SWR2 Zeitwort
11.06.1765: Verbot der „Autos sacramentales“, kirchlicher
Mysterienspiele in Spanien
©
Widmar Puhl
Autos
sacramentales,
das waren im theaterbegeisterten Spanien des 17. und 18. Jahrhunderts
kirchliche Mysterien- und Fronleichnamsspiele: ungeheuer populär,
geistig sehr anspruchslos, klerikal und von fanatischer Frömmigkeit.
Die populärsten Autoren der „Autos“ waren Geistliche und auch
sonst die Theater-Stars im spanischen „goldenen Zeitalter“:
Calderón de la Barca und Lope de Vega. Trotzdem wurden sie am 11.
Juni 1765 verboten.
Felix
Lope de Vega Carpio und sein Nachfolger als Hofdichter, Pedro
Calderón de la Barca, waren barocke Popstars. Weder Ehe noch spätere
Priesterweihe hinderten die veritablen Skandalnudeln an zahlreichen
Liebschaften, höfischen Intrigen und Duellen. Von Lopes 500
erhaltenen Stücken ist das bekannteste wohl „Der Richter von
Zalamea“ in Calderóns Bearbeitung. Er schrieb aber auch frommen
Kitsch wie „Die Taufe des Prinzen von Marokko“. Richtig Ärger
bekam der alte Filou bei einer Fronleichnams-prozession durch Madrid.
Da trug er die Monstranz und winkte seiner Liebsten zu, die im
Fenster lag.
Vor
allem Calderón ist in Deutschland bekannt. Eichendorff, Schlegel
und Grillparzer haben seine Stücke übersetzt, Reinhold Schneider
und Hugo von Hoffmannsthal bearbeitet. Der Romanist und
Literaturhistoriker Manfred Tietz schrieb über diesen Autor:
„Ab
1649 lieferte er ...der Stadt Madrid gegen gute Bezahlung die zwei
Autos sacramentales, die jeweils am Fronleichnamsfest aufgeführt
wurden. Calderón verfasste jedoch nicht nur den Text, sondern auch
die Regieanweisung, in der die Bühnenaufbauten und ihr Einsatz bei
der Aufführung festgelegt waren. ... Sollte dargelegt werden, dass
allen Menschen von Gott die gleiche Gnade zuteil wird, so ließ er
die Gestalt der Gnade jedem der Spieler eine Rose reichen.“
Abstrakte
theologische Begriffe wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Gnade wurden
durch allegorische Rollen dargestellt. Der vulgo
ignorante,
das ungebildete Volk, war damals in Spanien nicht nur tief gläubig,
sondern auch völlig verrückt nach Theater. Das wurde meistens auf
Karren gespielt, die auf öffentlichen Plätzen Halt machten –
sozusagen mobile Bühnen.
Aber
gerade weil diese Form des Theaters so populär war, kam sie von zwei
Seiten unter Beschuss. Erstens hatte die Inquisition an der
Sinnlichkeit vieler Darbietungen eine Menge auszusetzen - geistliche
Autoren hin oder her. Zweitens aber strotzten die Stücke vor
theologischen Fach-begriffen und Spitzfindigkeiten bis hin zu blankem
Aberglau-ben. Für Aufklärer ein Skandal. Noch einmal Tietz:
„Die
sehr großen Kosten dieser Inszenierungen, die jedes Jahr erneut
entstanden, die Dunkelheit der Texte ...und ihre triumphalistisch
barocke Religiosität hatten zur Folge, dass die Autos sacramentales
1765 verboten wurden.“
Immer
öfter spielten anrüchige Schauspieler religiöse Rollen. Die Stücke
verkamen zur platten Volksbelustigung. Vor allem aber sollte die
Irreführung einfacher Leute durch die Effekthascherei
eindrucksvoller Bühnentechnik ein Ende haben.
So
wollte es auch König Carlos III., der wie Friedrich der Große ein
Vertreter des aufgeklärten Absolutismus war. Er wollte das Theater
für sich selbst als Propagandainstrument und nahm es der Kirche weg.
Der Schriftsteller und Jurist Gaspar Melchor Jovellanos, den der
König zum Staatsrat ernannte, lästerte im Kabinett:
„Wie
soll man in diesem Land hygienische Vorschriften durchsetzen, wenn
sogar eine Herzogin von Medina Coeli ihrem kranken Sohn einen
pulverisierten Finger des heiligen Ignatius eingibt, zur Hälfte als
Suppe, zur Hälfte als Einlauf? Die Inquisition aber geht gegen jeden
vor, der die Wunderkraft solcher Mittel zu bezweifeln wagt.“
Die
weihnachtlichen Krippenspiele in Klöstern und Kirchen konnte der
König nicht verhindern, auch nicht den Irrglauben an die Heilkraft
von Reliquien. Aber am 11. Juni 1765 verbot er per Dekret die
öffentlichen Mysterienspiele der Autos
sacramentales.
In Spanien, nicht in Oberammergau.
[Quellen:
Hans-Jörg Neuschäfer(Hg.): Spanische Literaturgeschichte, Metzler
Verlag Stuttgart 2001, S. 183, S. 200; Klaus-Dieter Ertler: Kleine
Geschichte der spanischen Aufklärungsliteratur, Narr Verlag Tübingen
2003, S. 38, S. 152 f., S. 239; Real Cédula de 11 de junio de 1765
(Nationalarchiv Madrid; Antonia A. Bustos Rodríguez: Divertimentos
en el siglo de oro español, S. 36 ff.]
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