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Sonntag, 24. Juli 2016

Ein Bomben-Konzert mit Tschaikowski in Ludwigsburg



Daishi Kashimoto, Pietari Inkinen und das Festivalorchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele
Es hätte ein großes Fest werden sollen, aber das Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele war typisch für die irren Zeiten, in denen wir leben: ein Riesen-Violinkozert D-Dur von Peter Tschaikowsky mit Daishin Kashimoto, dem Ersten Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, mit dem Festspielorchester unter der Leitung von Pietari Inkinen, und eine Bombendrohung. Der unglaublich virtuose und souveräne Japaner zauberte die häufig als "unspielbar" bezeichnete Komposition dermaßen locker, technisch perfekt und kreativ in den Raum, dass schiere Begeisterung Publikum und Orchester erfasste.
Nach der Pause musste das Konzert wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden. Die Lemmikänen-Suite von Jean Sibelius war in vollem Gange, als Intendans Thomas Wördehoff auf die Bühne trat, das Konzert unterbrach und sichtlich um Beherrschung bemüht sagte: "Es tut mir sehr Leid, wir haben eine technische Panne. Und deshalb muss ich Sie bitten, jetzt sofort und geordnet den Saal zu verlassen". Draußen sah man dann einen Großeinsatz der Polizei, herumstehende Musiker und ratlose Menschen, die sich mit vorbildlicher Disziplin vom Acker machten. Auch Zugucken kann ja lebensgefährlich sein, so lange man nicht weiß, was wirklich los ist.
Heute hat die Stuttgarter Zeitung auf Twitter unseren Verdacht bestätigt: Es war eine Bombendrohung eingegangen. So viel Prominenz aus Kultur, Medien und Politik ist hier in der Gegend nicht oft auf einem Haufen beisammen wie beim traditionell tollen Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Da ist Vorsicht die Mutter aller Porzellankisten. So ein Ende ohne Sang und Klang hätte dem hervorragend besetzten Festival niemand gewünscht. Wördehoff hat toll reagiert und mit seiner Notlüge wohl viel dazu beigetragen, eine Panik unter den 1200 Konzertbesuchern zu verhindern.

Samstag, 23. Juli 2016

Großer Abschied vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart

Zum Lebewohl Rosen und Tränen

Das letzte Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR und seines Chefdirigenten Stèphane Denève: "Romeo et Juliette" von Hector Berlioz. Das ist eine großartige Musik, die auch ein anderes Verständnis der romantischen Shakespeare-Tragödie zeigt als unseres - übertriebener im Lauten wie im Leisen, in Trauer wie in (unbegründeter, phasenweiser) Fröhlichkeit. Das Orchester zeigte sich von seiner besten Seite, unterstützt von großartigen Sängern: em Vokalensemble Stuttgart des SWR, dem NDR Chor und den Herren der Europa- Chor-Akademie mit Chorleiter Joshard Daus. 
Solisten waren die Mezzosopranistin Laurent Margaine, der brillante (leider nur mit einer Mini-Rolle bedachte) Tenor Loic Félix und ein ganz überragender Bassbariton Laurent Naouri. Links oben im Bild die blonde Mähne des zu sehr in Kunstpausen verliebten Dirigenten zwischen den Solisten, rechts unten die "Schlachtaufstellung". 
Große Geste

Jetzt ist es also tot, das vielfach preisgekrönte Emsemble. Abgeschafft zum Zwecke einer Fusion mit dem Radio-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, von der noch keiner sagen kann, ob sie funktionieren wird. Ab dem Herbst soll es dann das "SWR Symphonieorchester" geben. Plan eines Intendanten, der keinen Plan in Sachen Kultur hat und für die nächste Spielzeit noch keinen neuen Chefdirigenten. Ein Akt der Barbarei, der angeblich Kosten ersparen soll und erst mal Millionen für Abfindungen, zusätzliches (bisher ziemlich erfolgloses) Management und PR kostet. Zum Abschied regnete es Rosen, aber es gab auch viele Tränen bei den Musikern und im Publikum. Über das Absägen des Astes, auf dem man sitzt, mag ich jetzt mehr nicht sagen.

Freitag, 22. Juli 2016

Wildbad-Ausgrabung 2016 die Zweite: ein Bellini!


