Seiten

Freitag, 10. Juni 2011

Meine Wien-Reise II: Denkmäler und kulturelle Identität



Vor dem Wiener Parlament erinnert eine Statue der Pallas Athene an das römisch-griechische Kulturerbe Europas, vor allem aber an die Erfindung der Demokratie in Griechenland. Man kann nachdenklich werden, wenn man erlebt, wie die "Europäische Gemeinschaft" in diesen Tagen Griechenland mit neoliberalen Sanierungs- und Privatisierungsprogrammen für die Verschwendung vergangener Jahre zu bestrafen versucht und dabei gnadenlos kaputt spart.Was ist da noch demokratisch?

Aufmerksam wurden wir auf solche Zusammenhänge durch meinen Freund, den Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Allgemein bekannt wurde Irenäus Eibl-Eibesfeldt nur als Naturwissenschaftler, der mit Hans Hass auf den Galapagosinseln spektakuläre Filme über die Paarungskämpfe der jetzt berühmten Meeresechsen drehtge. Doch er ist auch ein Provokateur, der von der „Biologie des menschlichen Verhaltens“ spricht und eigentlich „biologische Grundlagen“ meint.

Ab 1983 ist die Schweizer Kunsthistorikerin, Germanistin und Hirnforscherin Christa Sütterlin Eibls engagierteste Mitstreiterin. Und seitdem werden ihm Kultur und Politik immer wichtiger, seine Thesen immer umstrittener. Er polemisiert gegen eine Gesellschaft des Misstrauens -  lange bevor die Deutsche Bahn Hunderttausende ihrer Mitarbeiter ausspioniert. Er attackiert die Ellbogengesellschaft und eine lediglich ökonomische Globalisierung, als diese noch "alternativlos" erscheinen. Statt eines kurzatmigen Wettlaufs ums schnelle Geld fordert Eibl (wie Hans Küng) im ökologischen und sozialen Bereich ein generationenübergreifendes Ethos des Überlebens. Als hätte er die Proteste vorhergesehen, die heute  junge Araber, Griechen, Spanier und Deutsche vereint in dem Vorwurf an eine kleine, reiche Minderheit, ihnen die Zukunft zu rauben und dabei die Demokratie zu beschädigen.


Beide, Sütterlin und Eibl-Eibesfeldt, sind Grenzgänger zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. 2007 erscheint ihr Gemeinschaftswerk „Weltsprache Kunst. Zur Natur- und Kunstgeschichte bildlicher Kommunikation“. Ausgiebig beschrieben sind dort die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Gefahren dessen, was wir „kulturelle Identität“ nennen. Die entwickelt sich laut Eibl über verschiedene Stufen der Integration: Familie, Clan, Stadt, Nation – und dann zum Beispiel Europa. Die Brutpflege ist für Eibl vor allem deshalb eine „Sternstunde der Evolution“, weil sie im Modell der erweiterten Familie den Beginn jeder Gruppen-Identität darstellt, auch einer kulturellen. In einem Interview sagte er mir:
"Mit der Familie kam auch „Das Wir und die anderen“ in die Welt, die Verteidigung der kleinen Familie zunächst, und der erweiterten Familie der Gruppe, die über Sozialtechniken immer wieder auf einer anderen Ebene besetzt werden kann, affektiv, als „Wir“, die familia. „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“: eine Utopie nicht notwendigerweise, wenn man die basaleren respektiert!"


Der Generalist Eibl sucht nach ganzheitlichen Beschreibungen menschlichen Verhaltens aus naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Sicht. Auch historische Wahrnehmung und kulturelle Identität, so Eibl, lassen sich in seinem Stufenmodell der erweiterten Familie oder Gruppen-Identität beschreiben. Als Beispiel dafür nennt er die Denkmäler Wiens. Sie feiern den Wiener Lokalpatriotismus, Österreich, die deutsche Kulturnation und das Heilige Römische Reich deutscher Nation - in gewisser Weise sogar Europa vor der EU. O-Ton Eibel-Eibsefeldt:


"Rüdiger von Starhemberg hat ein Denkmal als der Verteidiger von Wien. Erzherzog Karl hat ein Denkmal: steht doch auf der einen Seite „Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre“ und auf der anderen Seite „Dem siegreichen Führer der österreichischen Heere“. Das war nie für uns Deutsch-Österreicher eine Schwierigkeit, die deutsche Identität, sondern sie war selbstverständlich. Und sie drückt sich auch darin aus: Goethe, Schiller, Beethoven genau in gleich großartiger Position mit Schubert, Haydn, Mozart, Grillparzer usw.: Mischt sich durcheinander."

 
Mozart-Denkmal auf dem Wiener Zentralfriedhof - und ganz in der Nähe auch ein Platz für Beethoven

Denkmäler erzählen aber auch eine Geschichte des Krieges, die als kollektive Aggression ebenfalls zum Teil genetische und biologische Wurzeln hat, sagt Eibl. Bei den Yanomami im Amazonas-Regenwald hat er selbst erlebt, wie im Kampf körpereigene Drogen freigesetzt werden, und wie sich Menschen unter dem Einfluss dieser Endorphine verhalten:

"Ich hab selbst erlebt, wie in kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen ich teilnahm, zwei Mal, Pfeil-Getroffe zwar sich zurückziehen, und auch weg getragen werden, wenn sie schwer verwundet sind, wie der Schmerz aber erst viel später kommt. Auch der Blutrausch ist ja ein Phänomen, das es gibt. Zwei Dinge spielen dabei eine Rolle: Das erste ist die Angst, dass der mich schneller umbringt als ich ihn. Das zweite ist, dass sie gleichzeitig in diesem Endorphin-Rausch auch in den Gefühlen abgestumpft sind. Danach, das Erwachen daraus, einen Tag oder zwei Tage später: Selbst bei den Yanomami-Indianern, die sich ja wirklich erstaunlich rücksichtslos umbringen im Krieg, muss ja der erfahrene Krieger, der getötet hat, Sühnerituale absolvieren. Also: sich säubern, sich jeden Tag waschen. Er muss sich mit Brennnesseln abreiben, muss sich der Nahrung und vieler anderer Dinge, die gut sind, enthalten, bis er wieder gesäubert ist."


Solche Sühnerituale, vermutet Eibl, sind notwendig, damit der Mensch verarbeiten kann, was er im Krieg getan hat: Wer beichtet und büßt, hat bessere Chancen, dass kein posttraumatisches Belastungssyndrom zurückbleibt. Doch selbst hoch entwickelte Sozialtechniken in Zivilisation und Kultur können missbraucht werden. Weil der Mensch manipulierbar bleibt, warnt Eibl besonders vor der Verherrlichung von Gewalt. Denn die schafft etwas, das länger hält als jeder Blutrausch.

Jahrzehnte schon erforscht er die Abgründe der kollektiven Aggressivität. Sie ist ihm als Pimpf bei den Nazis ebenso begegnet wie bei Militärparaden zum 1. Mai in Moskau oder Ostberlin. Deshalb teilt er die Vorbehalte seines Landsmannes, des Schriftstellers Thomas Bernhard, gegen einen falschen nund gefährlichen Nationalismus auch in Österreich. Kriegerdenkmäler finden sich wahrscheinlich überall in der angeblich zivilisierten Welt, aber selten in solcher Dichte wie am Wiener "Heldenplatz" - so auch der Titel eines umstrittenen Theaterstücks von Thomas Bernhard. Auf diesem Platz steht neben Prinz Eugen, dem "Retter vor der Türkengefahr", auch Erzherzig Karl, hoch zu Ross eine Standarte im Freiheitskrieg gegen Napoleon schwingend.

Eibl sieht die Rückfallgefahr angesichts kritikloser Nationalbegeisterung ewig-gestriger Gruppierungen wie den Anhängern von Jörg Haider:

"Die Begeisterung: Die ist ein Phänomen, das diese Form der kollektiven Aggression von allen anderen Aggressionsformen unterscheidet. Denn wer eine Bank beraubt, ist nicht begeistert. Und der einem im Gewerbe das Haxel stellt, ist nicht begeistert. Begeistert ist der, den der Schauer der Ergriffenheit überläuft, beim Anblick des sakralen Zeichen einer Gemeinschaft, bei den Hymnen usw. Und der dann dieses Heldengesicht macht."

Angesichts dieser "Heldenhaltung" läuft es dem alten Mann immer noch kalt den Rücken hinunter. Aber Eibl ist Österreicher. Dass dieser Röntgenblick in die Seele seiner Landsleute von innen kommt, finde ich ausgesprochen tröstlich. Auch die Araber müssen ihre bösen Geister selber vertreiben, damit es nicht heißt, solche Kritik sei imperialistisch oder "westlich".

Keine Kommentare: