Seiten

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Die syrische Autorin Wajiha Said bei "Stuttgart liest ein Buch"

Wajiha Said in Bad Cannstatt
Friederike Weltzien, Michael Seehoff, Wahjiha Said, Christa Lippelt
In Stuttgart Bad Cannstatt leben zu über 60 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Da war es nur natürlich, dass die Canstatter Stadtteilbibliothek ein Buch der syrisch-kurdischen Schriftstellerin Wajiha Said vorstellte, die am 24. Oktober zum Festival "Stuttgart liest ein Buch" kam. Frau Said beschreibt ein ähnliches Schicksal wie die Protagonistin in dem Roman "Nachts ist es leise in Teheran" von der Hermeskeiler Deutsch-Iranerin Shida Bazyar. Nur ist Saids Buch kein Roman, eher eine orientalische Mischung aus Dokumentation, Lyrik, Reportage und Erzählung. In jedem Fall hat "Stuttgart liest ein Buch" mit dieser Auswahl den Horizont erweitert: Zum einen kam das aktuelle Schicksal der Kurden ins Blickfeld, zum anderen die Situation syrischer Flüchtlinge in Stuttgart. Von denen waren auch etliche gekommen, um Wajiha Said zu hören, die mit ihrer Familie sechs Länder auf der Flucht vor dem Assad-Regime durchquert hat und nun in Weinstadt lebt.
"Durchreisen" heißt denn auch ihr Buch mit Fluchterinnerungen, die auf Arabisch und Deutsch zu hören waren. Sie hat bereits 13 Bücher geschrieben, darunter eines über die Lage syrischer Frauen und eins über politische Häftlinge in ihrem Land. Nach mehreren Verhören durch den Geheimdienst Assads und Morddrohungen in ihrer nordsyrischen Heimatstadt Al-Hasaka beschloss die Familie zu fliehen. Durch den Irak ging es in die Türkei und von dort über Bulgarien, Albanien, Kroatien und Österreich nach Südwestdeutschland, wo sie Aufnahme in einer Flüchtlingsunterunft fand. Unter diesen Bedingungen zu schreiben, ist extrem - ebenso extrem wie das, was die Autorin auf der Flucht erlebt hat. Auf die Frage des Moderators Michael Seehoff, ob sie unterwegs erneut gewaltsame Übergriffe erlebt habe, antwortete die kleine Frau: "Auch während der Flucht wandert die Gewalt erst einmal mit." Die Lesung war vorbereitet von der Pfarrerin und Übersetzerin Friederike Weltzien (ganz links im Bild), und die deutsche Stimme von Wajiha Said war Christa Lippelt (ganz rechts).

Souyar (mit Saz) und Sängerin Lounar Said
Die musikalische Sprache der studierten Arabisch-Lehrerin zu hören, war auch ohne Sprachkenntnisse eine Freude. Kurdisch im Unterricht oder in der Öffentlichkeit zu sprechen ist in ihrer Heimat verboten, wie früher (und vielleicht bald wieder?) in der Türkei. Geschrieben hat sie daher immer schon auf Arabisch. Gewidmet ist ihr Buch den kurdischen Opfern der gewaltsamen Zusammenstöße in ihrer Heimatregion, für die es viel Verständnis im einst geteilten Deutschland gibt. Die Kurden leben als vierfach geteiltes Volk in Syrien, Irak, Iran und Türkei. Saids Sohn Souyar und ihre Tochter Lounar begleiteten den poetisch-politischen Abend mit kurdischen Liedern voller Heimweh und Patriotismus. Die musikalisch begabten Kinder gehen noch in BAMF-Kurse und besuchen Vorbereitungsklassen einer weiterführenden Schule. Sie lernen intensiv Deutsch wie ihre schreibende Mutter, aber das alles braucht einfach Zeit. Deutsch ist zwar die Sprache der Dichter und Denker, aber gerade darum nicht nur attraktiv für Menschen, die bleiben wollen, sondern auch sauschwer. So erleben es viele Flüchtlinge, denen auch der Autor dieser Zeilen als ehrenamtlicher Lehrer im ehemaligen Bürgerhospital begegnet. Noch ist die deutsche Übersetzung von Wajiha Saids "Durchreisen" nicht fertig. Es fehlen noch einige Kapitel, es fehlt vielleicht auch noch ein Lektorat, es fehlt vor allem noch ein deutschsprachiger Verlag. Bisher liegt das Buch auf Arabisch vor, andere Ausgaben sind geplant. Aber einen Verlag zu finden ist hierzulande schwer, und so konnte man hier ein Werk im Entstehen beobachten.

Wajiha Said mit ihrer Familie und Michael Seehoff
Wajiha Said ist mit ihrem "work in progress" dennoch schon in ganz Europa unterwegs - mit einem engagierten mündlichen Vortrag - und möglichst immer unterstützt von ihrem Mann und ihren Kindern. Die kleine Frau ist ein charmantes Energiebündel und wird ihren Weg ganz sicher machen. Alexandra Kirchner von der Stadtteilbibliothek Bad Cannstatt hat ihr auf Vermittlung von Michael Seehoff mit ihrem Team schon einmal einen warmherzigen Empfang bereitet. Interkulturelle Erfahrung hat man hier wirklich zur Genüge. Nach der Lesung konnte man sich bei Häppchen und Getränken im Gespräch noch persönlich kennen lernen und Fragen stellen. Auch das kleine Büffett hatte das ebenso freundliche wie kompetente Bibliotheks-Team passend bestückt.











Keine Kommentare: