Seiten

Freitag, 20. September 2013

Musikfest Extra Türkei in Stuttgart: So geht Integration

14.9.: Eastern Ensemble und Gächinger Kantorei in der Musikhochschule
Am 14. September - eine Woche nach dem offiziellen Abschluss, doch dafür nach dem Schulbeginn - gab es ein "Extra Türkei" beim diesjährigen Musikfest Stuttgart der Bachakademie. Der Höhepunkt war zweifellos das gemeinsame Konzert des neuen Eastern Ensembles mit der Gächinger Kantorei unter der Leitung von Cigdem Yarkin (Eastern Ensemble) und Maddalena Ernst (Junger Chor der Bachakademie) in der Musikhochschule. Auf dem Programm standen türkische Pilgerlieder (Ilahis) nach Texten so bekannter Dichter wie Yunus Emre, Rumi oder Ahmed Bey, begleitet von Profimusikern an traditionellen Instrumenten. Natürlich sangen da zunächst nicht die Gächinger, sondern Musikstudenten aus der Türkei. Von besonderem Reiz waren Rezitationen religiöser Gedichte von Yunus Emre durch den Schauspieler und Regisseur Kenan Isik (ganz rechts im Bild), den in Istanbul jeder Theaterbesucher als ehemaligen Intendanten des städtischen Theaters kennt. Auch wer kein Wort verstand, konnte sich der emotionalen Wirkung seines Vortrags nicht entziehen, der von verhaltener Instrumentalmusik untermalt war.
Es folgte der Junge Chor der Bachakademie mit der Motette "Jesu, meine Freude" von Johann Sebastian Bach (BWV 227). Das war ebenfalls ein Hochgenuss und sowohl stimmlich als auch in der dramatischen Gestaltung etwas Besonderes.
Aber die gemeinsamen Proben müssen auch eine anssteckende Wirkung gehabt haben. Wie nah die Musiker da gekommen sind, konnte man bei der berührenden Interpretation des Bach-Chorals "Befiel du deine Wege" hören (BWV 244). Tiefer Glaube und große Gefühle entfalten in der Kunst eine gewaltige Wucht. Doch diesmal bekam ihr Ausdruck eine einzigartige Färbung durch Soli von Ahmet Gül zwiswchen den Strophen. Der blinde Bassbariton aus Esslingen liebt Bach und die Sufi-Musik gleichermaßen; sein Gesang glänzte durch technische Perfektion und anrührende Inbrunst. Das Pendant dazu war ein Solo-Auftritt von Cigdem Yarkin bei einem der folgenden Ilhis von Ahmed Bey: ein glockenheller Sopran, der zugleich intensiv und leicht mit unglaublichen Vierteltonmelismen über dem Chor schwebte.
Ein Moment, um den Atem anzuhalten, war schließlich der Einsatz beider Chöre im Tutti des anonymen Ilahi (Hüseyni Ilahi) zu einem Text von Yunus Emre. Das klang für mich, als hätten die Sänger zeitlebens nichts anderes getan. Das gemischte Publikum im großen Konzertsaal der Musikhochschule spendete lang anhaltenden, begeisterten Beifall. So kann Integration aussehen und sich anhören: ein großartiges Konzert ausgerechnet zum Yom Kippur Fest, wie ein jüdischer Musiker hinterher sagte - sicher kein Zufall. Man muss vielleich nicht eigens hervorheben, aber ich tue es doch, dass die Veranstaltung trotzdem kein Mischmasch weltmusikalischer Romantik war. In gegenseitigem Respekt blieb jeder "Schuster bei seinen Leisten. Das Miteinander und Ineinander war eher dramaturgisher Art. Dennoch zeigen sich vieleicht gerade darin die Gemeinsamkeiten der getrennten Religionen und so verschiedenen musikalischen Stile. Schön, dass der neue Intendant Rademann von der Bachakademie das gehört hat. Mehr davon!
14.9.: Chorlabor-Workshop mit Halil Ibrahim Yüksel
Das große Familienfest im Kulturhaus Arena (das ehemalige Theaterhaus in Stuttgart-Wangen) hatte aus Sicht des Chorlabors einen Vorläufer. Schon am Samstag Nachmittag gab der schon Stuttgart-erfahrene Dirigent Halil Ibrahim Yüksel von der Universität Izmir wieder einen Workshop im Konzertsaal der Bachakademie. Aktive und interessiertes Publikum kamen also an diesem Wochenende ganz schön herum in Stuttgart; wohl dem, der eine VVS-Dauerkarte sein eigen nannte. Es ist bisher eine Eigenart dieses offenen interreligiösen Chorlabors, dass bei den Workshops die Besetzung wechselt - je nachdem, wer Zeit und genug Interesse für diese intensive Arbeit hat. So kamen beim Thema "Gottesliebe und Menschenliebe" viele neue Gesichter. Projektleiter Bernhard König, der das Improvisieren leidenschaftlich liebt, hatte dazu spontan mit Yüksel zusammen einen türkisch-deutschen Kanon nach der Zeile "Es ist, ewas es ist, sagt die Liebe" aus einem Gedicht von Erich Fried geschrieben. Da hier nicht nur türkische und deutsche Sprache zu einer Einheit werden sollten, sondern auch türkische Vierteltonfolgen und deutsche Vierstimmugkeit, war Yüksel dankbar für eine musikalisch versierte Dolmetscherin für die vielen deutschen Sänger.
15.9.: Das Chorlabor im Kulturhaus Arena Stuttgart-Wangen
Lohn der Mühe und krönender Abschluss des deutsch-türkischen Familienfestes im Kulturhaus Arena war dann der erste echte öffentliche Auftritt des Chorlabors. Da konnten nicht nur die Sänger zeigen, was sie drauf haben. Auch Yüksel und König waren als Musikpädagogen  gefordert, denn sie animierten das Publikum, die vierte Stimme des Kanons zu singen. Das Ergebnis dieser improvisierten Musikstunde konnte sich durchaus hören lassen. Es war nicht nur für deutsche Ohren etwas Neues. Sogar Menschen mit türkischen Wurzeln können sich im Land ihrer Herkunft kaum einmal von solchen Spezialisten in die Musik ihrer Vorfahren einstimmen lassen. Das Ergebnis meinem Podcast zu hören: widmar-puhl.podspot.de






Keine Kommentare: