Gestern war wieder Premiere beim Opern-Festival "Rossini in Wildbad":
"Demetrio e Polibio" aus dem Jahr 1812 mit einem unglaublich dämlichen
Libretto von Vincenzina Viganò Mombelli und in einer armseligen
Inszenierung von Nicola Berloffa, aber wahnsinnig schöne Musik im frisch
& schön restaurierten kleinen königlichen Kurtheater von Bad
Wildbad im Schwarzwald. Eine der verdienstvollen Rekonstruktionen aus den Archiven, die Wildbad-Intendant Jochen Schönleber mit schöner Regelmäßigkeit schafft.
Das linke Bild zeigt den Dirigenten Luciano
Acocella, eingerahmt von den Solisten: links mit roter Krawatte die
gereifte, souveräne Mezzosopranistin Victoria Yarovaya in der Hosenrolle
des Siveno (Sohn des Demetrius und Ziehsohn des Partherkönigs Polibio),
neben dem Tenor César Arrideta in der Rolle des Eumene alias Demetrius
incognito. Rechts des Dirigenten die phantastische Sopranistin Sofia
Mschedlishvili als Lisinga, Polibios Tochter und frisch angetraute Frau
von dessen Ziehsohn Siveno (also Demetrius junior, wie sich am Ende
herausstellt).
Auf dem Bild rechts erkennt man etwas von der barocken
Innenarchitektur und der intimen Enge des Opernhäuschens mit rund 160
Plätzen inklusive Balustrade. Die Akustik dieser (aller!) hölzernen
Barocktheater ist irgendwie dumpf und trocken im Vergleich zu heutigen
Opernhäusern, aber echt. Luciano Acocella leitete das großartig
aufgelegte Stamm-Orchester des Festivals, die Virtuosi Brunensis (Brünn)
und den Camerata Bach Chor Poznan (Posen). Die Tschechen waren vor
vielen Jahren eigentlich bloß als billige Notlösung gedacht, haben sich
aber als professionelle Partner etabliert, auf die man stolz sein kann.
Nur zu Beginn kam das Orchester noch etwas steif und stakkatohaft daher, nahm aber bald Fahrt auf beim Eingrooven auf Tempi und Rhythmen.
Kritik gibt es nur an der phantasielosen, statischen Inszenierung der
Kammeroper mit wenig Personal, am dürftigen Bühnenbild (wieso bitte ist
ein Schlafzimmer ohne Bett wie ein Wartezimmer eingerichtet?) und an den
Kostümen, d.h. Einheits-Uniformen für alle außer der jungen Ehefrau
Lisinga. Unnötig einfallslos. Bis auf den Tenor Arrieta, der
gelegentlich bei Höhen und Tiefen schwächelte, waren alle Solisten
großartig - vor allem unter den Bässen ist so einer wie Lucca Dall´Amico
(Polibio) ein Solitär: kein einziges Schwimmen, kein unnötiges
Verschleifen der unteren und oberen Tonlagen in den Arien. Mit solchen
Sängern geraten auch Duette, Terzette und Quartette zum reinen
Hörgenuss. Der Maestro Compositore hätte seine Freude daran gehabt!
Und,
um die platte Story nicht ganz unerwähnt zu lassen: Es geht um
Demetrius, der seinen Sohn Sivenio alias Demetrius jr. vom Hof des
Königs Polibio zurückholen will, wo er in Unkenntnis der
tritt der als sein eigener Botschafter (Hä?!) verkleidete
Vater mit Waffengeschenken (?!) auf den Plan und gerät gleich nach Art orientalischer
Despoten mit dem Ziehvater und Kollegen aneinander, der sich ebenso als
dämlicher Macho und notorischer Säbelrassler zeigt wie der für einen erwachsenen Sohn viel zu junge
Demetrius. Es folgen: ein diplomatischer Eklat, die irrtümiche
Entführung von Sivenos Frau Lisinga statt Siveno, ein Geiseltausch im
Wald, die ebenso unnötigen wie damals üblichen Orgien in Selbstmitleid
und Verfluchungen sowie schließlich die reichlich späte Klärung der
unnötigen Verkleidungs- und Verwechslungsgeschichte mit Rührung,
Versöhnung und Hurrapatriotismus. Ein Klischee des Orientalismus im 19.
Jahrhundert jagt das nächste, von psychologischer Rollenführung oder gar
einer glaubwürigen aktuellen Charaktergestaltung keine Spur. Aber so
war das halt damals, und eine historisch korrekte Aufführung ist für
Wildbads Vorreiterrolle beim Wiederentdecken alter Opern allemal
wichtiger als der moderne Zeitgeschmack. Eine Steilvorlage für nachfolgende Inzenierungen.
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