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Montag, 7. Juli 2014

Rückblick: Klerikales & verlogenes Theater in Spanien

SWR2 Zeitwort 11.06.1765: Verbot der „Autos sacramentales“, kirchlicher Mysterienspiele in Spanien
© Widmar Puhl 

Autos sacramentales, das waren im theaterbegeisterten Spanien des 17. und 18. Jahrhunderts kirchliche Mysterien- und Fronleichnamsspiele: ungeheuer populär, geistig sehr anspruchslos, klerikal und von fanatischer Frömmigkeit. Die populärsten Autoren der „Autos“ waren Geistliche und auch sonst die Theater-Stars im spanischen „goldenen Zeitalter“: Calderón de la Barca und Lope de Vega. Trotzdem wurden sie am 11. Juni 1765 verboten.

Felix Lope de Vega Carpio und sein Nachfolger als Hofdichter, Pedro Calderón de la Barca, waren barocke Popstars. Weder Ehe noch spätere Priesterweihe hinderten die veritablen Skandalnudeln an zahlreichen Liebschaften, höfischen Intrigen und Duellen. Von Lopes 500 erhaltenen Stücken ist das bekannteste wohl „Der Richter von Zalamea“ in Calderóns Bearbeitung. Er schrieb aber auch frommen Kitsch wie „Die Taufe des Prinzen von Marokko“. Richtig Ärger bekam der alte Filou bei einer Fronleichnams-prozession durch Madrid. Da trug er die Monstranz und winkte seiner Liebsten zu, die im Fenster lag.
Vor allem Calderón ist in Deutschland bekannt. Eichendorff, Schlegel und Grillparzer haben seine Stücke übersetzt, Reinhold Schneider und Hugo von Hoffmannsthal bearbeitet. Der Romanist und Literaturhistoriker Manfred Tietz schrieb über diesen Autor:

Ab 1649 lieferte er ...der Stadt Madrid gegen gute Bezahlung die zwei Autos sacramentales, die jeweils am Fronleichnamsfest aufgeführt wurden. Calderón verfasste jedoch nicht nur den Text, sondern auch die Regieanweisung, in der die Bühnenaufbauten und ihr Einsatz bei der Aufführung festgelegt waren. ... Sollte dargelegt werden, dass allen Menschen von Gott die gleiche Gnade zuteil wird, so ließ er die Gestalt der Gnade jedem der Spieler eine Rose reichen.“

Abstrakte theologische Begriffe wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Gnade wurden durch allegorische Rollen dargestellt. Der vulgo ignorante, das ungebildete Volk, war damals in Spanien nicht nur tief gläubig, sondern auch völlig verrückt nach Theater. Das wurde meistens auf Karren gespielt, die auf öffentlichen Plätzen Halt machten – sozusagen mobile Bühnen.
Aber gerade weil diese Form des Theaters so populär war, kam sie von zwei Seiten unter Beschuss. Erstens hatte die Inquisition an der Sinnlichkeit vieler Darbietungen eine Menge auszusetzen - geistliche Autoren hin oder her. Zweitens aber strotzten die Stücke vor theologischen Fach-begriffen und Spitzfindigkeiten bis hin zu blankem Aberglau-ben. Für Aufklärer ein Skandal. Noch einmal Tietz:

Die sehr großen Kosten dieser Inszenierungen, die jedes Jahr erneut entstanden, die Dunkelheit der Texte ...und ihre triumphalistisch barocke Religiosität hatten zur Folge, dass die Autos sacramentales 1765 verboten wurden.“

Immer öfter spielten anrüchige Schauspieler religiöse Rollen. Die Stücke verkamen zur platten Volksbelustigung. Vor allem aber sollte die Irreführung einfacher Leute durch die Effekthascherei eindrucksvoller Bühnentechnik ein Ende haben.
So wollte es auch König Carlos III., der wie Friedrich der Große ein Vertreter des aufgeklärten Absolutismus war. Er wollte das Theater für sich selbst als Propagandainstrument und nahm es der Kirche weg. Der Schriftsteller und Jurist Gaspar Melchor Jovellanos, den der König zum Staatsrat ernannte, lästerte im Kabinett:

Wie soll man in diesem Land hygienische Vorschriften durchsetzen, wenn sogar eine Herzogin von Medina Coeli ihrem kranken Sohn einen pulverisierten Finger des heiligen Ignatius eingibt, zur Hälfte als Suppe, zur Hälfte als Einlauf? Die Inquisition aber geht gegen jeden vor, der die Wunderkraft solcher Mittel zu bezweifeln wagt.“

Die weihnachtlichen Krippenspiele in Klöstern und Kirchen konnte der König nicht verhindern, auch nicht den Irrglauben an die Heilkraft von Reliquien. Aber am 11. Juni 1765 verbot er per Dekret die öffentlichen Mysterienspiele der Autos sacramentales. In Spanien, nicht in Oberammergau.

[Quellen: Hans-Jörg Neuschäfer(Hg.): Spanische Literaturgeschichte, Metzler Verlag Stuttgart 2001, S. 183, S. 200; Klaus-Dieter Ertler: Kleine Geschichte der spanischen Aufklärungsliteratur, Narr Verlag Tübingen 2003, S. 38, S. 152 f., S. 239; Real Cédula de 11 de junio de 1765 (Nationalarchiv Madrid; Antonia A. Bustos Rodríguez: Divertimentos en el siglo de oro español, S. 36 ff.]

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