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Mittwoch, 22. Dezember 2010

Macht hoch die Tür: wie aktuell ist die Adventsbotschaft?


Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!
Es kommt der Herr der Herrlichkeit,
ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt zugleich,
der Heil und Leben mit sich bringt;
derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
mein Schöpfer reich von Rat!

So beginnt dieses Jahrhunderte alte Lied von der Erwartung der Menschen auf Weihnachten, von ihrer Hoffnung auf Erlösung von ihrem Elend und ihrer Bosheit. Ja: sogar Übeltäter hatten einmal diese Hoffnung. In unseren Tagen darf man vermuten, dass sie keinen Glauben und daher keine Hoffnung und keine Liebe mehr haben. Fremd stehen die Mächtigen und Reichen heute mehrheitlich der Sehnsucht gegenüber, die aus solchen Zeugnissen des christlichen Glaubens spricht. Sie akzeptieren keine Herren mehr. Wer soll Ihnen Heil und Leben bringen? Deshalb verstehen sie auch die Freude und das Singen nur als Anlass, mit Idioten Geld zu machen.

Die SWR2-Produktion "Wiegenlieder" deutet unbewusst an, worauf sich diese Hoffnungen und Sehnsüchte richten: Auf ein Kind. Auf eine kleine, arme, junge und daher im Zweifel auf Hartz IV reduzierte Familie. Ich habe das CD-Cover dafür fotografiert - der Künstler Frank Walka und der Carus Verlag mögen mir nicht böse darum sein. Schließlich habe ich für ihren Erfolg fleißig getrommelt. Aber es war keine Sammlung von Advants- oder Weihnachtsliedern. Deshalb zurück zu dem zitierten Adventslied. Das geht weiter:

Er ist gerecht, ein Helfer wert,
Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,
sein Königskron ist Heiligkeit,
sein Zepter ist Barmherzigkeit;
all unsre Not zum End Er bringt,
derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
mein Heiland groß von Tat!

Zum Fürchten wäre das: wenn diese heutigen Herren der Welt einen Herren hätten und einen gerechten Helfer! Denn sie haben Gerechtigkeit zu fürchten, wo immer sie auftritt. Deshalb tun sie ständig solche Dinge wie erst einen Niedriglohn-Sektor zu schaffen und dann mit dem Hinweis auf das Lohnabstrandsgebot die Sozialhilfe zu senken! Die so wenig verstehen, was sie tun, dass sie es sogar un mittelbar vor Weihnachten weiter in aller Öffentlichkeit tun: sinnlose Debatten führen über 5 EURO mehr für Hartz-IV-Empfänger.

Sie sind nicht sanftmütig, sondern gebieten über Sondereinheiten des Innenministeriums, Wasserwerfer und überhaupt die geballte Staatsmacht. Aber wie dem geisteskranken die Einsicht in seine Krankheit fehlt, fehlt den Mächtigen oft die Einsicht in ihre Menschlichkeit und Endlichkeit. Ein Herr wäre ein Herr, wenn er eine Aura der Unantastbarkeit und Würde ausstrahlt - das nannte man früher Heiligkeit. Ein Flammenschwert wäre das gegen den Klassenkampf von oben - und sei es nur ein verbales. Daher haben so viele Menschen heute ein Problem mit dem "Heiligen".

Sie sind nicht barmherzig und bringen keine Not zu Ende, das soll ein Gott richten, an den keiner mehr glaubt. Das wäre nämlich Macht auch für die Armen und Elenden heute: Macht, an ihrer Lage etwas zu ändern, ihre Würde wieder zu erlangen.
Aber ich schreibe nicht mehr für Kirchenfunkredakteure, mit denen ich schon vor Jahren wochen lang über einer kleine Sendereihe zum Thema "Armut und Würde" streiten  musste, weil sie den Zusammenhang nicht sahen und mir vorwarfen, realitätsferne Ansichten zu verbreiten. Inzwischen will sie keiner mehr hören, die Reihe wurde abgeschaltet. Ich dagegen kann auch hier schreiben, was ich denke:

Es wäre eine gute Kirche, die nicht nur solche Lieder singt, sondern auch die Tat nicht diffamiert, die sie an Gott lobt und bejubelt. Es gibt nichts Gutes - außer man tut es! Das gilt auch gerade in diesen dunklen Tagen wieder, und dazu macht mir dieses harmlose, schöne, altmodische Lied die rechte Freude.

