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Freitag, 13. April 2012

Buchtipps in Kürze

 Ein herrlich wütendes Buch

Renan Demirkan (Foto: Ayshe Gallé)
"Respekt" von Renan Demirkan ist einer dieser Glückstreffer, die man in einem Rutsch durch lesen kann. Wo andere angesichts Grassierender Sarrazinaden über Toleranz nachdenken, geht diese Deutschtürkin weiter bzw.tiefer. Diese so zart wirkende, so stark formulierende und so intensiv lebende Schauspielerin zeigt einmal mehr, warum sie 1998 das Bundesverdienstkreuz erhalten hat.

Ihr drittes Buch ist eine Auseinandersetzung sowohl mit Intoleranz als auch mit falsch verstandener Toleranz, die zu sozialer Ausgrenzung führt und scheinbare Freiheiten gewährt, weil sie Gleichberechrigung nicht erträgt: "Jedoch sichert diese Sicht von Freiheit nur denen besondere Vorteile, die der Gesichertheit ihrer Macht gewiss sein können. All jenen, die sagen: Hier bestimme ich die Richtlinien, und der Rest ist Personal". Die unselige Debatte um eine Leitkultur klingt da an, aber auch der Philosoph Herbert Marcuse, den Demirkan besser kennt als die meisten Deutschen. Der beschreibt die verbreitete Foem von Toleranz als unparteiisch, weil sie "davon absieht, sich zu einer Seite zu bekennen und damit die etablierte Maschinerie der Diskriminierung" in Gang hält. Sie wird auf politische Verhältnisse, Verhaltensweisen oder Lebensbedingungen ausgedehnt, die kein anständiger Mensch tolerieren darf: Null Toleranz für Unmenschlichkeit und Intoleranz.
Im Gegensatz dazu ihre Forderung nach Respekt gegenüber dem anderen, auch dem Fremden. Respekt nimmt den anderen an und lässt ihn so sein, wie er ist, ohne herablassende "Duldung". Respekt ist zwar ohne Gerechtigkeit nicht zu haben, aber nicht identisch damit, weil Gerechtigkeit nicht alles ist: "Wenn aus Gerechtigkeit Demütigung wird, wird aus Scham Gewalt und aus Frieden Krieg." Die Autorin setzt sich mit Verhältnissen auseinander, die unter "Effizienz" nicht die Verbesserung der Arbeit verstehen, sondern deren Abschaffung, um deren Ersatz durch digitale Systeme. Menschen stören da nur. "Die Einführung der Zeitverträge ist für mich nicht nur der größte Bluff der modernen Arbeitswelt, sondern neben der atomaren Verseuchung und der Zerstörung der Umwelt eine der größten Menschenrechtsverletzungen der Moderne" - für solche Sätze muss man diese Frau lieben.
Derlei Effizienz bricht zusammen bei jedem Stromausfall oder Schneesturm, Börsencrash oder PC-Virus. Stattdessen fordert sie Kreativirät und Menschlichkeit: Einstellungen, die eine Lösung für Probleme finden und systemrelevanter sind als jede Bank. Renan Demirkan geißelt eine Denke, die radikale Flexibilität predigt, ständige Verfügbarkeit, Mobilität und absolute Bildungslosigkeit. Bill Gates, Steve Jobs und solche Leute mögen so funktionieren, aber keine Gesellschaft. Deshalb sind diese "Führungskräfte" asozial und nicht besser als die Mitglieder von Kreuzberger Straßengangs: "Es ist fast unmöglich", schreibt Demirkam, "sich verantwortlich zu fühlen für eine Arbeit auf dem Schleudersitz, ganz gleich in welchem Lohnsektor. Ob als Lehrer oder als Handwerker mit Zeitvertrag. Ob als Schauspieler oder als Altenpfleger". Unbedingt lesen! Erschienen, das muss auch mal gesagt werden, im katholischen Herder Verlag.
Renan Demirkan: "Respekt". Herder Verlag, Freiburg i.Br., 159 S., 16,95 €


Demokratie denken



Miguel Abensour ist Professor für politische Philosophie in Paris. Und da wir solche Leute gar nicht haben, sollte man sein Buch "Demokratie gegen den Staat" lesen. Was haben der Kaiser von China, Baschar al Assad, Barak Obama und Angela Merkel bei aller Verschiedenheit gemeinsam? - Sie denken, sie hätten schon allein deshalb Recht, weil sie regieren, weil sie die Macht haben, weil sie den Staat leiten und repräsentieren. Irrtum, sagen Millionen in New York und Madrid, Damaskus und Kairo, Athen und Tel Aviv, Stuttgart und Berlin, London und Frankfurt, übrigens auch in St. Petersburg, Peking und Teheran. Sie gehen auf die Straßen und fordern hartnäckig wie noch nie gegenüber dem Staat ihre Rechte ein. Welche Rechte? Was ist auf einmal los? Nicht nur arabische Despoten, sondern auch demokratische Regierungen tun sich schwer damit.
Vielleicht muss Demokratie neu gedacht werden. Miguel Abensour versucht diesen Weg und beginnt überraschend - bei Karl Marx. Den hatte bisher niemand so recht im Verdacht, ein Demokratietheoretiker gewesen zu sein. Doch seine frühen Schriften, die bis 1990 weitgehend im Giftschrank sozialistischer Archive versteckt lagen, scheinen das Gegenteil zu beweisen. In diesen Schriften zeigt sich eine Theorie der Demokratie, bei der die Demokratie nicht identisch ist mit dem Staat, der sie angeblich verwaltet. Wer das deutsche Grundgesetz gelesen hat, ahnt schon:  Demokratie entsteht aus dem Volk heraus, und auch alle Macht im Staate geht vom Volk aus. Tja, nichts zu machen: Das lässt sich mit den aktuellen Machtverhältnissen oft nicht vereinbaren. Das Volk will mitreden und teilhaben an der Macht. Da bricht sich etwas Bahn, und hier ist die Theorie dazu:
Miguel Abensour: "Demokratie gegen den Staat", Suhrkamp Verlag, Berlin, 269 S., 24,95 €


