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Freitag, 8. Juli 2016

Großartig: Mozarts "Idomeneo" mit Flüchtlingen in Ludwigsburg

So sehen glückliche Künstler aus: Das "Idomeneo"-Ensemble von Ludwigsburg (Foto: Sebastian Marincolo)

Mozart im Jahr 2016: Die Oper "Idomeneo" kommt heute bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen als aktuelle Neuproduktion mit dem Verein "Zuflucht Kultur", dem Philharmonia Chor Stuttgart und dem BandArt Orchester auf die Bühne. Alle Hauptfiguren erleben eine Welt aus den Fugen und die Ungeheuerlichkeit der Zumutung eines "Weiter so!".
Was der Trojanische Krieg Mozart, war dem Regisseur Bernd Schmitt der syrische Bürgerkrieg. Dies und die Flucht übers Mittelmeer ist aber nicht der einzige aktuelle Bezug. Was die Mezzosopranistin Cornelia Lanz und ihren Verein vor allem bewegte, war die aktive Zusammenarbeit mit Flüchtlingen - darunter auch Profis wie Mohsen Rasidkhan und Ayden Antanyos oder Zaher Alchihabi und dem Bewegungschor "Zuflucht". Mozart verbindet - und einige der Flüchtlinge bekommen Gelegenheit, ihre ganz persönliche Geschichte einzubringen. Authentischer kann politisches Musiktheater kaum sein.

Der Flüchtling und die Sängerin (Foto: Omar Zaror)
Dabei wird aber Mozart nicht einfach instrumentalisiert oder gar "verhackstückt", dafür sorgen schon Maximilian Schmitt (Bass) als König Idomeneo von Kreta oder Cornelia Lanz als sein Sohn Idamante (rechts im Bild bei den Proben des Bewegungschores mit Wassim Alkadroush). Bei der Arbeit wuchs ein tolles Kollektiv zusammen, beispielhaft dafür, wie kulturelle Teilhabe gelingen kann. Aber wir Kulturschaffenden dürfen nicht vergessen, dass die Realität trotz allem immer anders sein wird als da, was davon auf die Bühne kommt - inszeniert, geruchlos, ohne echtes Blut und ohne echten Tod. Die "Katharsis" (Reinigung oder Läuterung der Seele nach Ansicht der antiken griechischen Dramatiker) als Folge der Erschütterung haben die Künstler dem Publikum jedenfalls schon voraus. Dafür hat Mozart schon vor 300 Jahren gesorgt, aber auch heute Cornelia Lanz mit ihren engagierten Kolleginnen und Kollegen.

Der Bewegungschor in Aktion (Foto: Andreas Knapp)
Es war hart, die Produktion mit langen Pausen und ihn wechselnden Proberäumen zu stemmen, zumal viele der Flüchtlinge erst nur Interesse, aber keine Vorstellung davon hatten, was eine Oper ist. Aber inzwischen läuft alles wie am Schnürchen. Ich bin gespannt auf die Premiere heute Abend - und darauf, wie die syrischen Gäste aus meinem Deutschkurs reagieren! Meine ganz persönliche Hoffnung: Dass alle Beteiligten und das Publikum mit dieser Aufführung ein Stück weit verarbeiten, was da passiert, denn unsere Welt ist wirklich aus den Fugen. Kunst ist ja immer auch Therapie, wenngleich nicht jede Therapie ein Kunstwerk.

Moayad Nabil Zoriki
Bleibt nur zu sagen: Moayad aus meinem Deutschkurs, der noch nie polyphone philharmonische Musik, Chöre und Mozart gehört hatte, sagte nach der Vorstellung: "Das war sehr gut, wonderful, groß - da war der aufregendste Teil meines Lebens auf der Bühne, und alles richtig! I had not expected such a nice music and so much compassion and respect". Dass die Stadt Ludwigsburg ihm das Ticket geschenkt hat, war schon sehr großzügig - er wollte es bezahlen. Dass er nach der Vorstellung dann auch noch zur Premierenfeier eingeladen war, konnte er gar nicht verstehen: "Zu viel". Er war wohl ziemlich überwältigt und wollte einfach zurück ins Flüchtlingsheim zu seiner Frau und seiner kleinen Tochter, für die es keinen Babysitter gab. Ich glaube, ein größeres Kompliment hätte man den Sängern, den Musikern, der Regie und den anderen Mitwirkenden nicht machen können. Am Ende gab es Standing ovations von allen für alle.
Die Sänger waren musikalisch sowie schauspielerisch professionell und hoch emotional engagiert. Besonders umjubelt: Die Flüchtlinge auf der Bühne, Maximilian Schmitt in der Titelrolle und Josefin Feiler (Sopran) als Idamantes Geliebte Ilia - und natürlich Cornelia Lanz als Idamante, wenngleich ihre Stimme Spuren von Stress zeigte - kein Wunder bei der Mehrfachbelastung als Sängerin und Produzentin. 
Schlussapplaus
Speziell hervorheben möchte ich die Regie von Bernd Schmitt, der auch eine einfühlsame Dialogfassung erstellt hat und für jede aktuelle Ergänzung des Original-Librettos eine sinnvolle Kürzung fand - selbst bei Arien und Rezitativen. Dabei ist es sicher schwer, aus Respekt vor Mozart nicht in Angststarre zu verfallen. Mit viel Schwung und Respekt vor allen Mitwirkenden hat er eine Version von "Idomeneo" geschaffen, die es verdient hätte, möglichst oft übernommen zu werden. Chapeau!
Der planvolle und doch zurückhaltende Einsatz von Videos auf der zentralen Leinwand ersparte viele Umständlichkeiten und war in den Motiven immer plausibel: Meer, Kriegs-Dokumentaraufnahmen, Stuttgarter Tunnelfahrten von Idamante am Steuer mit Pistole und Skimaske auf dem Weg zu Heldentaten als Selbstmordkandidat, der sein Land vom Fluch sinnloser Menschenopfer befreien will. Ganz klein, aber enorm wirkungsvoll: ein Einfall fürs Finale. Da tanzt nach dem wuchtigen Schlusschor eine kleine Ballerina grazil und kindlich ins Rampenlicht, bedroht von einem anonymen Killer im Video, der quasi von hinten und von oben sein Gewehr auf sie richtet. Die Zukunft unserer Jugend? Vorhang. Große Gefühle.

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