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Freitag, 7. November 2014

Edler Thriller: "Himmelstal" von Marie Hermanson

Insel Verlag Berlin 2012, 428 Seiten
Dass heutzutage jeder, aber auch wirklich jeder Verlag meint, er müsse Krimis drucken, ist eine Schande. Keine Schande, sondern vielmehr ein Glücksgriff aber ist der Roman "Himmelstal" von Marie Hermanson. Die Frau aus Göteborg, muss man sagen, schreibt nicht einfach Krimis. Sie schreibt hervorragend recherchierte, psychologisch tiefe, packend erzählte Thriller mit einem Schuss kriminalistischer Handlung. Es gibt jedoch keinen Kommissar, sondern einfach nur Menschen, die Ungeheuerliches erleben.
In diesem Fall ist das Daniel, der einen Zwillingsbruder hat, der in einem fiktiven, abgelegenen Ort der Schweizer Alpen - eben "Himmelstal" in einem Sanatorium. Der bittet um einen Besuch, und kaum ist Daniel da, unter einem Vorwand darum, er möge ihn "für ein paar Tage vertreten". Was sich beim ersten Blick als Sanatorium darstellt, ist aber auf den zweiten eine Bewahranstalt für unheilbare gewalttätige Psychopathen, getarnt als Forschungsprojekt. Und aus der gibt es auch für den Gesunden im Prinzip kein Entkommen, weil - mit einer Ausnahme - Ärzte und Therapeuten ebenfalls Psychpathen sind und ihr System paranoid.
Es kommt wie es kommen muss: Daniel, der sich erst langweilt, will flüchten. Mit Hilfe der Ausnahme, einer zufällig hübschen Therapeutin, die ihn eigentlich kontrollieren soll und ebenfalls "ein bürokratischer Irrtum" ist, lernt er, sich der totalen Überwachung zu entziehen. Nicht ohne schmerzhafte Rückschläge kann er schließlich das perfide psychomedizinische System "Himmelstal" durchschauen.
Doch bis zuletzt gelingt es der Autorin, Unsicherheit daüber aufrecht zu erhalten, was Gut und was Böse ist in Himmelstal, wem man trauen kann und wem nicht. Daniel und seine schöne Bewacherin werden ein Liebespaar und schöpfen Hoffnung, geraten aber auf dem "Dienstweg" zur Flucht nochmals in eine aberwitzige Steigerung der bisherigen Widerstände. Das ist Thomas Manns "Zauberberg" als gegen den Strich gebürsteter Alptraum: die Idylle als tödliche Falle ist hier nicht mehr nur bloße Metapher, sie ist zum Greifen nah, täuschend echt und voller Gefahren.

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