Freitag, 17. Dezember 2010

Joseph P. Strelka: "Dichter als Boten der Menschlichkeit"

Literarische Leuchttürme in Zeiten des Chaos - eine Rezension von Karl Lubomirski und ausnahmsweise nicht von mir.

2010 Narr Francke Attempto Verlag,Tübingen
396 Seiten, 49 €

Dank der Analyse der Hauptwerke von 21 maßgebenden Autoren, die zwischen dem Gelben Meer und dem Pazifik das literarische 20 Jahrhundert geprägt haben, findet der mittlerweile weltberühmte Germanist Strelka hinter dem Chaos zugleich den Keim für dessen  Überwindung oder den Keim des Keimes. Dies ist umso tröstlicher, als der Leser, der sich nicht selten in kritikloser Bewunderung der lebensverändernden Literatur verlor, auf ihre Schreiber und deren meist erschütternden Leidensweg hingewiesen wird.

In wenigen Seiten zum Beispiel umreißt Strelka das für große Teile Schwarzafrikas Symptomatische anhand des Romans eines Ibo (Chinua Achebe: „Alles fällt auseinander“). Hermann Brochs Massenwahntheorie mag man kennen oder nicht, aber entscheidend bleibt auch hier der Gesichtswinkel und das überzeugende Festhalten am eingangs angedeuteten Gemeinsamen, das konsequent aufgezeigt wird . ganz gleich ob bei Albert Camus, William Faulkner, Carlos Fuentes, Gao Xingjian, Joào Guimaràes Rosa, Hermann Hesse, James Joyce, Yasunari Kawabata, Nikos Kazantzakis, Selma Lagerlöf, Malcolm Lowry, Nagib Machfus, Czeslaw Milosz, V.S.Naipaul, Alexander Solschenizyn, Mario Vargas Llosa oder Patrick White.
Überblicke sind umso schätzenswerter je weiter und schärfer sie sind. Der betagte Autor hat seine Wahl nicht nur aus akademischen Gesichtspunkten treffen müssen, sondern er hat das XX. Jahrhundert erlebt, und in seine Auswahl fließen 60 Jahre Forschung. Ihm zu widersprechen wird nicht ganz leicht sein. Dass er mit diesem Buch zugleich das Konzept der Globalisierung wahrnimmt, dürfte und sollte das Interesse an seinem Überblick erhöhen. Der Band Strelkas erspart niemandem das Lesen der Hauptwerke, aber dass bereits Übersetzungen dieses soeben erschienenen Literatur-„Kompasses“ aus Tübingen in Arbeit sind, beweist das grenzüberschreitende Gewicht dieses Werkes.
In einer Welt der Zusammenbrüche, der universalen Unsicherheit (ob ethischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur), in einer Welt scheinbarer Zukunftslosigkeit auf etwas Gemeinsames hingewiesen zu haben, das allen besprochenen Autoren eignet, die unabhängig voneinander schufen, aber zu ähnlichen Folgerungen kamen, hat etwas Besonderes, geradezu Mystisches. Ohne Hölderlins ...wo Gefahr ist“, zu bemühen , fällt auf, dass Strelka in jedem der angeführten Dichter (die meisten haben den Nobelpreis bekommen und Llosa bekam ihn, lange nachdem das Buch veröffentlicht wurde) die Anstrengung zur Aufhebung des drohenden Chaos nachweist. Es ist also etwas Gemeinsames, was die Weltteile verdunkelt. Dass Strelkas Spürsinn damit zugleich der altägyptischen Forderung nach "Maat" entspricht (dieser Begriffes deckt sich mit Weltgerechtigkeit und Daseinsharmonie), deren Garant einst der Pharao war, wird unübersehbar. Das Verdienst in diesem Zusammenhang zu stehen, verleiht dem Buch eine ungewöhnliche Bedeutung und rechtfertigt seinen Platz in jeder Bibliothek.
Schade nur, dass ein Werk, das so viel Mühe ersetzt, dem Lektorat nicht mehr Mühe wert war. So nistet der Zeit Dämon auf seine Weise auch in diesem Geschenk an den Leser.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Internet-Gründer gegen Fehlentwicklungen

Jaron Lanier ist einer der Erfinder des Internet und prägte u.a. den Begriff "Virtuelle Realität". Wenn dieser Mann heute Fehlentwicklungen im Netz kritisiert, sollte man ganz Ohr sein.

Lanier kritisiert z.B. den verkommenen Begriff von Urheberschaft, den die Großen im Netz haben: Google, Microsoft, Facebook oder ebay spülen wegen einer rein technischen Vorstellung vom Urheberrecht viel Geld in die Kassen weniger Großer und berauben die vielen kleinen Urheber oder Anbieter von Inhalten. Künstler wie Musiker oder Autoren  werden existenziell bedroht durch die so genannte "Free Culture", eher eine Ideologie mit quasi-religiösen Zügen als eine Kultur. Was um sich greift, ist nämlich das Gegenteil von Kultur- eine zunehmende Verflachung inhaltlicher und formaler Ansprüche an Kunst und Kultur im Web.

Die so genannte "Schwarmintelligenz" ist die Intelligenz des kleinsten gemeinsamen Nenners und eher ziemlich doof. Lanier bringt in seinem Buch dafür die nötigen Beweise. Und er weiß, wovon er spricht, denn er ist nicht nur Mathematiker und Computerfreak, sondern auch Musiker. Niemand hat bisher so sehr von innen und daher so überzeugend die  (vor allem ökonomischen) Risiken der digitalen Revolution dargestellt. Menschen sindf wichtiger als Programme und Hardware. Sie sind unersetzlich, denn "künstliche Intelligenz" gibt es nicht in der realen Welt, sondern nur in Hirngespinsten der Science Fiction. Wir müsen bewerten, auswählen und beurteilen, sonst niemand. Alles andere ist SPAM.

Montag, 6. Dezember 2010

"Juristisch": ja - einwandfrei: nein

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat Angst  vor dem Volk. Vorsichtshalber wird der Landtag bewacht wie nicht einmal Fort Knox oder der der Berliner Reichstag bei Terrordrohungen.

Dass die "Schlichtung" bei Stuttgart 21 eine Beschwichtigung sein würde, war von vornherein klar. Ministerpräsident Mappus, seine Verkehrsministerin Gönner und Bahnchef Grube hatten ja ebenso wie Bundeskanzlerin Merkel und ihr Verkehrsminister Ramsauer stets betont, gebaut werde auf jeden Fall, egal was bei der Schlichtung herauskomme. Nur Träumer konnten daher anderes erwarten. "Juristisch" mag es ja sein, sich auf Abstimmungen und Verträge zurückzuziehen, die 1994 und 1995 ausgemauschelt wurden, aber juristisch einwandfrei ist das alles nicht - von Anstand, demokratisch guten Sitten und Moral ganz zu schweigen.

Meine Einwände bleiben bestehen. Und begründet hat sie Andreas Zielcke ausgezeichnet in der Süddeutschen Zeitung vom 3. Dezember ("Schlichtung und Wahrheit"). Dem kann ich nur hinzufügen: Diese Herrenmenschen-Attitüde unfairer Verfahrensdemokraten wird ihr Nachspiel haben. Erstens habe ich mir schon lange Unterhosen für heiße Demos bei tiefen Temperaturen gekauft. Zweitens nützt es den Befürwortern nichts, wenn sie bis Weihnachten im parlamentarischen Untersuchungsausschuss wegen der CDU-Hoheit über die Tagesordnung nur Polizisten anhören: Die Wahrheit über die Verantwortung für den Schwarzen Donnerstag wird so oder so ans Licht kommen - und zwar noch mehr im Wahlkampf als jetzt. Drittens schießlich wird das Land wählen und damit eben nicht nur ein Bahnprojekt, sondern auch seine Befürworter abservieren. Einen Polizeistaat hatten wir seit 1968 / 1969 nicht mehr, und den will auch jetzt nur eine Handvoll Irrer zurück haben. Und die provozieren schon wieder.

Zum Stichwort "Polizeistaat": Jetzt haben wir also schon eine Vorstufe davon und es gilt der Tatbestand der Majestätsbeleidigung wie 1848: Deutsche Beamte hatten am 04.12. nichts Besseres zu tun, als einen Demonstranten zu filmen, dann durch die halbe Innenstadt zu verfolgen und dann auf dem Schlossplatz mit einem Pfefferspray-Einsatzkommando mitten aus dem Demonstrationszug herauszuholen, weil er vor der CDU-Zentrale Beamte angepöbelt hatte. Gewalt also inzwischen schon als Mittel gegen Verbalinjurien? Wer das rechtfertigt, will Repression und Einschüchterung. Bekommen wird er eine Quittung vom mündigen Wahlbürger.