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Sonntag, 9. Februar 2014

Von meinem Bücherbord

Der jiddische Dichter Abraham Sutzkever wurde 1913 in Smorgon geboren und lebte ab 1920 in Wilne oder Wilna/Wilnius. Der Amman Verlag in Zürich hat 2009 das Lebenswerk dieses Mannes veröffentlicht, der sei 19344 zur Avantgarde des jüdischen Dichterkreises "Junge-Wilne" gehölrte, 1941 mit seiter Familie uns Getto kam und 1942 zu den Partisanen ging. Seine Lebensgeschichte schrieb er 1944 in Moskauz. 1947 gelang es ihm, nach Israel auszuwandern. Er starb 2010 mit 96 Jahren in Tel Aviv.
Beide Bücher gibt es in einem Schuber, denn sie gehören eng zusammen. Der Übersetzer Hubert Witt hat vor allem bei den Gedichten zu viel Respekt vor der Autorität des Autors und lässt ihm auch große Schwächen durchgehen. Er ist kein Nachdichter, der ein Gespür für wirklich treffsichere, stilistisch elegante Verse und stimmige Rhythmen hätte, er ist nur Übersetzer. Aber das ist für diese Epitaphe des Judentums von Litauen nur ein stilistisches Problem. So finden sich aus der Sicht des Lyrikers zwar bloß einzelne Perlen in vielen verdorbenen Austern. Dieses literarisch-stoilistische Problem ist aber ein Gewinn für die historische Wirkung. Das gilt doppelt bei der Autobiographie über das Leben im Getto und den bewaffneten Widerstand - erst dort, dann in den Wäldern. Beide Bücher sind buchstäblich mit Blut und Tinte geschrieben. Sutzkever wurde jeder schöngeistige Pazifismus brutal ausgetrieben. Sie atmen das unmittelbar durchlebte Trauma, sind einzigartige Zeugnisse der Nazi-Tötungsmaschine und nicht nur des jüdischen Überlebenswillens. Sie dokumentieren auch den enormen Stellenwert dere Kultur in diesem Überlebenskampf.
Kultur ist systemrelevant: Gerade darum haben die Nahzis versucht, die jüdische Kuktur mit den Menschen auzurotten. Und gerade darum haben Sutzkever und seine Mitstreiter jahrelang unter Lebensgefahr Kulturarbeit im Getto gemacht, Schulen und eine Universität betrieben, Literatur, Musikinstrumente, Bilder, ja ganze Bibliotheken gerettet.
Abraham Sutzkever: "Gesänge vom Meer des Todes" (191 S.) und "Wilner Getto 1941 - 1944" (271 S.), Amman Verlag, Zürich 209, 34,95 € im Schuber



Mario Vargas Llosa: "Ein diskreter Held", Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 381 S., 22.95 €

Eigentlich beschreibt der Autor hier die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Helden unserer Zeit: Da ist zum einen der Bankier Rigoberto, der seinen Freund und Ex-Chef Ismael entschieden gegen zwei habgierige Halunken und Erbschleicher verteidigt, die zufällig dessen leiblichen Söhne sind und völlig durchdrehen, als ihr Vater seine junge Haushälterin heiratet und die missratenen Früchtchen enterbt. Und da ist Felícito, unglücklich verheiratet, erfolgreicher Liebhaber einer jungen Mätresse und Inhaber einer erfolgreichen Transportfirma, der entschlossen einer anonymen Schutzgelderpressung die Stirn bietet. Die befreundeten Bankiers leben in Lima, Felícito in Piura. Doch sie alle eint nicht nur die Vorliebe für jüngere Frauen und ein gewisses Macho-Gehabe, sondern auch eine Art altertümliche Moral, die im krassen Gegensatz zur leichtlebigen Generation der Erben steht: Fleiß, Anstand, Loyalität und Großzügigkeit gehören ebenso dazu wie Respekt vor Bildung und Verachtung der Korruption. Wie sich herausstellt, haben sie aber noch mehr gemeinsam:
Auch der Busunternehmer wird von seinem eigenen Sohn erpresst, und zu allem Überfluss hat seine (wie man lesen wird, zu Recht) ungeliebte und höchst bigotte Gattin ausgerechnet jene hübsche, nette Haushälterin zur Schwester, die durch die Liebe des Bankiers Ismal vielfache Millionärin geworden ist. Auf der Flucht vor den Attacken der rabiaten Stiefsöhne gewährt ihr die ansonsten höchst unsympathische Schwester Asyl. Nichts ahnend verbringt sie mehrere Tage und Nächte hinter den Mauern eines ebenfalls belagerten Hauses. - Ein hübsch ausgedachter Plot mit typisch lateinamerikanischen Ingredienzien, gewürzt mit einer guten Portion Bildungsroman und Berrachtungen über die Natur des Bösen und der Freiheit und einem großzügigen Schuss Humor. Typisch Vargas Llosa: Der alte Kater lässt das Mausen nicht. Und so ganz nebenbei sehen ungehobelte junge Rammler im direkten Vergleich mit kultivierten, einfühlsamen Old-School-Liebhabern ziemlich alt aus.


Etel Adnan: Arabische Apokalypse. Ein Gedichtzyklus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 70 S., 22,95 €

Vorweg gleich eins: Wer sich über den hohen Preis für dieses schmale Bändchen wundert, muss die Kunst berücksichtigen. Es steckt voll von Grafiken und Zeichnungen, die als Gestaltungselemente sogar jede einzelne Textseite durchziehen. Der Anfang kommt daher wie ein verspäteter arabischer Versuch in Dadaismus. Das Ganze entpuppt sich aber schnell als wortgewaltiges und bildstarkes Klagelied auf den von Bürgerkriegen zerrissenen Nahen Osten.
Etel Adnan  wurde 1925 in Beirut geboren und lebt in Paris. Sie ist Malerin durch und durch und eine sprachmächtige Poetin, die das kaum Sagbare oder gänzlich Unsagbare in Piktogrammen aufs Papier bringt. Dazwischen entwickelt sie mit Lakonie und Sinn für Aberwitz ihre Sprachbilder von einem Kosmos, der aus den Fugen ist, in dem alltägliches menschiches Leiden und Sterben in Beirut und Damaskus, Bagdad und Kairo galaktische Dimensionen annimmt. Keine Einschlaflektüre, sondern starker Tobak: Pflichtlektüre für alle, die ein Psychogramm des Wahnsinns Nahost suchen.




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