Schatten im Netz: "Cybercrime" oder wie Hacker von Armeen lernen



Nicht zufällig hat der britische Journalist Misha Glenny seine ersten Bücher über das organisierte Verbrechen gescheieben (McMafia", 2008). Jetzt ist er konsequent im Internet gelandet mit dem Titel "Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter". Es ist nicht lustig, aber es ist höchst unterhaltsam, zu lesen, wie nah jeder Inhaber eines PC, eines Smartphone oder einer Kreditkarte daran ist, Opfer eines Verbrechens zu werden. Oder wie leicht es sein kann, dass er es längst geworden ist, denn gute Hackerangriffe bemerkt man nicht. Der Mensch ist faul, und Gewöhnung an die dienstbaren digitalen Geister hat auch gefährliche Abhängigkeiten entstehen lassen.
Ich habe es jedenfalls schon einmal am eigenen Leib bzw. Konto gespürt: Irgendwann fiel mir auf, dass seit drei Monaten ein unerklärlich krummer Betrag von 29,95 € abgebucht wurde, den ich nirgends zuordnen konnte. Im aktuellen Monat konnte ich die Bank anweisen, die Abbuchung als ungerechtfertigt zurückzurufen und die "Erlaubnis" zu streichen, die ich nie erteilt hatte. Aber weiter zurück ging nichts. Ende der Fahnenstange war bei einer schwarzen Liste mit Briefkastenfirmen. Rund 90 € waren weg, vermutlich in irgend einem digitalen Bermudadreieck auf dem Balkan, in Ostasien oder Afrika. Der Kern des Tricks: Der Betrag war unauffällig klein. Das merken nur wenige, und wer es merkt, geht wegen so was nicht zur Polizei und führt einen Riesen-Papierkrieg. Millionanfach durchgezogen rechnet sich das enorm. Gangster wissen das. Sie haben es meistens von Banken oder Versicherungen oder gar vom Finanzamt gelernt, wo genau das Gleiche als "Fehler" vorkommmt, der kaum je korrigiert wird, weil die Korrektur die Mühe kaum wert ist.
Das Leben im Internet hat große Vorteile. Digitale Kommunikation ist schnell und bequem und daher fast allgegenwärtig - von der Supermarktkasse bis zur Fernsteuerung einer tödlichen Rakete. Die Kehrseite der Medaille: als Nutzer sind wir verwundbarer, als die meisten glauben. Mit dem Fortschritt der Computerprogramme und der Alltagstauglichkeit von Techniken wie Bankomat, Handy-Spionage, Navigationsgerät oder dem praktischen Fernzugriff auf meinen Computer bzw. meine E-Mails steigt der kriminelle Missbrauch explosionsartig an. Jeder Durchschnittsjournalist, Fernfahrer oder Hobbysegler hat heute mehr digitale Technik an Bord als vor 20 Jahren ein Flugzeugträger der US-Army. Und das Zeug ist so billig und so einfach zu benutzen, dass jeder Halbwüchsige bis hin zum grenzdebilen Schulabbrecher damit umgehen kann. Und da wundern wir uns, wenn einige auf dumme Gedanken kommen?
Misha Glenny zeigt: nie war es so schwer, mit ehrlicher Arbeit Geld zu verdienen, weil es noch nie so leicht war, mit ein paar Mausklicks ans Geld anderer Leute zu kommen. Er bietet einen tiefen Einblick in die Welt der Hacker, Spione und digitalen Betrüger . Sie leiten auf falsche Websites um, wo Kontonummern und Passwörter abgefischt werden. Sie leiten ahnungslose Telefonsex-Kunden um auf exorbitant teuere Nummern im Ausland, und die Beute teilen sich ein paar Girls mit den Betreibern. Oft gehört es zur Strategie solcher Banden, gezielt Kranke und Alte auszuspähen, die emotional oder psychisch gestört, einsam, suchtkrank und somit extrem leicht auch hier abhängig zu machen sind. Manche Datenbanken im Gesundheitswesen sind für solche Leute die reinsten Kundenlisten. Wie viele Selbsthilfegruppen bieten bereitwillig Kontaktdaten an? Und schon hängen sie am Haken.
Den Zynismus und die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Szene teilweise agiert, hat sie ebenso wie die Technik von Geheimdiensten und Armeen gelernt. Die spionieren sich schon seit der Erfindung des Cyberspace gegenseitig aus und führen inzwischen regelrechte Kriege auch mit ferngesteuert manipulierter Hardware. Nordkorea, China, aber auch Israel und die USA (zuletzt im Fall der iranischen Atomreaktoren, in die sie einen Computerwurm einschleuseten) sind hier führend. Aber auch die Bundeswehr hat inzwischen ein Batallion von Cyberkriegern eingerichtet, um Angriffe auf deutsche Infrastruktureinrichtungen aus dem Netz abwehren zu können. Gefährdet sind vor allem Kraftwerke, Pipelines, Energieversorgung, Verkehrsleitsysteme, Flugsicherheit und öffentliche Verkehrsmittel. Aber auch Sie, liebe Leser. Hier können Sie mehr über die miesen Tricks erfahren, um ihnen auszuweichen:
Misha Glenny: Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter". DVA, München, 352 S., 19,99 €

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