Seiten

Montag, 5. Juni 2017

Erotik und Feminismus

Euardo Galeano: Frauen. Peter Hammer Verlag Wuppertal, 216 S., 22 €

Eduardo Galeano (1940 - 2015), der große linke Schriftsteller und Kolumnist aus Montevideo (Uruguay), hatte es mit der Ausbeutung von Land und Leuten Lateinamerikas durch Conquistadoren, Konzerne und Diktatoren. Er hatte es auch mit dem Gesellschaftsspiegel Fußball - und mit den Frauen. Historischen Frauengestalten und solche, die es noch werden können, beschreibt er in seinen unachahmlichen Miniaturen immer wieder: von Sheherazade in 1001 Nacht, die er zu Recht als "Mutter aller Geschichtenerzähler" rühmt, bis hin zu der Tänzerin Josephine Baker, großen Figuren der Bibel, der Thora und des Korans, bis hin zu der Schauspielerin Rita Hayworth, der schwarzen Sklavin und Geliebten des US-Präsidenten Thomas Jefferson oder der unbekannten Marketenderin der mexikanischen Revolution. Die kurzen Geschichten für die Lektüre zwischendurch behandeln den Skandal der Mädchenbeschneidung, die freie Erotik karibischer Schönheiten und die verfolgte Intelligenz bei Theresia von Avila, Hildegard von Bingen oder Johanna der Wahnsinnigen. 
Galeano zeigt Frauen als Opfer religiöser Vorurteile, mythischer Ängste und politischer Diskriminierung in allen Teilen der Welt, vor deren selbstbestimmter sexueller Lust und Freiheit verklemmte Männer, von den Autoren des "Hexenhammers" bis zu den Predigern weiblicher Verhüllung unter islamischen Fundamentalisten, eine Riesenangst haben. Er preist Frauen als selbstlose Opfer der Wissenschaft wie Marie Curie oder als Märtyrerinnen der Menschenrechte - egal ob bei Indios in Guatemala oder Politikern der französischen Revolution. 
Galeano, der Großmeister der historischen Bildung in Pillenform wie in "Zeit, die spricht" oder "Fast eine Weltgeschichte", hat wieder zugeschlagen: ein wunderbares, ein wichtiges Buch - nicht nur für Freunde des Feminismus und der erotischen Freiheit.

Sonntag, 4. Juni 2017

Thomas Zehetmair feiert die Mutter aller Violinkonzerte

Am 01./02. Juni spielte das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Philippe Herreweghe sein 9. Abo-Konzert in der Liederhalle. Im Zentrum des Abends stand Ludwig van Beethovens (einziges) großes Violinkonzert D-Dur, so etwas wie die „Mutter aller Violinkonzerte“. Solist war
dabei Thomas Zehetmair. Der vielfach preisgekrönte Salzburger Virtuose leitet seit dem Herbst 2016 auch das Musikkollegium Winterthur. Und was der 50jährige als Spezialist für Mozart und Paganini, der 2009 Beethovens Violinkonzert bei Philipps Classics eingespielt hat, damit anstellte, war schlicht atemberaubend. Auch für Beethovenkenner, die dieses
schon oft gehört haben, waren überrascht von der Gefühlsintensität, Präsenz und technischen Brillanz des Solisten, der Beethovens Klavierfassung seines eigenen Konzerts als Kadenz spielte, als sei Beethoven anders nicht zu interpretieren. Die inspirierte Arbeit des Komponisten fand in Zehetmair einen kongenialen Interpreten.
Dieses Violinkonzert ist 41 Minuten lang, gilt als Prototyp seiner Gattung und hat deren Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Das Charkteristische, damals Neue ist die komplexe Verbindung von Einflüssen des Virtuosenkonzerts mit sinfonischen Elementen. Es war aber den meisten Solisten zu schwer und bot ihnen gleichzeitig zu wenig Gelegenheit, als Virtuose zu glänzen. Unglaublich, aber histofisch wahr. Aber seit Zehtmair gelten andere Maßstäbe.
Mit diesem Konzert begann übrigens auch die späte Freundschaft zwischen Schumann und Joseph Joachim. Der berühmte Geiger spielte es im Mai 1853 beim Niederrheinischen Musikfestival in Düsseldorf, das Schumann mitgestaltete. Joachim regte an, Schumann möge doch auch so etwas für Violinisten schreiben. Und tatsächlich ließ sich der dadurch zu seiner Fantasie für Violine und Orchester op. 131 und dem Violinkonzert WoO 1 anregen.
Eingerahmt wurde Beethoven durch die „Manfred“-Ouvertüre und die Sinfonie Nr. 2 C-Dur von Robert Schumann. Die Ouvertüre zur Schauspielmusik zu Lord Byrons dramatischem Gedicht „Manfred“ aus dem Revolutionsjahr 1848 leitete den Abend ein, obwohl sie ein Spätwerk ist. Denn sie zeigt eindrucksvoll die starke literarische Prägung Schumanns durch seinen Vater, der Buchhändler war. Sie ist hier besonders deutlich zu hören.
Schumanns Sinfonie Nr. 2 C-Dur bildete den Abschluss. Die Suche des Komponisten nach der „Wahrheit des Ausdrucks“ hat seine Frau Clara Wieck hier besonders geliebt, „weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken". Es entstand 1844 mitten in einer Depression, durch die sich der Komponist aber noch einmal zurück ans Licht kämpfte.
Der Dirigent war Philipp Herreweghe aus dem belgischen Gent (Jahrgang 1947). Der studierte Musiker und Psychiater gilt als vielseitiger Spezialist für historische Aufführungspraxis und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Seit 1997 ist er Hauptdirigent der Königlichen Philharmonie von Flandern und ein gefragter Gastdirigent – unter anderem beim Mahler Chamber Orchestra in Berlin, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem Concertgebouw-Orkest Amsterdam. Seine Interpretation von Beethoven und Schubert zeigte Seelenverwandtschaften. Nach einigen Minuten irrituerenden arhythmischen Gefuchtels zu Beginn der Mannfred-Ouvertüre zeigte sich, dass der Verzicht auf den Taktstock Sinn hatte: Herreweghe hat unglaublich sensibel sprechende Hände.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Warum Angela Merkel kein Fels in der Brandung ist

