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Samstag, 13. Februar 2010

Ein Erzähler von Rang - wieder aus Barcelona

Quim Monzó: „Tausend Trottel“. Erzählungen
Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M., 142 S., 17,90 €

Quim Monzó ist einer dieser Erzähler, die zu Hause in Barcelona längst jeder kennt. Sehr beliebt sind seine Ra-diosendungen und seine regelmäßige Kolumne in der Tageszeitung La Vanguardia. Bei uns erscheinen seine Bücher in der kleinen Frankfurter Verlagsanstalt, aus dem Katalanischen übersetzt von Monika Lübcke. Monzó, heute 57, hat als Kriegsreporter angefangen, und das mag auf seine Sicht der Welt, vielleicht auch seine Sprache abgefärbt haben. Die ist provozierend und melancholisch – mit einem ausgeprägten Sinn fürs Komische. Eine Kostprobe aus seinem neuen Prosaband „Tausend Trottel“ bietet die folgende Version der biblischen Verkündigungsgeschichte:

„Keine Angst, Maria. Du hast Gnade bei Gott gefunden und bekommst einen Sohn; ihm wirst du den Namen Jesus geben.“ Doch Maria sagt: „Wie, nein?“ Der Erzengel ist fassungslos. Maria bleibt hart. „Kommt gar nicht in Frage. Ich will nicht. Ich werde dieses Kind nicht bekommen.“

Das Buch versammelt 18 Kurz- und Kürzestgeschichten sowie die längere Erzählung „Der Frühling kommt“. Der seltsame Titel „Tausend Trottel“ ist ein Zitat aus diesem Text. Darin schmiedet ein altes Ehepaar im Heim Pläne für die sauberste Art des Selbstmordes. Ihr Sohn denkt in Tagträumen über Euthanasie nach, weil er das qualvolle Hinsiechen der „Tausend Trottel“ im Altenheim hilflos mit ansehen muss. Schmerzhaft klar ist die Sprache seiner Zwickmühle der Gefühle zwischen Liebe und Wut gegenüber der Mutter:

Sie stürzt im Bad, wenn sie vom Klo aufsteht – verliert dabei das Gleichgewicht und schafft es nicht, sich am Waschbecken festzuhalten, weil ihre Arme schon zu schwach sind – oder wenn sie ihren gerade gewaschenen BH auf einen Haken hängen will. Sie fällt hin, wenn sie das Bad verlässt, sie fällt hin, wenn sie sich auf einen Stuhl setzen will, und sie fällt, wenn sie vom Stuhl aufsteht. Sie fällt hin, weil ein Bein wegen einer Arthrose vollständig verbogen ist, die sie, als sich die ersten Symptome zeigten, nicht hat behandeln lassen, weil alle Ärzte Trottel sind.

Zwar erscheint der Vater als arbeitsscheuer Hypochonder und die einst starke Mutter als sparsames Arbeitstier mit manischen Zügen. Doch kein Wort stellt ihre Würde oder die Liebe des Sohnes in Frage. Monzó formuliert die Licht- und Schattenseiten der Existenz stets voller Mitgefühl – auch für wirklich schräge Typen.
Da verhilft ein renommierter Schriftsteller einem jungen Autor zu Ruhm, und der wird sein schlimmster Gegner. Da bemüht sich ein Prinz vergeblich, Dornröschen wach zu küssen, und schläft so erschöpft wie unbeachtet neben ihm ein. Da heiratet ein überzeugter Junggeselle seine todkranke Freundin, und sie blüht in der Ehe auf. Monzó stellt auch groteske Situationen ganz unangemessen sachlich dar, und gerade das erzeugt eine schmerzhaft übersteigerte Wirkung. Don Quijote lässt grüßen. Exemplarisch dafür ist der Dialog zwischen Schüler und Lehrer in der Kurzgeschichte
„Ein Schnitt“:

„Ich wurde mit einer zerbrochenen Flasche angegriffen.“
Das Blut tropft aus seinem Hals und macht Flecken auf das weiße Hemd seiner Uniform. Auch der Kragen seiner Jacke ist voller Blut.
„Aber Toni, so betritt man doch nicht das Klassenzimmer. Kannst du dich nicht richtig benehmen?“
„Herr Lehrer, Ferrán und Roger haben eine zerbrochene Flasche neben dem Getränkeautomaten gegriffen und mir in den Hals gestoßen und…“
„Toni, wie betritt man das Klassenzimmer?

Man kann Kälte und Kleinlichkeit kaum eindringlicher auf den Punkt bringen. Solche sprachlichen Grotesken be-deuten eine große Herausforderung, der sich die Übersetzerin Monika Lübcke souverän stellt. Ähnlich ist es ihr mit dem bizarren Humor des Autors gelungen. Ob es um hohle Rituale bei Familientreffen geht oder das Reden über Bücher, die man nicht gelesen hat: Jeder Satz kratzt an der Fassade einer höchst oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft, die nicht halb so zivilisiert ist, wie sie nach außen hin gern tut.

Dieses Buch ist eine Sammlung kleiner literarischer Kostbarkeiten, sorgfältig lektoriert und auch handwerklich ein Schmuckstück – vom Druck bis hin zum künstlerisch wertvollen Umschlagbild von Neo Rauch.

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