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Donnerstag, 28. Juni 2012

Meine Wien-Reise V: Jugendstil-Impressionen

Das Heizkraftwerk "Fernwärme Wien" (rechts vom roten Ampelmännchen) mit dem vergoldet wirkenden Schornstein links ist ein Werk von Friedensreich Hundertwasser. Kunst in dieser Form an den Stadtwerken ist spektakulärer als das Hundertwasser-Wohnhaus, das in jedem Wien-Reiseführer steht - und außerdem auf ganz andere Weise öffentlich, steht aber nicht im Baedeker

Stimmt schon: Hundertwasser ist nicht eigentlich Jugendstil. Aber was er beim Fernwärme-Heizkraftwerk von Heiligenstadt gemacht hat, steckt doch voller Anleihen an Jugendstil und Art deco, finde ich. Deshalb soll er mir als Einstieg für meine Wiener Jugendstil-Impressionen dienen. Denn Wien ist ohne Jugendstil nicht erfahrbar, nicht einmal in den Außenbezirken. Das zeigt diese "Nutz-Skulptur" besonders ein drucksvoll. Und keiner kennt es!

Wie gut der Jugendstil ins Stadtbild passt, zeigt sich besonders am Karlsplatz mit den beiden Stadtbahnpavillons aus dem Jahr 1901 von Otto Wagner links von der Karlskirche

Das ist nun wirklich Jugendstil und wesentlich mehr als ein Detail: Die U-Bahn ist schließlich zentraler Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs. Hunderttausende werden da täglich durchgeschleust, und die Menschen nehmen den Geschmack solcher Kunst osmotisch auf.
Das Jugendstil-Mekka schlechthin ist die Wiener Secession: Das Ausstellungsgebäude dieser Künstlergruppe, die der Kunst wieder eine neue Freiheit geben wollte und sich vom traditionellen Künstlerverband abspaltete (daher der Name) stammt von dem Architekten Joseph Maria Olbrich, der es 1897 aus weißen Kuben zusammensetzte. Ihr Markenzeichen und Hauptmotiv ist eine Metallkuppel, die aus 3000 vergoldeten Lorbeerblättern besteht.

Secession mit Mark-Anton-Gruppe
Die Mark-Anton (Marcus Antonius) von Arthur Strasser (1899) ist eine monumentale naturalistische Bronzeplastik des Historismus, den der Jugendstil ablösen wollte. Passt irgendwie trotzdem, oder?

Solche stilistischen oder formalen Kombinationen findet man auch in Lampenfüßen, Säulen, Kapitellen oder anderen Elementen der Gestaltung. Architektur und Kunst am Bau verschmelzen miteinander.
Manche finden´s kitschig, ich einfach nur schön.
Schildkröten-Vasen am Haupteingang der Secession
Riesige Vasen mit Mosaiken und Onamenten, die Schildkröten "tragen", flankieren den Haupteingang der Secession: ein schönes Detail und ein weiteres Beispiel für die verspielte Symbiose aus Naturmotiven und Ornamentik im Jugendstil. Der wohl bekannteste Künstler des Wiener Jugendstils war Gustav Klimt. Der Großmeister der erotischen Bilder gestaltete für die große Ausstellung der Secession im Jahr 1902 das berühmte "Beehovenfries".








Es ist der beherrschende Teil der (im übrigen kleinen) Dauerausstellung im Innern der Secession. Es illustriert Richard Wagners Interpretation der 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens mit einer symbolischen Darstellung der Suche der Menschheit nach dem Glück.


Die Kunsthalle und ihre Umgebung werden auch heute noch geprägt von modernem Fassadenschmuck, dem man ansieht, wie sehr er vom Jugendstil insipriert ist.




Ein besonders schöner Fall der Integration von Alt und Neu sind die Arkaden im Ferstel-Palais: ein riesiger Bau mit dem Café Central, Läden, Büros und Wohnungen, die sicher nicht billig sind.

Die Anlage unweit der Hofburg gilt zu Recht als Glanzstück im Städtebau. Man fragt sich, wie die Wiener das alles nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut haben - und schöner denn je.

Am Baumaterial wurde nicht gespart: echter Marmor, Stahl, Glas, Messing, edle Hölzer, Kunst am Bau und eine Ausstattung, die bis hin zu den Lampen viel Jugendstil und Art deco zeigt. Das alles fordert allein in der Pflege und Erhaltung einen enormen Aufwand. Als einziger Vergleich fällt mir die U-Bahn von Moskau ein - nur ist es hier entschieden wohnlicher und weniger voll. Das alltägliche Leben zu verschönern: das zentrale Anliegen des Jugendstils und seiner Zeit. Das gilt sogar für den Tod.
Einen ganz besonderen Eindruck bekommt man vom Gewicht dieser Stilepoche bei einem Besuch auf dem Wiener Zentralfriedhof. Um es gleich zu sagen: Wir waren hin und weg. Ok, es war der erste wirklich warme Frühlingstag, die Bäume schlugen aus und ich holte mir den ersten Sonnenbrand des Jahres, weil ich keine Kopfbedeckung dabei hatte und das zarte erste Blättergrün noch nicht den Hauch eines Schattens spendete. Aber trotzdem: Ich bin noch heute beeindruckt von so viel Schönheit, Traditionbsbewusstein und Sinn fürs Praktische in einem.
Ich bin in Salzburg aufgewachsen, habe 8 Mal Rom besucht, das Herz der Christenheit. Ich habe Istanbul und Madrid erwandert - also das alte Konstantinopel und die Stadt von Cervantes und Lope de Vega, habe die Alhambra von Granada, die Kathedrale von Córdoba, die Sagrada Familia von Antonio Gaudí in Barcelona, den Kölner Dom, die Meerjungfrau in Kopenhagen, den Hamburger Michel, die Grachten von Amsterdam, den Hradschin von Prag, die Fischerbastei in Budapest besucht. Ich habe die verbotene Stadt in Peking gesehen, London, Mailand und Paris. Wir haben mit Freunden und einer Flsche Sekt eine literarisch-musikalische Feier auf der Friedhofsinsel San Michele von Venedig gehalten. Trotzdem: Der Wiener Zentralfriedhof ist eimalig.

"Karl-Lueger-Kirche", Zentralfriedhof
Gleich hinter dem Haupteingang sahen wir die Kuppel der Friedhofskirche St. Borromäus, die Bürgermeister Karl Lueger 1910 hat bauen lassen und die deshalb in vielen Reiseführern "Karl-Lueger-Kirche" genannt wird. Aber das muss ein Irrtum sein. Dieser Mann war zu eitel für einen Heiligen und wollte sich hier ein Denkmal als Bauherr setzen. Was ihm gelungen ist - in all der Zwiespältigkeit, zu der nur ein Wiener imstande ist. Das hat meiner Bewunderung für das, was er hinterlassen hat, übrigens keinen Abbruch getan. Aber dazu gleich noch. Erst der allgemeine Teil der Erklärung:

Georg Kreisler (natürlich waren wir an seinem Grab, aber es gehört nicht in den Jugendstil) hat geschrieben: "Der Tod, das muss ein Wiener sein...". Und Helmut Qualtinger (natürlich liegt auch der geniale dicke Grantler hier) hat gemeint: "In Wien musst´ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang". An keinem Ort der Welt habe ich bisher intensiver Zwiesprache mit jenem Teil der Geschichte gehalten, der mir lieber ist als Schlachten und Herrscherhäuser: den Unsterblichen aus Literatur und Musik, Theater und Kunst.
Grit und ich standen vor vielen Gräbern von Menschen, die uns nicht kannten und die wir doch lieben. - Ein Widerspruch? Ich finde nicht, und wenn ja, bin ich stzolz darauf. Gut, es liegen ein paar große Künstler auch woanders begraben. Aber hier bekommt man das Gefühl: viele können´s nicht sein, trotz Scheremetjewo, trotz Montmartre. Irgendwie seltsam und anrührend, auf so viele Bekannte und Freunde zu treffen. Bevor ich aber morbid werde, wieder zu Karl Lueger und seiner Friedhofskirche.
Ein kluger Mensch hat mir einmal gesagt (oder zitiert?): Wenn man ein Volk verstehen möchte, sollte man seine Friedhöfe besuchen. Auch wenn ich für mich persönlich die Liste der Pflicht-Sehenswürdigkeiten mindestens um Toiletten, Müllkippen und Bibliotheken ergänze, da ist was dran. Die Ehrengräber entlang der Mittelallee im Wiener Zentralfriedhof sind schon eine Aussage darüber - ach was, ein Buch. Aber dann fing ich an, in Luegers Friedhofskirche zu fotografieren. Dort arbeitete ein Profi, und der sagte zu mir: "Gehen Sie in die Krypta. Wer dort nicht war, der war nicht in Wien".

Karl-Lueger-Gruft und "Grabbeigaben"
Die Lueger-Gruft kann man leider als Normalsterblicher nicht betreten. Ich habe mich trotzdem bemüht, Fotos zu machen, auf denen man möglichst viel sieht - daher diese Auswahl, obwohl sich das Blitzlicht in der Glasfront spiegelt. Andere Aufnahmen ohne Spiegelungen sind technisch besser, sagen aber weniger: Es geht um die Kranzschleifen rechts und links des Sarkophags aus weißem und rotem Marmor. Die verfaulen nicht und halten für alle Ewigkeit die Schmeicheleien und Lobhudeleien fest, die ihm die Trauergemeinde angedeihen hat lassen. Es (nicht er) muss eine "schöne Leich" gewesen sein, die seiner Eitelkeit entsprach. Fachleute werden interpretieren können, was sie bedeuten. Und sicher ist das Ergebnis schon irgendwo schriftlich festgehalten für Archäologen aus dem fernen All, die einst eine erkaltete Erde besuchen und auch die ägyptischen Königsgräber finden werden.

"Karl-Lueger-Kirche"
Die Friedhofskirche lässt aus der Nähe schon außen die dekorativen Elemente des Jugendstils erkennen. Sie sitzt aber wie ein Pfropfen auf dem Schatzkästlein in der Krypta. Innen ist sie liebevoll mit bunten Glasfenstern, Mosaiken und Fresken ausgestattet. Vieles davon ist inzwischen historisch und originell, manches auch schön.
"Karl-Lueger-Kirche", Kuppel
Selten habe ich beispielsweise ein derart leuchtendes Blau gesehen wie in der zentralen Kuppeldecke. Nur hat meine billige Idiotenkamera leider keinen dafür ausreichenden Weitwinkel-Zoom. Grit kann´s besser, aber das Urheberrecht soll ihr bleiben. Mein unvollkommenes Bild zeigt schon, was ich meine.

"Karl-Lueger-Kirche" innen
Hier kann man sich wirklich eine pompöse Beerdigung vorstellen: mit getragener Blasmusik zum Beispiel, mit Verdis Requiem, der Arie "Casta Diva" aus Bellini´s "Norma", gesungen z.B. von der Netrebko, die ja in Wien eh eine Wohnung hat, mit einem schönen Männerchor oder ganz schlicht mit einem gregorianischen Choral. Aber wer kann die heute noch?
Aber ich werde schon wieder morbid - dabei möchte ich nur sagen, was für Gedanken mir bei solchen Bildern durch den Kopf gehen.
Der Zentralfriedhof inspiriert, und das ist ja nicht selbstverständlch. Ob die Elfriede Jelinek auch einmal hier liegen wird? Das Schimpf-Weib könnte mir den Aufenthalt vermiesen, ich kann Erynnien nicht leiden, auch keine modernen. Aber ich will ja hier auch nicht einziehen. Nur mich ein wenig erinnern an eine wunderbare Reise und den Wienern in Erinnerung rufen, was für Schönheiten sie vor der Haustür haben.
Ein Architektur- und Kunstführer hätte jetzt sicher ganz andere Prioritäten gesetzt und viel vollständiger, systematischer und endgültiger über den Wiener Jugendstil geschrieben. Aber ich liebe es, meine Eindrücke selbst zu formulieren und meine Fehler selber zu machen. Es sind meine Impressionen, und die mache ich meinem Wiener Freund Georg Bruckner zum Geschenk, weil er 60 Jahre alt wird.
Übrigens: Schöne und preiswerte Mitbringsel im Wiener Jugendstil konnten wir in den "Österreichischen Werkstätten" erwerben (Kärntnerstraße 6).







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