiftskirche. Mo ist bei Facebook und Youtube aktiv, hat Freunde in der westlichen wie der islamischen Welt. Seine Kumpels in Deutschland, seine Studentenbude, seine Interessen für Musik und Politik zeigen ihn aufgeschlossen, offen. Der engagierte Demokraten nimmt an der "grünen Revolution" der Studenten gegen das erzkonservative Regime von Mahmud  Ahmadinedschad großen Anteil. Aber noch ist der Islam im Iran intolerant und fremd. So ist Religion nicht attraktiv für junge Leute mit Sehnsucht nach Freiheit.

Nach einer guten Stunde ging das Gespräch der Theologen in einen Dialog mit dem Publikum über. Natürlich hat hier niemand über einen religiösen oder antireligiösen Roman gesprochen, den Shida Bazyar mit "Nachts ist es leise in Teheran" auch nicht geschrieben hat. Doch es wurde auch gefragt, was man denn aus theologischer Sicht mitnehmen könne. "Vielleicht unsere fragmentierte Existenz, die es mit mit all ihren Brüchen anzunehmen gilt und die auch Gott annimmt", meinte Eberhard Schwarz. Die einen sahen vor allem den gescheiterten kommunistischen Revolutionär Behsad als traurige Figur, andere aber fanden ihn abgeklärt und altersweise in seinem deutschen Exil.  Religion gehört zum Leben, wenn auch nicht immer als heilende, sondern auch als verletzende Kraft. Die Mehrstimmigkeit in Shida Bazyars Roman enthält so viel Offenheit für Kommendes, so viel Humor und Wärme, dass es auch deshalb sicher gut war, an diesem Ort über ihr Buch zu sprechen.



Keine Kommentare: