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Sonntag, 8. März 2015

Wie das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart sein Publikum verliert



Stepháne Denève dirigiert das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und das Vokalensemble des SWR

Es ist schon schwierig, wenn nicht die Quadratur des Kreises, ein im Zustand der Fusion befindliches Sinfonieorchester zu Höchstleistungen zu motivieren, sich kreativ im Korsett einer nicht Mainstream-tauglichen Pflichtquote für Neue Musik zu bewegen und dann auch noch das Publikum zu begeistern. Das jüngste Abonnementkonzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR unter der Leitung von Stéphane Denève hat diesen Spagat recht ordentlich bewältigt. Die Musiker haben sich wacker geschlagen. Die Pflichtübung zum Auftrakt war "The Chairman Dances", ein eher schlichter Foxtrott für Orchester, der gern Filmmusik geworden wäre.
Jonathan Biss signiert
Zum Höhepunkt des Abends geriet dann Ludwig van Beethovens Klavierkonztert Nr. 4 G-Dur mit dem Solisten Jonathan Biss aus den USA. Trotz einiger Mühe mit den zugegebenermaßen teils sprunghaften Tempowechseln im ersten Satz lief das Orchester im zweiten zu ganz großer Form auf. Einen ganz wesentlichen Anteil daran hatte der amerikanische Pianist, der mit viel Gefühl und doch zupackend den Dialog mit dem Orchester in die Hand nahm. Biss wurde seinem Ruf als bemerkenswerter Beethoven-Interpret mehr als gerecht und erhielt auch stürmischen Applaus.
Nach der Pause, in der Biss im Foyer CDs-signierte, ging es melancholisch weiter mit dem Adagio für Streicher von Samuel Barber. Dirigent und Orchester waren sich da nicht nur einig, sondern fanden sich in einem Stück von kongenialer Stimmung, einem Spiegel der eigenen Situation: Beerdigungsmusik auf höchstem Niveau. Die getragenen melodischen Klangwolken, die behutsamen Crecendi, das langsame Verlöschen, das war traurig und schön.
Unterstützung gab es am Ende vom SWR Vokalensemble bei Igor Strawinskis "Psalmensymphonie". Doch da war die Luft schon raus. Das Stück ist ohnehin eher als Filmmusik für einen Streifen über Vampire oder Untote geeignet, hat den Stil, aber nicht das Niveau und die Kraft der "Carmina Burana" von Carl Orff. Da waren Chor, Dirigent und Orchester unterfordert; eigentlich schade. 

Man hätte Jonathan Biss zurückrufen mögen; aber der war schon weg. Am Ende auch ein Großteil des Publikums: der Saal halb leer. Dabei wäre so etwas vermeidbar. Die Leute lassen sich halt nicht gängeln, selbst bei günstigen Preisen empfinden sie zu viel Musikerziehung als das, was sie ist - deplatzierte Pädagogik, die man besser "Umerziehung zugunsten zeitgenössischer Komponisten" nennen sollte. Ein über Gebühren finanziertres Orchester sollte den Geschmack seines Publikums nicht in solchem Ausmaß ignorieren, sonst folgt die Strafe auf dem Fuß.

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