Kleine Wutrede an Deutschlands Intellektuelle


Das Wegschauen hat bei uns Tradition - sogar bei Intellektuellen. Ich war am Wochenende bei lieben Freunden von Rüdiger Safranski und Cees Noteboom zu Gast und musste schockiert hören, dass viele "Altlinke" heute CDU wählen (angeblich "nur vorübergehend"), weil sie Martin Schulz und der SPD immer noch nicht wieder trauen, die Grünen als Romantiker verachten und die Linke wegen ihrer Ablehnung einer NATO für unwählbar halten, die so stabile "Partner" wie Erdogan und Trump hat. Mama Merkel ist für diese Leute ein "Fels in der Brandung" der großen Instabilität durch Populisten, Terror, Identitätsverlust und Flüchtlingsströme. 
Was für arme Menschen brauchen Merkel für ihre Identität! Sie schiebt Afghanen in den Bürgerkrieg ab und paktiert mit lauter Verbrechern, um uns Afrika und Asien vom Leib zu halten, wo deutsche Waffenexporte helfen, die Menschen zu vertreiben. Aber sie hat EINMAL ein menschliches Gesicht gezeigt und Orban die Stirn geboten - völlig planlos, ohne Absprache und nur aus dem Bauch heraus - und soll jetzt wie Willy Brandt mit seinem Warschauer Kniefall heilig gesprochen werden. Dabei hat die Mutter unserer Sicherheit die Wehrpflicht abgeschafft, den Bundesgrenzschutz eingespart und 15 000 Stellen bei der Polizei gestrichen. 
Sie erzählt, "Deutschland geht es gut" und vergisst beharrlich jene 40 Prozent, für die das nicht zutrifft: Rentner (nicht Pensionäre!), Alleinerziehende, Zeit- und Teilzeitarbeiter, die Millionen prekär und befristet Beschäftigten, Aufstocker, Hartz IV-Bezieher und Niedriglöhner. Sie weigert sich seit Jahren, ohne Wenn und Aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, das die schleichende Steuerprogression für verfassungswidrig erklärt hat. Sie hält sich einen Finanzminister, der Europa kaputtspart und gemeinsam mit Herrn Draghi die kleinen Sparer enteignet, um so ganz nebenbei die Staatsverschuldung ohne Beitrag der Multimillionäre und Milliardäre abzubauen, die Folgen der Finanzkrise auf die kleinen Leute abzuwälzen und deren Urheber zu schützen. Sie stützt einen an völlig unfähigen Innenminister und eine Verteidigungsministerin, die unsere Armee kräftig zu ruinieren hilft. 
Sie hat nach Fukushima - ebenso im Alleingang und miserabel vorbereitet wie bei ihrer Aktion für die Flüchtlinge - die Energiewende eingeleitet und knickt seitdem bei allen Seilschaften ein, die saubere Autos, saubere Luft und saubere Energie oder ein solidarisches, bezahlbares Sozialsystem verhindern wollen. Sie hält an einer Patientenkarte fest, die den Krankenkassen ein Milliardendefizit beschert und Patientendaten ungefähr so gut schützt wie eine Postkarte. Gesundheitsminister Gröhe tut praktisch nichts gegen gefälschte, teils lebensgefährliche Medikamente und erlaubt der Pharmaindustrie weiterhin, ihre Preise in Deutschland selbst festzusetzen, was in der ganzen Welt einmalig ist. Dafür stranguliert er die Krankenhäuser finanziell durch nicht kostendeckende "Fallpauschalen". Sie hält an einem Agrarminister fest, der uns mit Gift und Gentechnik von Monsanto geglücken möchte, der Qualzucht und Massentierhaltung propagiert und für eine nachhaltige Landwirtschaft ungefähr so aktiv ist wie der Maut-Verkehrsminister Dobrindt für einen ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvollen Verkehr. Der baut lieber in Muttis Auftrag den Irrsinn Stuttgart 21 und privatisiert die von uns Steuerzahlern finanzierten Autobahnen. 
So viel zum "Fels in der Brandung" Angela Merkel und zum Stabilitätsverständnis deutscher Intellektueller! Wenn die schon so ein schlechtes Gedächtnis haben, wie sollen dann erst einfache Gemüter wählen? Nein, Frau Merkel ist kein Fels in der Brandung, sondern eine Katastrophe für Deutschland. Leute, mir wird schlecht... Die Gastgeberin fragte nach meinem Lieblingsautor. Ich habe viele, nannte aber nur Heinrich Heine: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht".