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Freitag, 7. Januar 2011

Peter O. Chotjewitz ist tot – ein Paradiesvogel ohne Paradies

Ein politischer Kopf, der uns fehlen wird

Irgendwie war er ein Paradiesvogel unter uns: einer, der schon 1965 sein erstes Buch geschrieben hat, ist nicht ganz alltäglich in unseren Reihen. Einer, der im Zeitalter der Punk-“Mode“ und der Röhrenjeans grundsätzlich im Anzug herumlief, aber einmal Andreas Baader von der RAF verteidigt hat und deshalb zu Recht im chronischen Verdacht radikalen Denkens stand, der deshalb die politische Bewegung gegen „Stuttgart 21“ als Aufbruch in ein neues Zeitalter der Demokratie in Deutschland feierte; einer, der als gelernter Anwalt das Wort wählte und nicht den Honorarscheck; einer, der viele war, ist nicht mehr. Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) in Baden-Württemberg trauert um sein langjähriges Mitglied Peter O. Chotjewitz. Der Verein Stuttgarter Schriftstellerhaus trauert, aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Literaturhaus, bei Theatern und Galerien trauern. Das ist der ordentliche Gang der Dinge, aber es kommt verdammt noch mal einfach zu früh. Ich hätte ihn gern besser kennen gelernt.

Wie der Berliner Verbrecher Verlag, bei dem mehrere seiner Bücher erschienen sind, mitteilte, starb Peter (Pit) O. Chotjewitz am 15. Dezember 2010 nach längerer Krankheit im Alter von 76 Jahren in Stuttgart, wo er seit 1995 gelebt hatte. Erst vor zwei Wochen hatte er zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Cordula Güdemann, im Literaturhaus Stuttgart sein letztes von rund 40 Büchern vorgestellt: „49 VIPs“, gemalt und in 13 so genannten Simultantexten beschrieben.

In seinen Romanen, Gedichten, Artikeln und zahlreichen Erzählungen setzte sich dieser Kollege und Freund vieler Kollegen, der 1934 in Berlin geboren wurde, immer wieder mit der Geschichte politische motivierter Gewalt auseinander. Er studierte Jura in Frankfurt und München, war kurze Zeit tatsächlich Rechtsanwalt (Wahlverteidiger von Andreas Baader) und schrieb über diese Erfahrung das Buch „Die Herren des Morgengrauens“. Noch 2007 war sein letzter großer Roman „Mein Freund Klaus“ dem RAF-Anwalt Klaus Croissant gewidmet. Er liebte aber auch Italien: Das Essen, die Kultur, die Toscana oder Rom, wo er einst als Stipendiat der Villa Massimo das Flanieren lernte, aber auch das Temperamente der engagierten Rede und die Sprache, aus der er gern übersetzte.

Sein Stil war der eines juristischen Florettfechters. Sein Auftreten mit Dreiteiler, Hut und Stock erinnerte an den Salzburger Lyriker H.C. Artmann, der auch ein aufrechter Linker war und den Eindruck einer Romanfigur von Joseph Roth oder Thomas Mann machte. Er war ein Flaneur und nahm regen Anteil am kulturellen Leben. Aber er fühlte vor allem „links, wo das Herz ist“, um es mit dem fast vergessenen Romancier Leonhard Frank zu sagen. Einer seiner letzten sozialpolitisch engagierten Texte war im Jahr 2006 ein Vortrag über „Tendenzen in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung – Arbeitsperspektiven der Kunst- und Kulturberufe“. Da konnte man ihn noch so richtig wütend erleben, und dafür liebten wir ihn. Das ist sein Erbe: die gesunde Wut auf all die Ungerechtigkeiten, die er so zum Kotzen fand, die sein Schreiben fast durchgehend prägte. Die können wir wachhalten. Da war er ein Vorbild.

Aber nicht nur Wut war sein Markenzeichen (und sicher auch ein Stück weit Lebenselexier), sondern auch Stil. Peter O. Chotjewitz war lange krank und wusste, das es mit seinen Kräften zu Ende ging. Wie Irene Ferchel, die ihm näher stand, in der „Stuttgarter Zeitung“ schrieb, gab er mit seltener Selbstironie ein Dossier zu überstandenen Therapien ab, das zukünftige einschloss: „Ich bin zuversichtlich, dass es auch diesmal nichts nutzen wird“. So ähnlich hat er wohl auch die politische Lage der Republik charakterisiert. Er war ein Paradiesvogel, der nicht glaubte, in einem Paradies zu leben. Aber wo er war, da war dieses Land immer ganz wach und nicht gerade Italien, aber doch ziemlich interessant.

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