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Sonntag, 19. Juni 2011

Highlights: Die Brandenburgischen Konzerte im Ludwigsburger Schloss



Die "Six Concerts avec plusieurs instruments" von Johann Sebastian Bach, die der Komponist 1721 dem Markgrafen von Brandenburg widmete, sind schon eine besondere Sammlung von Konzerten. Wenn sie in einem Barockschloss gespielt werden, trifft das erst recht zu. Und wenn alle sechs an einem Abend zu hören sind, ist das eine absolute Seltenheit. Vielleicht lag es an der Nähe der Internationalen Bachakademie in Stuttgart, jedenfalls war der Ordenssaal des Ludwigsburger Residenzschlosses am 18. Juni rappelvoll. Und das Publikum hielt die Aufmerksamkeit ebenso volle drei Stunden durch wie erlesenen Solisten des umwerfenden Festspielorchesters ihr Niveau.
Es war ein Fest für die Ohren. Ohne Dirigenten, aber unter der Leitung des Barockgeigers Rüdiger Lotter spielten die Musiker einfach den Regensturm draußen nieder: eine unglaubliche Olga Watts am Cembalo erinnerte daran, dass der Virtuose Bach diesen Teil der Partitur eigentlich für sich selbst geschrieben hat. Laura Vukobratovic und Hanns-Peter Westermann spielten einen Dialog von Trompete und Oboe, wie ich ihn souveräner und zugleich intimer noch nie gehört habe. Stefan Temmingh und Simone Nill an den Blockflöten boten die hohe Schule dieses Instruments, und Michael Schmidt-Casdorff tat es ihnen an der Querflöte gleich.

Es wäre aber nicht fair, die Geigen, Bratschen, die sensiblen, vielseitigen Celli und den unglaublich vollen Bass an den Rand zu drängen. Sie waren in wechselnden Besetzungen jederzeit ebenso präsent wie die Solisten. Wie überhaupt das Ganze ein Stelldichein der Solisten war: wie in einer Jam-Session gaben sie die Staffette der Soli untereinander weiter, in Rhythmus und Ausdruck einer Jazz-Formation ähnlich. Der "Beat" kam hauptsächlich durch die rhythmisch eingesetzten Bässe zum Tragen; aber schon die Partitur ist so "fetzig", dass ich nicht übel Lust hätte, sie mal mit einem guten Schlagzeug zu unterlegen. Das stand Bach noch nicht zur Verfügung, aber er hatte es im Blut, das war hier besonders gut zu hören.

Freitag, 10. Juni 2011

Meine Wien-Reise III: Paläste für Adel und Bürger

Wiens Ringstraße, die im 19. Jahrhundert als Prachstraße auf den geschleiften und nicht mehr sinnvollen Festungsanlagen aus der Zeit der Türkenkriege gebaut wurde, war auch unser zeitweiliges Basislager: angemessen und lehrreich. Das Dach überm Kopf: Das Radisson Blu Palais Hotel, enstanden aus dem 1872 erbauten Palais Henckel von Donnersmarck (ja, da kommt der Regisseur und Oscar-Preisträger also her!) und dem Palais Leitenberger.
















Die klassizistischen Paläste sind natürlich heute wie damals für normale Menschen zu teuer im Unterhalt. Sie beherbergen Versicherungen und Behörden, Nobelgeschäfte und Restaurants, Handelsniederlassungen und Fluggesellschaften, Kanzleien und reiche Leute - und eben zahlreiche bessere Hotels. Derzeit wohl  die Top-Adresse dieser Nobelherbergen unter Denkmalschutz ist das Hotel Imperial. Aber auch das Shangri La bezieht hier gerade einen Block.

Von hier aus kann man den ganzen 1. Bezirk (Innenstadt im engeren Sinn des Wortes) zu Fuß erkunden. Allerdings braucht man dazu gesundes Schuhwerk und eine leidliche Kondition. Wenn nicht vorhanden: Da fährt auch die Straßenbahn. Mit dem Auto möchte ich hier aber nicht unterwegs sein, weil es Wochen oder Monate dauern würde, bis man die ganzen Einbahnstraßen im Griff hat.

Innen dürften die meisten dieser Innenstadt-Palais so aussehen wie unser Hotel. Mit Ahnengalerie im Treppenhaus, die dem Gast wenig sagt, aber dem kunsthistorisch interessierten Publikum erhalten bleibt.
Typisch auch der Stilmix aus Klassizismus, Jugendstil, Neo-Renaissance und anderen, oft namenlosen Spielarten einer Ästhetik, die dem Genuss verpflichtet ist - optisch und auch sonst.

Schon die Lobby (die heute vermutlich wirklich ein Lobyistentreff ist) vermittelt einen Eindruck von der großzügigen, aber nicht ungemütlichen Bauweise. Kein schlechter Treffpunkt - und fürs Personal am Empfang leicht im Auge zu behalten.














Hier bekommt man Zeitungen, Getränke und Snacks, bei Bedarf ein Taxi oder Mietwagen, Auskünfte und - so man Zeit hat - immer etwas zu sehen. Wenn nicht gerade ein ganzer Kongress ein- oder auscheckt (im 1. und 2. OG gibt es dazu die passenden Tagungsräume), hält sich die Unruhe des Kommens und Gehens in Grenzen.

Besonders phantasievoll sind oft die Innenhöfe der Palais gestaltet - hier unser Donnersmarck-Hotel. In Wien bläst viel Wind, der würde sich auch in den Innenhöfen verfangen und ihre Nutzung erschweren. So hat man die meisten verglast - in einer Zeit, als Glas- und Metallbau noch auf Gusseisen basierten und etwas Neues waren.

So bleibt das Tageslicht erhalten (so vorhanden), und die Architektur spielt mit Symmetrie und einem reizvollen Wechsel von Außen und Innen. Diese Bauweise spoart aber auch Energie in einem Ambiente, das sonst eher durch Verschwendung gekennzeichnet bleibt.
Alma Mahler sollte unbedingt so ein Palais und bekam es, die nymphomanische, herrische und kunstbesessene Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler. Hier konnte sie ihre Wiener Seilschaften als Mäzenin pflegen und saß wie die Spinne im Netz ihrer Beziehungen, Intrigen und Liebschaften, derweil der Gemahl auf Konzertreisen war oder die Stadt, den Hof und die ganze Mischpoche der feinen Gesellschaft zum Kotzen fand.




Diesen Blick über die Dächer von Wien (in der Mitte die Kuppel der Karlskirche) hatten wir aus unserem Zimmer im Hotel. Das erzeugte Behéme-Gefühle, die auch architektonisch bestätigt wurden: Paläste - oder besser einen einzigen riesigen Palast hat Wien auch für Bürger gebaut. Über einen Kilometer lang ist der Karl-Marx-Hof des expressionistischen Architekten Karl Ehn, erbaut ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise von 1937-1030 im Auftrag der sozialdemokratischen Stadtregierung. Es war ein Projekt gegen die Wohnungsnot mit Modellcharakter bis heute.



Das monumentale Symbol für das "rote Wien" wurde wie andere, meist kleinere Anlagen finanziert durch Luxussteuern auf Champagner, Dienstmädchen, Autos und andere Accessoirs des gehobenen Lebensstils auf der Ringstraßenseite der Wiener Gesellschaft. Die Wohnungen waren im Schnitt 40 Quadreatmeter klein, die Mieten erschwinglich. Die "Arbeiterschließfächer" der Plattenbauten im real existierenden Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg waren im Vergleich dazu Elendsquartiere. Denn hier im Karl-Marx-Hof gab es von Anfang an fließend kaltes und warmes Wasser, günstige Strom- und Gastarife sowie eine vorbildliche Infrastruktur: Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Waschküchen, Gaststätten (zum Teil bis heute in Betrieb), Läden, Bibliotheken, Kindergärten, Freibäder und "Kunst am Bau". Manche der heutigen Bewohner sind schon als Kleinkinder dort in der Heiligenstädter Straße eingezogen, und die meisten wollen nie wieder weg.

Auch ruhige Innenhöfe mit sonnigen Balkons für die Hälfte der 1252 Wohnungen zeigen, wie erstrebenswert Großstadtleben schon damals sein konnte. 

Dass hier eine Hochburg der Arbeiterbewegung entstand, die bis heute polarisiert, wundert mich nicht. Die Straßenbahn vor der Haustür, die Arbeit nicht weit: Davon z.B. träumen Pendler heute zu Millionen in ganz Europa. Als wir dort waren, entstand gerade eine riesige Tiefgarage für die automobilen Bewohner des Karl-Marx-Hofes, und der Park vor der frontalen Hauptfassade an der Heiligenstädter Straße wurde deshalb zum Großteil neu angelegt. Kein Wunder, dass auch diese Anlage längst unter Denkmalschutz steht.

Kunst am Bau ist keine Erfindung der Zeit nach 1945.

Ich finde, man sollte alle frisch gewählten Kommunmalpolitiker Europas hierher zu einer Besichtigung einladen. Dann können sie studieren, was möglich ist im sozialen Wohnungsbau - und was immer noch unmöglich ist: soziales Denken bei asozialen Leuten zu erzeugen.

Solche Leute gibt es auch in Wien natürlich auch im Jahr 2011 noch.Sie zeigen sich nicht unbedingt bei Tageslicht, aber ihr Wirken im Dunkeln hinterlässt offenbar häufiger Spuren als das Geld für deren Entfernung reicht.

 




Diese Gedenktafel an der Rückseite des Blocks hängt zu hoch für Vandalen: Sie erinnert an den Arbeiteraufstand gegen den bewaffneten Austrofaschismus im Jahr 1934, der hier ein Zentrum hatte und der von der Regierung mit Kanonen zusammengeschossen wurde.


Was dann 1938 nach der Machtübernahme der Nazis geschah, hat ebenfalls eine hoch gehängte Gedenktafel an der Rückseite festgehalten:
60 Familien wurden wegen "nicht-arischer Herkunft" aus dem Karl-Marx-Hof vertrieben

Die Namen der Verjagten sind hier verewigt. Einge von ihnen landeten von hier aus direkt im KZ.

Nach der Generalsanierung des Karl-Marx-Hofes in den Jahren ab 1990 wurden einige Wohnungen zusammengelegt. Die meisten blieben aber so klein, wie sie immer waren - und so zahlreich. Die ursprüngliche Idee gilt ja nach wie vor: Möglichst viele Menschen sollen in der Millionenstadt Wien eine lebenswerte Umgebung und eine menschenwürdige Wohnung finden.

 





Meine Wien-Reise II: Denkmäler und kulturelle Identität



Vor dem Wiener Parlament erinnert eine Statue der Pallas Athene an das römisch-griechische Kulturerbe Europas, vor allem aber an die Erfindung der Demokratie in Griechenland. Man kann nachdenklich werden, wenn man erlebt, wie die "Europäische Gemeinschaft" in diesen Tagen Griechenland mit neoliberalen Sanierungs- und Privatisierungsprogrammen für die Verschwendung vergangener Jahre zu bestrafen versucht und dabei gnadenlos kaputt spart.Was ist da noch demokratisch?

Aufmerksam wurden wir auf solche Zusammenhänge durch meinen Freund, den Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Allgemein bekannt wurde Irenäus Eibl-Eibesfeldt nur als Naturwissenschaftler, der mit Hans Hass auf den Galapagosinseln spektakuläre Filme über die Paarungskämpfe der jetzt berühmten Meeresechsen drehtge. Doch er ist auch ein Provokateur, der von der „Biologie des menschlichen Verhaltens“ spricht und eigentlich „biologische Grundlagen“ meint.

Ab 1983 ist die Schweizer Kunsthistorikerin, Germanistin und Hirnforscherin Christa Sütterlin Eibls engagierteste Mitstreiterin. Und seitdem werden ihm Kultur und Politik immer wichtiger, seine Thesen immer umstrittener. Er polemisiert gegen eine Gesellschaft des Misstrauens -  lange bevor die Deutsche Bahn Hunderttausende ihrer Mitarbeiter ausspioniert. Er attackiert die Ellbogengesellschaft und eine lediglich ökonomische Globalisierung, als diese noch "alternativlos" erscheinen. Statt eines kurzatmigen Wettlaufs ums schnelle Geld fordert Eibl (wie Hans Küng) im ökologischen und sozialen Bereich ein generationenübergreifendes Ethos des Überlebens. Als hätte er die Proteste vorhergesehen, die heute  junge Araber, Griechen, Spanier und Deutsche vereint in dem Vorwurf an eine kleine, reiche Minderheit, ihnen die Zukunft zu rauben und dabei die Demokratie zu beschädigen.


Beide, Sütterlin und Eibl-Eibesfeldt, sind Grenzgänger zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. 2007 erscheint ihr Gemeinschaftswerk „Weltsprache Kunst. Zur Natur- und Kunstgeschichte bildlicher Kommunikation“. Ausgiebig beschrieben sind dort die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Gefahren dessen, was wir „kulturelle Identität“ nennen. Die entwickelt sich laut Eibl über verschiedene Stufen der Integration: Familie, Clan, Stadt, Nation – und dann zum Beispiel Europa. Die Brutpflege ist für Eibl vor allem deshalb eine „Sternstunde der Evolution“, weil sie im Modell der erweiterten Familie den Beginn jeder Gruppen-Identität darstellt, auch einer kulturellen. In einem Interview sagte er mir:
"Mit der Familie kam auch „Das Wir und die anderen“ in die Welt, die Verteidigung der kleinen Familie zunächst, und der erweiterten Familie der Gruppe, die über Sozialtechniken immer wieder auf einer anderen Ebene besetzt werden kann, affektiv, als „Wir“, die familia. „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“: eine Utopie nicht notwendigerweise, wenn man die basaleren respektiert!"


Der Generalist Eibl sucht nach ganzheitlichen Beschreibungen menschlichen Verhaltens aus naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Sicht. Auch historische Wahrnehmung und kulturelle Identität, so Eibl, lassen sich in seinem Stufenmodell der erweiterten Familie oder Gruppen-Identität beschreiben. Als Beispiel dafür nennt er die Denkmäler Wiens. Sie feiern den Wiener Lokalpatriotismus, Österreich, die deutsche Kulturnation und das Heilige Römische Reich deutscher Nation - in gewisser Weise sogar Europa vor der EU. O-Ton Eibel-Eibsefeldt:


"Rüdiger von Starhemberg hat ein Denkmal als der Verteidiger von Wien. Erzherzog Karl hat ein Denkmal: steht doch auf der einen Seite „Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre“ und auf der anderen Seite „Dem siegreichen Führer der österreichischen Heere“. Das war nie für uns Deutsch-Österreicher eine Schwierigkeit, die deutsche Identität, sondern sie war selbstverständlich. Und sie drückt sich auch darin aus: Goethe, Schiller, Beethoven genau in gleich großartiger Position mit Schubert, Haydn, Mozart, Grillparzer usw.: Mischt sich durcheinander."

 
Mozart-Denkmal auf dem Wiener Zentralfriedhof - und ganz in der Nähe auch ein Platz für Beethoven

Denkmäler erzählen aber auch eine Geschichte des Krieges, die als kollektive Aggression ebenfalls zum Teil genetische und biologische Wurzeln hat, sagt Eibl. Bei den Yanomami im Amazonas-Regenwald hat er selbst erlebt, wie im Kampf körpereigene Drogen freigesetzt werden, und wie sich Menschen unter dem Einfluss dieser Endorphine verhalten:

"Ich hab selbst erlebt, wie in kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen ich teilnahm, zwei Mal, Pfeil-Getroffe zwar sich zurückziehen, und auch weg getragen werden, wenn sie schwer verwundet sind, wie der Schmerz aber erst viel später kommt. Auch der Blutrausch ist ja ein Phänomen, das es gibt. Zwei Dinge spielen dabei eine Rolle: Das erste ist die Angst, dass der mich schneller umbringt als ich ihn. Das zweite ist, dass sie gleichzeitig in diesem Endorphin-Rausch auch in den Gefühlen abgestumpft sind. Danach, das Erwachen daraus, einen Tag oder zwei Tage später: Selbst bei den Yanomami-Indianern, die sich ja wirklich erstaunlich rücksichtslos umbringen im Krieg, muss ja der erfahrene Krieger, der getötet hat, Sühnerituale absolvieren. Also: sich säubern, sich jeden Tag waschen. Er muss sich mit Brennnesseln abreiben, muss sich der Nahrung und vieler anderer Dinge, die gut sind, enthalten, bis er wieder gesäubert ist."


Solche Sühnerituale, vermutet Eibl, sind notwendig, damit der Mensch verarbeiten kann, was er im Krieg getan hat: Wer beichtet und büßt, hat bessere Chancen, dass kein posttraumatisches Belastungssyndrom zurückbleibt. Doch selbst hoch entwickelte Sozialtechniken in Zivilisation und Kultur können missbraucht werden. Weil der Mensch manipulierbar bleibt, warnt Eibl besonders vor der Verherrlichung von Gewalt. Denn die schafft etwas, das länger hält als jeder Blutrausch.

Jahrzehnte schon erforscht er die Abgründe der kollektiven Aggressivität. Sie ist ihm als Pimpf bei den Nazis ebenso begegnet wie bei Militärparaden zum 1. Mai in Moskau oder Ostberlin. Deshalb teilt er die Vorbehalte seines Landsmannes, des Schriftstellers Thomas Bernhard, gegen einen falschen nund gefährlichen Nationalismus auch in Österreich. Kriegerdenkmäler finden sich wahrscheinlich überall in der angeblich zivilisierten Welt, aber selten in solcher Dichte wie am Wiener "Heldenplatz" - so auch der Titel eines umstrittenen Theaterstücks von Thomas Bernhard. Auf diesem Platz steht neben Prinz Eugen, dem "Retter vor der Türkengefahr", auch Erzherzig Karl, hoch zu Ross eine Standarte im Freiheitskrieg gegen Napoleon schwingend.

Eibl sieht die Rückfallgefahr angesichts kritikloser Nationalbegeisterung ewig-gestriger Gruppierungen wie den Anhängern von Jörg Haider:

"Die Begeisterung: Die ist ein Phänomen, das diese Form der kollektiven Aggression von allen anderen Aggressionsformen unterscheidet. Denn wer eine Bank beraubt, ist nicht begeistert. Und der einem im Gewerbe das Haxel stellt, ist nicht begeistert. Begeistert ist der, den der Schauer der Ergriffenheit überläuft, beim Anblick des sakralen Zeichen einer Gemeinschaft, bei den Hymnen usw. Und der dann dieses Heldengesicht macht."

Angesichts dieser "Heldenhaltung" läuft es dem alten Mann immer noch kalt den Rücken hinunter. Aber Eibl ist Österreicher. Dass dieser Röntgenblick in die Seele seiner Landsleute von innen kommt, finde ich ausgesprochen tröstlich. Auch die Araber müssen ihre bösen Geister selber vertreiben, damit es nicht heißt, solche Kritik sei imperialistisch oder "westlich".

Donnerstag, 9. Juni 2011

Jorge Semprún ist tot - Nachruf auf einen großen Zeitzeugen

Gestern kam die Nachricht vom Tod des spanischen Schriftstellers Jorge Semprún. "Die große Reise" machte ihn bekannt - ein Roman, dem noch viele anderen folgen sollten (z.B. "Unsere allzu kurzen Sommer", "Zwanzig Jahre und ein Tag", "Der Tote mit meinem Namen", alle bei Suhrkamp). Eigentlich hatte Semprún nur ein Thema oder schrieb ein großes Buch immer wieder neu, und das machte die Lektüre schwierig: stets ging es um seinen Kampf gegen die Diktaturen von Franco und Hitler, um seinen Kampf für die Freiheit in Europa, sein manchmal problematisches Engagement für die Kommunistische Partei - mal Spaniens, mal Frankreichs, aber nie Russlands oder der DDR.

Eigentlich, so schrieb Jürgen Verdofsky in der "Stuttgarter Zeitung", dauerte die "große Reise" Semprúns ins KZ Buchenwald fünf Tage und vier Nächte, die Rückkehr aber ein ganzes Leben. Semprun wurde 1923 als Sohn eines Intellektuellen in Madrid geboren, engagierte sich für die demokratische Republik. Deshalb musste er in den Untergrund und floh schließlich nach Frankreich, als die Demokratie in Spanien 1939 vom Putschgeneral und Bürgerkriegs-Sieger Francisco Franco beendet wurde. Dort kam er vom Regen in  die Traufe: 1943 verhaftete ihn die GESTAPO und deportierte ihn im Januar 1944 ins KZ Buchenwald. Damals gab es noch keine Therapien auf Krankenkasse gegen posttraumatische Belastungsstörungen. Semprún hat diese Erlebnisse vor allem schreibend bewältigt.

Er hat das KZ überlebt, konnte aber bis zu Francos Tod 1975 nicht in seine Heimat Spanien zurück. Und so wurde er zu einem unermüdlichen Ankläger und Zeitzeugen. Wahrscheinlich hat er viele literarische Preise und Ehrungen im Grunde für dieses glaubwürdige Engagenment erhalten. Seine Literatur ist meines Erachtens sehr überschätzt worden. Aber Semprún war ein eindrucksvoller Redner. Er beherrschte neben seiner Muttersprache Spanisch und Französisch auch Deutsch, das er im KZ gelernt hat. Und seine Auftritte hatten Wirkung.

Das war ähnlich wie bei seinem Zeitgenissen und Bruder im Geiste, dem russischen Lyriker Jewgeni Jewtuschenko. Der überlebte Hitler und Stalin, erst den Zweiten Weltkrieg und dann die Verbannung nach Sibirien, später die Umwälzungen der Sowjetunion unter Chruschtschow und noch einmal unter Gorbatschows "Perestroyka"-Bewegung. Jewtuschenko und Semprún: Zwei Davongekommene. Zähe Burschen, die hinreißend von Gemeinsamkeiten unmenschlicher Systeme erzählen konnten. So habe ich auch Jewtuschenko erlebt bei ungewöhnlichen Dichterlesungen wie im Stuttgarter Rathaus, zu denen 1000 Leute kamen. Semprún war auch so einer: ein literarischer Monomane, aber auch ein großer Politiker (zuletzt spanischer Kulturminister) Zeitzeuge, der allen Demokraten in Europa schmerzlich fehlen wird.

Montag, 6. Juni 2011

Machtverschiebung: Grube rudert zurück

Bahnchef Rüdiger Grube hat angeboten, den Baustopp beim umstrittenen Tiefbahnhof von Stuttgart 21 bis Mitte Juli zu verlängern. Dem Alphatier der Bahn scheint nichts anderes übrig zu bleiben als ein Rückzug auf Raten. Sein Angebot ist nur die logische Folge der veränderten Machtverhältnisse in Baden-Württemberg seit der Landtagswahl und spiegelt auch die juristische Zwickmühle der Befürworter. Freiwillig hätten sie keinen Millimeter nachgegeben, davon darf man ausgehen. Sie scheinen "Blog-Beobachter" zu haben und auf die Stimmung im Land zu reagieren. Es wäre ja auch oberpeinlich, wenn die Polizei selbst demnächst Baustellenzufahrten blockieren müsste, um die Vereinbarung aus der Schlichtung durchzusetzen: Keine neuen Fakten schaffen, bevor der Stresstest zeigt, ob wie es weitergehen könnte mit dem Projekt. Und dann gilt es auch, dem Verursachenprinzip Geltung zu verschaffen, wenn es um die Kosten für den Ausstieg geht. Das Beibehalten der Brennelemente-Steuer nach dem Atomausstieg weist schon den Weg in eine gute Richtung und zeigt: Bangemachen gilt nicht.

Samstag, 4. Juni 2011

Bahnchef Grube mit dem Rücken zur Wand

Bahnchef Rüdiger Grube will am 6. Juni am Tiefbahnhof-Projekt Stuttgart 21 weiterbauen. Ob er das wirklich versucht oder nur eine Drohkulisse aufbaut, ist schwer zu sagen, denn er steht mit dem Rücken zur Wand. Jäger und Panikforscher schreiben angeschossenen oder in der Falle festsitzenden Raubtieren zu, dass sie besonders gefährlich sind. In aussichtloser Lage neigen auch Menschen zu irrationalen und daher unberechenbaren Handungen und entwickeln unglaubliche Kräfte. Mütter können bei dem Versuch, ihr Kind zu retten, einen Kleinwagen anheben. Diktatoren, denen das Volk die Gefolgschaft kündigt, lassen manchmal so lange auf die eigenen Leute schießen, bis niemand mehr da ist, um ein Diktat entgegenzunehmen. Und Rüdiger Grube hat ebenfalls alles zu verlieren, wenn der unterirdische Bahnhof Stuttgart 21 nicht gebaut wird: zunächst sein Gesicht, auf Dauer aber auch seinen Job.
Weiter zu bauen, ohne das Ergebnis des Stresstests abzuwarten, wäre so eine irrationale Handlung. Sie würde im Übrigen von ähnlich irrationalen Reflexen seitens der Gegner von Stuttgart 21 beantwortet: Kaum vorstellbar, was auf der Straße los wäre, wenn wirklich Baufahrzeuge anrollen würden. Nicht ein paar Hundert Parkschützer würden dann die Baustellen blockieren, sondern viele Tausende. Und am ersten Samstag danach gäbe es eine Großdemonstration wie nach dem 30. September 2010. Nur dass der neue Innenminister jetzt schon verkündet hat, Wasserwerfer würden nicht mehr eingesetzt. Gegen den Willen des Volkes ist also kein Bau mehr durchzusetzen in Stuttgart. Das muss auch einem Verbalradikalinski wie Grube einleuchten.
Die Wand, an der Grube nach der ersten Sitzung des Lenkungsausschusses steht, heißt Angela Merkel und meinetwegen auch Bundesverkehrsninister Ramsauer. Aber erstens ist das keine Wand, auf die Verlass wäre. Wuie schnell sie im Bedarfsfall nachgiebt, konnte man bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sehen. Und zweitens haben alle diese "Befürworter" miteinander eines gemeinsam: Sie haben die geistig-moralische Wende im Denken, von der Helmut Kohl bei seinem Regierungsantritt sprach und die Heiner Geissler mit der Schlichtung nachzuliefern versuchte, immer noch nicht vollzogen. Es geht da nicht mehr um Sinn oder Unsinn, um sachliche Argumente oder Kosten. Es geht für diese Leute um Sein oder Nichtsein, nicht um einen Bahnhof. Und wie Herr Mappus sich irrte, als er im Herbst noch sagte: "Ihr tut so, als ginge es um  die Demokratie" und damit meinte, es ginge eben nicht darum, so ist es bei manchen Hardlinern immer noch. Sie haben eine Wahl nach der anderen verloren und werden weitere verlieren, bis sie ganz bedeutungslos sind, wenn sie nicht endlich verstehen, dass es hier um die Demokratie geht, nicht mehr und nicht weniger.

Ghaddafi schlägt um sich, Berlusconi lässt seine Flüchtlinge aus Lampedusa illegal in ganz Europa untertauchen, und auch die Stuttgart-21-Mafia schlägt um sich, weil sie mit dem Rücken zur Wand steht. Der Tiefbahnhof Stuttgart 21 ist eun Anschlag auf die bisher ausgezeichnete Verkehrs-Infrastruktur im Großraum Stuttgart. Die Art, wie das Projekt trotz aller Mängel und gegen alle Zweifel mit sittenwidrigen Verträgen, Tricks und Täuschungen durchzogen werden soll, ist ein Anschlag auf die demokratische Kultur dieses Landes. Nachgeben wäre da ein falsches Signal. Diese Leute müssen vor Gericht, nicht in den Vorruhestand. Sie haben ihren Amtseid verletzt, Schaden vomn Volk abzuwenden.

Der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist gut beraten, wenn er den Baustopp bis zur Entscheidung im Stresstest notfalls mit Polizeigewalt durchsetzt. Wer den Stresstest nicht abwarten und weiter Fakten schaffen will, spuckt auf die ganze Schlichtung, in der vereinbart wurde, den Bau vom Ergebnis des Stresstests abhängig zu machen (und nicht etwa bloß zu "optimieren", wie Herr Ramsauer irrigerweise meint). Der Tiefbahnhof könnte nur gebaut werden, wenn mindestens zwei Bedingungen ohne Wenn und Aber erfüllt sind: erstens dürfen die Kosten 4,5 Milliarden nicht übersteigen, und zweitens muss der geplante Tiefbahnhof in einer realistischen Fahrplansimulation 30 Prozent mehr leisten (d.h. Züge abfertigen) als der bisherige Kopfbahnhof.

Und nach dem Stresstest gilt: Das Ergebnis ist verbindlich. Die Kosten für Verzögerungen oder notwendige Nachbesserungen trägt der Verursacher, und sie sind Teil der Gesamtkosten wie übrigens auch die gesamten Planungskosten. Scheitert das Projekt an den Kosten, an Grundwasserproblemen oder an der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs, sind die Projektplaner dafür ebenso haftbar wie für eventuelle Vertragsstrafen beim Ausstieg aus Verträgen, die auf unhaltbaren Grundlagen abgeschlossen wurden.Wer anderes behauptet, versucht den Rechtsstaat durch die Erpressung mit juristischen Scheinargumenten zu demontieren.