Am 15. Juli beim Opernfestival "Rossini in Wildbad": Das Original von Vincenzo Bellini´s "Bianca e Gernando" als konzertante Aufführung (klug - so vermeidet man Irritationen durch Inszenierungen, die manchmal gar nicht gut sind). Einen Gernando gibt´s zwar nicht im Namensregister, wohl aber im Titel dieser Oper die nicht so heißen durfte wie der damalige Landesfürst auf Sizilien. Dafür habe ich volles Verständnis, denn wer nähme nicht eine Oper wie "Kretschmann und die Augsburger Puppenkiste" zum Anlass für Hohn und Spott? In Wildbad war die erste richtige Auftragsoper des jungen Bellini zu hören - unreif vielleicht und erst zwei Jahre später als überarbeitete Fassung in die Opernführer aufgenommen, aber doch schon voll von jenen schmelzenden, wunderschönen Belcanto-Arien, Duetten, Terzetten und Quartetten, für die Bellini später berühmt wurde. Wenn man so singen kann, schmelzen Hohn und Spott wie Himbeer-Eis in der Sonne! Die Solisten hier von links nach rechts: Mar Campo (die Zofe Eloise), Maxim Mironov (Gernando), Vittorio Prato (der Ursupator Filippo), Silvia Dalla Benetta (Bianca), Luca Dall ´Amico (Carlo,Herzog von Agrigent). Antonio Fogliani dirigierte wahrlich virtuose Virtuosi Brunenses und den Camerata Bach Chor Poznán in einer konzertanten Fassung der Oper eines jungen Komponisten, den Rossini gefördert hat und der leider viel zu früh starb. Wunderbar!


Musikalisch wertvolle Ausgrabung in Bad Wildbad: Die Kammeroper "Demetrio e Polibio" von Gioacchino Rossini

Gestern war wieder Premiere beim Opern-Festival "Rossini in Wildbad": "Demetrio e Polibio" aus dem Jahr 1812 mit einem unglaublich dämlichen Libretto von Vincenzina Viganò Mombelli und in einer armseligen Inszenierung von Nicola Berloffa, aber wahnsinnig schöne Musik im frisch & schön restaurierten kleinen königlichen Kurtheater von Bad Wildbad im Schwarzwald. Eine der verdienstvollen Rekonstruktionen aus den Archiven, die Wildbad-Intendant Jochen Schönleber mit schöner Regelmäßigkeit schafft.

Das linke Bild zeigt den Dirigenten Luciano Acocella, eingerahmt von den Solisten: links mit roter Krawatte die gereifte, souveräne Mezzosopranistin Victoria Yarovaya in der Hosenrolle des Siveno (Sohn des Demetrius und Ziehsohn des Partherkönigs Polibio), neben dem Tenor César Arrideta in der Rolle des Eumene alias Demetrius incognito. Rechts des Dirigenten die phantastische Sopranistin Sofia Mschedlishvili als Lisinga, Polibios Tochter und frisch angetraute Frau von dessen Ziehsohn Siveno (also Demetrius junior, wie sich am Ende herausstellt).

Auf dem Bild rechts erkennt man etwas von der barocken Innenarchitektur und der intimen Enge des Opernhäuschens mit rund 160 Plätzen inklusive Balustrade. Die Akustik dieser (aller!) hölzernen Barocktheater ist irgendwie dumpf und trocken im Vergleich zu heutigen Opernhäusern, aber echt. Luciano Acocella leitete das großartig aufgelegte Stamm-Orchester des Festivals, die Virtuosi Brunensis (Brünn) und den Camerata Bach Chor Poznan (Posen). Die Tschechen waren vor vielen Jahren eigentlich bloß als billige Notlösung gedacht, haben sich aber als professionelle Partner etabliert, auf die man stolz sein kann. Nur zu Beginn kam das Orchester noch etwas steif und stakkatohaft daher, nahm aber bald Fahrt auf beim Eingrooven auf Tempi und Rhythmen.

Kritik gibt es nur an der phantasielosen, statischen Inszenierung der Kammeroper mit wenig Personal, am dürftigen Bühnenbild (wieso bitte ist ein Schlafzimmer ohne Bett wie ein Wartezimmer eingerichtet?) und an den Kostümen, d.h. Einheits-Uniformen für alle außer der jungen Ehefrau Lisinga. Unnötig einfallslos. Bis auf den Tenor Arrieta, der gelegentlich bei Höhen und Tiefen schwächelte, waren alle Solisten großartig - vor allem unter den Bässen ist so einer wie Lucca Dall´Amico (Polibio) ein Solitär: kein einziges Schwimmen, kein unnötiges Verschleifen der unteren und oberen Tonlagen in den Arien. Mit solchen Sängern geraten auch Duette, Terzette und Quartette zum reinen Hörgenuss. Der Maestro Compositore hätte seine Freude daran gehabt!
Und, um die platte Story nicht ganz unerwähnt zu lassen: Es geht um Demetrius, der seinen Sohn Sivenio alias Demetrius jr. vom Hof des Königs Polibio zurückholen will, wo er in Unkenntnis der tritt der als sein eigener Botschafter (Hä?!) verkleidete Vater mit Waffengeschenken (?!) auf den Plan und gerät gleich nach Art orientalischer Despoten mit dem Ziehvater und Kollegen aneinander, der sich ebenso als dämlicher Macho und notorischer Säbelrassler zeigt wie der für einen erwachsenen Sohn viel zu junge Demetrius. Es folgen: ein diplomatischer Eklat, die irrtümiche Entführung von Sivenos Frau Lisinga statt Siveno, ein Geiseltausch im Wald, die ebenso unnötigen wie damals üblichen Orgien in Selbstmitleid und Verfluchungen sowie schließlich die reichlich späte Klärung der unnötigen Verkleidungs- und Verwechslungsgeschichte mit Rührung, Versöhnung und Hurrapatriotismus. Ein Klischee des Orientalismus im 19. Jahrhundert jagt das nächste, von psychologischer Rollenführung oder gar einer glaubwürigen aktuellen Charaktergestaltung keine Spur. Aber so war das halt damals, und eine historisch korrekte Aufführung ist für Wildbads Vorreiterrolle beim Wiederentdecken alter Opern allemal wichtiger als der moderne Zeitgeschmack. Eine Steilvorlage für nachfolgende Inzenierungen.


Freitag, 8. Juli 2016

Großartig: Mozarts "Idomeneo" mit Flüchtlingen in Ludwigsburg

So sehen glückliche Künstler aus: Das "Idomeneo"-Ensemble von Ludwigsburg (Foto: Sebastian Marincolo)

Mozart im Jahr 2016: Die Oper "Idomeneo" kommt heute bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen als aktuelle Neuproduktion mit dem Verein "Zuflucht Kultur", dem Philharmonia Chor Stuttgart und dem BandArt Orchester auf die Bühne. Alle Hauptfiguren erleben eine Welt aus den Fugen und die Ungeheuerlichkeit der Zumutung eines "Weiter so!".
Was der Trojanische Krieg Mozart, war dem Regisseur Bernd Schmitt der syrische Bürgerkrieg. Dies und die Flucht übers Mittelmeer ist aber nicht der einzige aktuelle Bezug. Was die Mezzosopranistin Cornelia Lanz und ihren Verein vor allem bewegte, war die aktive Zusammenarbeit mit Flüchtlingen - darunter auch Profis wie Mohsen Rasidkhan und Ayden Antanyos oder Zaher Alchihabi und dem Bewegungschor "Zuflucht". Mozart verbindet - und einige der Flüchtlinge bekommen Gelegenheit, ihre ganz persönliche Geschichte einzubringen. Authentischer kann politisches Musiktheater kaum sein.

Der Flüchtling und die Sängerin (Foto: Omar Zaror)
Dabei wird aber Mozart nicht einfach instrumentalisiert oder gar "verhackstückt", dafür sorgen schon Maximilian Schmitt (Bass) als König Idomeneo von Kreta oder Cornelia Lanz als sein Sohn Idamante (rechts im Bild bei den Proben des Bewegungschores mit Wassim Alkadroush). Bei der Arbeit wuchs ein tolles Kollektiv zusammen, beispielhaft dafür, wie kulturelle Teilhabe gelingen kann. Aber wir Kulturschaffenden dürfen nicht vergessen, dass die Realität trotz allem immer anders sein wird als da, was davon auf die Bühne kommt - inszeniert, geruchlos, ohne echtes Blut und ohne echten Tod. Die "Katharsis" (Reinigung oder Läuterung der Seele nach Ansicht der antiken griechischen Dramatiker) als Folge der Erschütterung haben die Künstler dem Publikum jedenfalls schon voraus. Dafür hat Mozart schon vor 300 Jahren gesorgt, aber auch heute Cornelia Lanz mit ihren engagierten Kolleginnen und Kollegen.

Der Bewegungschor in Aktion (Foto: Andreas Knapp)
Es war hart, die Produktion mit langen Pausen und ihn wechselnden Proberäumen zu stemmen, zumal viele der Flüchtlinge erst nur Interesse, aber keine Vorstellung davon hatten, was eine Oper ist. Aber inzwischen läuft alles wie am Schnürchen. Ich bin gespannt auf die Premiere heute Abend - und darauf, wie die syrischen Gäste aus meinem Deutschkurs reagieren! Meine ganz persönliche Hoffnung: Dass alle Beteiligten und das Publikum mit dieser Aufführung ein Stück weit verarbeiten, was da passiert, denn unsere Welt ist wirklich aus den Fugen. Kunst ist ja immer auch Therapie, wenngleich nicht jede Therapie ein Kunstwerk.

Moayad Nabil Zoriki
Bleibt nur zu sagen: Moayad aus meinem Deutschkurs, der noch nie polyphone philharmonische Musik, Chöre und Mozart gehört hatte, sagte nach der Vorstellung: "Das war sehr gut, wonderful, groß - da war der aufregendste Teil meines Lebens auf der Bühne, und alles richtig! I had not expected such a nice music and so much compassion and respect". Dass die Stadt Ludwigsburg ihm das Ticket geschenkt hat, war schon sehr großzügig - er wollte es bezahlen. Dass er nach der Vorstellung dann auch noch zur Premierenfeier eingeladen war, konnte er gar nicht verstehen: "Zu viel". Er war wohl ziemlich überwältigt und wollte einfach zurück ins Flüchtlingsheim zu seiner Frau und seiner kleinen Tochter, für die es keinen Babysitter gab. Ich glaube, ein größeres Kompliment hätte man den Sängern, den Musikern, der Regie und den anderen Mitwirkenden nicht machen können. Am Ende gab es Standing ovations von allen für alle.
Die Sänger waren musikalisch sowie schauspielerisch professionell und hoch emotional engagiert. Besonders umjubelt: Die Flüchtlinge auf der Bühne, Maximilian Schmitt in der Titelrolle und Josefin Feiler (Sopran) als Idamantes Geliebte Ilia - und natürlich Cornelia Lanz als Idamante, wenngleich ihre Stimme Spuren von Stress zeigte - kein Wunder bei der Mehrfachbelastung als Sängerin und Produzentin. 
Schlussapplaus
Speziell hervorheben möchte ich die Regie von Bernd Schmitt, der auch eine einfühlsame Dialogfassung erstellt hat und für jede aktuelle Ergänzung des Original-Librettos eine sinnvolle Kürzung fand - selbst bei Arien und Rezitativen. Dabei ist es sicher schwer, aus Respekt vor Mozart nicht in Angststarre zu verfallen. Mit viel Schwung und Respekt vor allen Mitwirkenden hat er eine Version von "Idomeneo" geschaffen, die es verdient hätte, möglichst oft übernommen zu werden. Chapeau!
Der planvolle und doch zurückhaltende Einsatz von Videos auf der zentralen Leinwand ersparte viele Umständlichkeiten und war in den Motiven immer plausibel: Meer, Kriegs-Dokumentaraufnahmen, Stuttgarter Tunnelfahrten von Idamante am Steuer mit Pistole und Skimaske auf dem Weg zu Heldentaten als Selbstmordkandidat, der sein Land vom Fluch sinnloser Menschenopfer befreien will. Ganz klein, aber enorm wirkungsvoll: ein Einfall fürs Finale. Da tanzt nach dem wuchtigen Schlusschor eine kleine Ballerina grazil und kindlich ins Rampenlicht, bedroht von einem anonymen Killer im Video, der quasi von hinten und von oben sein Gewehr auf sie richtet. Die Zukunft unserer Jugend? Vorhang. Große Gefühle.

Sonntag, 3. Juli 2016

Barock-Metamorphosen mit Gautier Capucon

Innige Einheit: Gautier Capucon und sein Cello (Foto: Gregory Batardon)
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele waren am 30. Juni auf Exkursion im Theaterhaus Stuttgart - mit dem Cello-Weltstar Gautier Capucon, dem Stuttgarter Kammerorchester und Christian Muthspiel, dem österreichischen Hans-Dampf-in-allen-musikalischen-Gassen (Dirigent, Posaunist, Pianist, Jazzer, Komponist). Das Gastspiel hatte Methode, ist doch das Theaterhaus der Landeshauptstadt mit diversen Festivals ein Mekka zeitgenössischer Musik. Das derzeit laufende ("Der Sommer in Stuttgart") hat allerdings schon am Eröffnungstag ein Konzert mangels Interesse absagen müssen, und  das hätte eine Warnung sein können: Der Saal war halb leer, und das ließ sich kurzfristig nicht mehr ändern. Die Leute hören halt gern den französischen Cello-Star Gautier Capucon und auch Barockmusik, aber offenbar weniger gern Christian Muthspiel und Zeitgenössisches von den Briten Benjamin Britten (1913 - 1976) und Michael Tippett (1905 - 1998). Das musikalische Niveau des Abends und das lautstark applaudierende Stammpublikum des Stuttgarter Kammerorchesters konnten auch daran nichts ändern.
Dabei widersetzte sich das Orchester virtuos der Fragmentierung durch Brittens "Präludium und Fuge für 18 Streicher op. 29", eine Komposition, die sich anhörte wie ein erweitertes Einspielen mit zögerlichem Auftakt. Solist, Dirigent und Orchester  wuchsen über sich hinaus bei der folgenden Uraufführung von Muthspiels "A Serious Game, Konzert für Violoncello und Kammerorchester, basierend auf der Cellosuite I, BWV von Johann Sebastian Bach". So steht´s im Programm, und so bestätigte sich einmal mehr die Erfahrung: Je länger der Titel eines Stücks Neuer Musik, desto fragwürdiger der Inhalt. Selbst die großartigen Musiker konnten dabei nur einen Achtungserfolg herausholen.
Muthspiel erzählte vorab die hübsche Geschichte, dass die Posaunenfassung der Bachschen Cellosuite seit Jahrzehnten zu seiner täglichen Übungsroutine gehöre, und hatte auch zu Beginn ein paar gebrochene Zitat-Takte eingebaut, die an das Original erinnern. Dennoch kam das intensiv dialogische, respektlos verspielte, teilweise verjazzte und virtuos gespielte Werk auch in den temperamentvollen Phasen nicht wirklich an. Wie zum Trost für geplagte Ohren dann eine besonders innige Solo-Zugabe mit bekannten Melodien.
Das Gefälle zwischen der programmatischen Metamorphose barocker Musik und den Folgen moderner "Anverwandlung" zeigte nicht zuletzt nach der Pause der unmittelbare Vergleich dem Konzert für Violoncello, Streicher und Basso continuo a-Moll von Antonio Vivaldi (1678 - 1741). Einfach fabelhaft. Ebenso wie das Concerto grosso F-Dur von Arcangelo Corelli (1653 - 1713), dem Tippets "Fantasia Concertante über ein Thema von Corelli" folgte - durchaus schöne Klangteppiche mit harmonischen Auflösungen zu einem Motiv aus eben diesem Concerto grosso, aber eben nur ein Thema daraus. Die Frage muss erlaubt sein, wozu das gut sein soll. Auch Tippett kann im direkten Vergleich mit dem Reichtum des Originals nur verlieren; da wäre es für Werk und Komponist vorteilhafter gewesen, es ohne Zusammenhang oder in einem anderen zu spielen.
Als "geplante Zugabe" kündigte Muthspiel das abschließende "Concerto in D" von Igor Strawinsky (1882 - 1971) an. Nun ja - es ist eine Art Salonmusik, ein zerfledderter, gegen Ende im Rondo und Allegro jazzig aufgemotzter Walzer. Brav gespielt, doch in meinen Ohren kein Highlight im reichhaltigen Schaffen des Komponisten.
Muthspiel hat sich durchaus etwas gedacht bei der Zusammenstellung des Programms, aber mit seinem eigenen Beitrag die recht hohen Erwartungen an Metamorphosen (Verwandlungen) barocker Vorbilder ebenso enttäuscht wie mit Britten und Tippett. Der Mangel betrifft nicht die handwerklichen Fähigkeiten der Musiker bzw. der Tonsetzer oder ihre Phantasie, sondern deren Ergebnis. Solche Mischungen sind halt fürs Publikum selten der süffige Cuvee, der sie in den Augen und Köpfen ihrer Schöpfer sein möchten.