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Donnerstag, 26. April 2007

Lektüre-Tipp

SWR 2 Buchkritik (Sachbuch) Reza Aslan:

“Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime vom Muhammad bis zur Gegenwart“

© Widmar Puhl (4´26)

Die besten Bücher über den Islam scheinen derzeit Islamwissenschaftler zu schreiben, die aus dem schiitischen Iran stammen und im Exil leben. Nach Navid Kermani aus Bonn nun also Reza Aslan von der kalifornischen Universität Santa Barbara. Sein Buch „Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart“ ist eine brillant geschriebene Geschichte des Islam, die voller Überraschungen steckt. Noch nie hat jemand zum Beispiel so überzeugend erklärt, warum in Mekka heute die gleichen Verhältnisse herrschen wie damals, als der Prophet nach Medina flüchten musste. Damals wie heute waren die Offenbarung des Korans und die Lehre des Propheten eine Bedrohung für die politischen Herrscher. Ein Clan, damals die Quraisch, heute die Saudis, kontrolliert die heiligen Stätten und entwickelt daraus ein politisches, wirtschaftliches und religiöses Machtmonopol. Für Aslan ist deshalb Medina die eigentliche Wiege des Islam und nicht Mekka. Immer wieder gelingt es dem Autor, komplizierte historische oder theologische Sachverhalte durch die packende Schilderung persönlicher Erlebnisse verständlich zu machen. So etwa die Empörung eines Schaffners, der im Schlafwagen nach Marrakesch ein junges Paar aus Amerika beim Sex erwischt und nebenbei feststellt, dass es verdeckt operierende Missionare sind. Die Frage ist, was er schlimmer findet. Gegen Missionierungsversuche sind viele Muslime allergisch, weil die Erinnerung an die Kolonialzeit noch wach ist. Damals gingen wirtschaftliche und politische Unterdrückung mit antiislamischer Christianisierung Hand in Hand. Aslan beschreibt nicht nur kritisch den Ursprung und die Entwicklung des Islam, sondern auch den Dauerkonflikt mit dem Christentum. Da gab es ja nicht nur die bis zum Überdruss zitierten Kreuzzüge. Da gab es vor allem immer neue Wellen gegenseitiger Dämonisierung und Instrumentalisierung der Religion aus politischen Gründen. Treffende Geschichten, Beispiele und Porträts vermitteln einen lebendigen Eindruck vom Pluralismus und der Toleranz der ersten muslimischen Gemeinde in Medina, von den Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiiten, auch von der islamischen Mystik. Aslan zeigt die frühen Gründe für die gegenwärtige Spaltung der islamischen Welt zwischen Traditionalisten und Reformern auf. Das Hauptproblem sind aus seiner Sicht die Geistlichen, die eine alleinige Deutungshoheit für Religion, Gesetz und Politik für sich beanspruchen. Aslan tritt für eine inner-islamische Aufklärung ein, die sich von den primitiven arabischen Stammesgesetzen des Mittelalters befreit. Und seiner Ansicht nach erleben wir gegenwärtig keinen Kampf der Kulturen, sondern einen Ausbruch lange schwelender Konflikte innerhalb des Islams. Er deutet den 11. September 2001 aber nicht als Fanal dieses inner-islamischen Kampfes um den rechten Weg in die Zukunft. Vielmehr sieht er in diesen Attacken einen versuchten Befreiungsschlag geistig und materiell korrupter Ideologen gegen die scheinbaren Urheber dieser Korruption und Verderbtheit. Letzten Endes beschreibt Aslan die Geschichte des Islams als eine Geschichte des permanenten Verrats an seinen Idealen. Dem Christentum ging es ja nicht anders, so lange es als Staatsreligion auftrat. Das Feindbild vom „großen Satan“ im Westen lenkt umso besser von islamischen Irrwegen ab, je mehr westliche Politiker im Widerspruch zu ihren eigenen Idealen handeln. Eine so ausdrücklich politische Religion wie der Islam müsste modernisiert und demokratisiert werden, fordert Aslan. Die Scharia aber passt dazu nicht. Das islamische Recht kennt noch Strafen wie Steinigung oder Amputation. Einerseits verbietet es Schweinefleisch, Alkohol und Glücksspiel pauschal, andererseits macht es Unterschiede zwischen Mann und Frau, Gläubigen, Ungläubigen und Andersgläubigen, die oft unverständlich bleiben. Der Autor distanziert sich nicht von all dem. Aber sein Buch ist keine Verteidigung islamischer Sitten, sondern eine Beschreibung dessen, was ist und wie es so wurde. Außerdem bietet es glänzende Analysen bisher oft undurchsichtiger Zusammenhänge. Reza Aslan: “Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart“. Verlag C.H. Beck, München, 335 Seiten, 24,90 €.

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