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Dienstag, 22. Mai 2007

Öffentliche Sprachehrlichkeit 1: Wörter verbieten

Unzensierte Vorabversion einiger unfrisierter Gedanken

Im letzten Winter gab es mächtig Streit im Blätterwald, als eine Studie den Zusammenhang von fehlender Bildung und Armut untersuchte und in diesem Zusammenhang von einer neuen „Unterschicht“ sprach. Das Wort diskriminiere die Betroffenen, meinten die einen. Eine Unterschicht gebe es bei uns nicht mehr, meinten andere. Es dürfe keine geben, meinten wieder andere. Dass nicht sein kann, was nicht sein darf, meinte Vizekanzler Franz Müntefering. Er forderte im Fernsehen, man möge doch bitteschön das Wort „Unterschicht“ nicht verwenden. Es ist Mode geworden, zu glauben, so ließen sich Probleme lösen. [Oder ist es nur Mode geworden, anderen einzureden, so ließen sich Probleme lösen?] Was diskriminiert denn eigentlich: dass jemand zur Unterschicht gehört oder dass man diese Tatsache beim Namen nennt?

Ich erinnere mich noch gut an die ziemlich hilflosen Versuche meiner Eltern, uns Kindern „schmutzige Wörter“ zu verbieten. Aber trotzdem haben ordinäre Ausdrücke aus der Fäkal- und Sexualsprache über den Jargon der Jugendlichen und die Medien schon längst den Weg bis in die so genannte „hohe Literatur“ geschafft. Dass sich dabei Bedeutungen grotesk verschieben können, zeigt zum Beispiel der umstrittene Werbespruch „Geiz ist geil“: Bisher musste ich bei dem Wort „Geiz“ eher an etwas Verkümmertes, Verschrumpeltes denken. Und das Wort „geil“ hatte etwas Unanständiges, aber dennoch Pralles an sich als Bezeichnung für sexuelle Begierde. Doch wer dem Bedeutungspfad folgt, den dieser Werbespruch durch unsere Sprachkultur trampelt, findet Geiz einfach nur schön. Dabei gilt er in 2000 Jahre lang gewachsenen Moralvorstellungen als krasse Untugend. Und wie man sieht, hat es nicht viel genutzt, den Geiz oder das Wort „geil“ zu verbieten. Auch wenn es für mich nach wie vor in Kindermund abartig klingt.

Ich erinnere mich auch noch gut an eine Betriebsversammlung der Rentenversicherungsanstalt Baden-Württemberg im Jahr 1992, als die Verschwendung von Beitragsgeldern öffentlich diskutiert wurde. Da ergriff die Betriebsratsvorsitzende das Wort, eine gestandene Gewerkschafterin, und forderte, man müsse jetzt erst einmal die Presse an die Kandare nehmen. Wer es sich mit den Gewerkschaften nicht verderben wollte, schwieg in dieser peinlichen Sache besser. Öffentliche Redeverbote sind also nicht nur in Diktaturen ein beliebtes Mittel der Einschüchterung. Einschüchterung aber löst keine Probleme. Wir betrachten das Tabu als Merkmal primitiver Gesellschaften, als unzulässige Vermengung von Aberglaube und Moral. Das polynesische Wort Tabu meint etwas Heiliges, Unantastbares, das man oft nicht einmal aussprechen darf. Es zu verletzen, gilt als Frevel und wird streng bestraft, um durch übernatürliche Mächte bewirktes Unheil abzuwenden. Und obwohl in modernen Gesellschaften sehr natürliche Mächte am Werk sind, hätten die oft gern Verhaltensnormen, die funktionieren wie Tabus. Denn dann muss man Verbote nicht in lästigen Diskussionen begründen und kann Andersdenkende mundtot machen.
Verbote sind nicht nur in primitiven Gesellschaften oder Diktaturen sehr verlockend. Wir bekommen ein Problem mit Appellen allein nicht in den Griff? – Dann helfen nur noch Verbote! Emissionsverbote gegen Ozonloch und Klimawandel, Fahrverbote gegen krank machende Luftverschmutzung in den Städten, Rauchverbote zum Schutz der Nichtraucher, Alkoholverbote gegen das schlimme „Flatrate-Trinken“ bei Jugendlichen: Wenn Politiker Verbote fordern, wollen sie den Eindruck erwecken, sie kümmerten sich um das Problem. Dabei suchen sie oft nur hilflos einen Sündenbock, dem dann alle die Schuld in die Schuhe schieben. Manche selbst ernannten Hüter der politischen Korrektheit möchte ich gern fragen, ob sie wirklich alle Verbote für Kinder abschaffen und den Erwachsenen immer mehr verbieten wollen. Vor allem erschreckt mich eines: In der angeblich so konservativen und restaurativen Adenauer-Ära der 50er Jahre gab es viel weniger Rufe nach Verboten als heute! Wie aufgeklärt, wie liberal, wie tolerant sind wir tatsächlich?
Das Verbietenwollen treibt seltsame Blüten: Da will McDonalds das Wort „McJob“ verbieten lassen, as in Großbritannien zum Synonym für Billigjobs geworden ist. Oder Martin Walser will allen Ernstes ein kritisches Denkmal seiner Person verhüllen lassen, weil ihm der Künstler Peter Lenk zu wenig ehrerbietig ist. Und der Stadtrat versucht diese peinliche Begleitmusik zu einer Ausstellung zum 80. Geburtstag des kritischen Dichters vom Bodensee auch noch monatelang zu vertuschen.
Ich plädiere für mehr Ehrlichkeit in der Sprache, vor allem in der öffentlichen Sprache. Wörter verbieten zu wollen oder überhaupt Verbote zu fordern, ist meistens Drückebergerei. Denn dahinter versteckt sich gern etwas ganz anderes: Man weicht der mühsamen Arbeit aus, eine Aufgabe wirklich zu lösen. Oder man hat einfach Unrecht und will es nicht zugeben. Zu viele öffentliche Sprecher fürchten Widerworte, denn sie könnten ja ihr Gesicht verlieren – und damit vielleicht die nächste Wahl und ihren Job.
Bei der Redefreiheit fängt doch unsere ganze so genannte bürgerliche Freiheit an – und da hört sie auch auf. Erst Recht bei Abgeordneten. Das hat aber Stefan Mappus, den Fraktionschef der CDU im Stuttgarter Landtag, nicht daran gehindert vor dem Landgericht Karlsruhe gegen einen SPD-Abgeordneten auf Unterlassung kritischer Äußerungen zu klagen. Doch wer Kritik unterdrückt, anstatt sich damit auseinander zu setzen, zeigt nicht Stärke, sondern Unsicherheit und Schwäche.

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