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Samstag, 19. November 2011

Karl-May-Connections

Der 100. Todestag von Karl May am 30.März 2012 wirft lange Schatten voraus. Nicht nur in Form eines Theaterabends von Thomas Thieme (wen wundert´s: ein gefeierter DDR-Schauspieler und bekennender Karl-May-Fan) bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen 2011. Auch in allerhand neuen Büchern. Ein Job für Fährtenleser wie Old Shatterhand, Winnetou & Co:

 Was Rüdiger Schaper in seiner Biographie "Karl May - Untertan, Hochstapler, Übermensch" trotz vieler kluger Analysen übersieht: Die Verwandtschaften des Dichters aus Radebeul bei Dresden (ehemals DDR) reicht weiter als bis zu Franz Kafka. Der wählte sicher nicht zufällig den Namen Karl Roßmann für den traurigen Helden seines unvollendeten Jugendromans "Amerika" - Karl wie Karl May, Rossmann wie jener todesmutige Reiter Old Shatterhand alias Kara Ban Nemsi - , um naive Kinderträume zu personifizieren. Rossmann geistert weiter durch die Literaturgeschichte, als Schaper klar ist.

1.Antonio Muñoz Molina hat eben einen grandiosen 1000-Seiten-Roman über den spanischen Bürgerkrieg veröffentlicht. Darin spielt ein gewisser Karl Ludwig Rossmann eine große Rolle als Lehrer, bei dem die Hauptfigur Ignacio Abel am Weimarar Bauhaus Architektur studiert hat. Immer wieder er­innert sich Abel an das Bild seines jüdischen Lehrers im Leichenschauhaus des repubkikanischen, von Francos Faschistentruppen belagerten Madrid. Rossmann war erst aus Nazi­deutschland nach Moskau und von dort nach Madrid geflüchtet. Dort hatte der ehemals hoch angesehene Professor Füller repariert und verkauft, bis ihn irgendwelche Milizen als verdächtiges Subjekt erschossen. Abel hätte ihm vielleicht helfen können, wenn er früher gesucht hätte. Das ist also eher die Kafka-Linie: Rossmann / Roßmann als Inbegriff des glücklosen Deutschen, der im Ausland Rettung von einer stiefmüttlerlichen Heimat sucht und nicht findet.

2. Der Rossmann Kafkas musste in Amerika als Heizer schwitzen und arbeiten. Als Heizer in einem Stahlwerk schwitzte tatsächlich der bedeutende DDR-Autor Wolfgang Hilbig. Ein Arbeiterdichter der DDR, der in seinem Staat niemals anerkannt wurde und bis zu seiner Ausreise in den Westen immer Arbeiter blieb, der aber auch im Westen von seiner Trunksucht nicht geheilt werden konnte und sich depressiv zu Tode soff. Hilbig kannte sowohl Karl May als auch Kafka bestens. Den "Beruf" Rossmanns hat er sich wohl absichtlich so lange erhalten, um auf seine Underdog-Existenz hinzuweisen - eine Chiffre, für die nicht nur DDR-Behörden, sondern auch westliche Literaturktitiker zu dämlich waren. In Dresden-Radebeul kannte sich Hilbig ebenfalls aus, aber Karl May war in der DDR offiziell als "Schund-Autor" und Phantast verfemt, während man Hilbig übel nahm, dass er kritisch über ein "Arbeiter- und Bauernparadies" schrieb, das Unmwelt und Menschen kaputt machte. Da wären noch jede Menge Doktorarbeiten über Verbindungen möglich, wenn man denn Karl May endlich ernst nähme.