Seiten

Montag, 30. April 2018

Ein starkes Stück: "Orfeo" als Kammeroper über IS-Frauen

Orpheus muss hilflos mit ansehen, wie seine Eurydike ihm entgleitet
"Orpheus und Eurydike" von Christoph Willibald Gluck als Inspirationsquelle für eine Kammeroper über die IS-Frauen: Das brandaktuelle Musiktheater von Anette Lubosch (Buch, Regie) und Cornelia Lanz (Arrangement) findet starke Bilder und berührende Musik von Monteverdi, Graun, Haydn und Gluck für das Unfassbare. Es geht darum, wie sich Menschen im religiösen Wahn verlieren. Die Aufführung im Freien Musikzentrum Stuttgart-Feuerbach fand leider wegen Streik ohne Presse statt - schon am Tag zuvor bei der Premiere. Die wunderbare Arbeit des Vereins "Zuflucht Kultur" mit der Gründerin und Mezzosopranistin Cornalia Lanz in der Hauptrolle des Orfeo ist noch am 10., 11. und 12. Mai jeweils um 19.30 erleben. Wie die Figuren der griechischen Mythologie durch die Schattenwelt des Hades, so irren viele Menschen in den zerbombten Städten Syriens und des Irak umher. 
Die grausige Parallele hat einen ebenso tiefen wie hoch aktuellen Sinn: In der Sage stirbt Euridike am Biss einer Schlange. Die Schlange war, wie auch in der christlichen Schöpfungsgeschichte, ein Symbol für das Falsche, Hinterlistige und Böse, ja den Teufel selbst. Gleichzeitig aber stand sie auch für Lebenskraft, Anfang und Ende. Eben das macht ihre Verführungskraft aus. Der IS ist eine totalitäre, reaktionäre und zynische Verzerrung der Idee vom Gottesstaat, erfunden von Saddam Husseins arbeitslosen Geheimdienstoffizieren, um die sunnitische Bevölkerung in der Region für einen Rachefeldzug gegen den Westen zu instrumentalisieren. Und trotzdem finden sich immer wieder Anhänger - auch in Europa und auch bei jungen Frauen - die sich diesem Krieg gegen Menschlichkeit, Aufklärung und Menschenrechte bis in den Tod anschließen. Sie verlieren sich rettungslos in einem von Atheisten ersonnenen religiösen Wahn, der Unsterblichkeit verspricht und für kurze Zeit mit Nestwärme und Verständnis lockt.
Pluto schaut als blutiger Vollstrecker dem Drama ungerührt zu

Opfer dieser kranken Ideologie werden daher vor allem Menschen, die ihre eigene Identität und jeden Halt in der Gesellschaft verloren haben. Orpheus findet der Sage nach seine Gattin Eurydike im Schattenreich der Unterwelt, weil sein Gesang und sein Kummer die Götter rührt. Doch ihm wird auferlegt, seine Frau erst wieder anzuschauen, wenn sie den Hades verlassen und das Tageslicht wieder erreicht haben. Das ist die Bedingung von Pluto, dem Herrn der Unterwelt. Beinhart zeigt die Szene hier den syrischen Rapper Maher Hamida als Pluto. Eurydike (die makellose Schweitzer Sopranistin Sela Bieri), eingehüllt in den blutigen Tschador des Todes, ist in ihrer Liebe zu Orpheus zunehmend unsicher und verlangt immer fordernder und uneinsichtiger jetzt und sofort eben jene Zuwendung, die ihm für kurze Zeit verboten ist. Orpheus kommt nicht mehr an sie heran - weder mit seiner betörenden Musik noch mit guten Worten. Das ist letztlich ihr Tod und das herzzerreißende Motiv für Glucks berühmte Schlussarie "Ach, ich habe sie verloren".
Cornelia Lanz glänzt in dieser (Strumpf-) Hosenrolle stimmsicher und ausdrucksstark. Ihre Stimme, die Bilder und die Musik dieses Abends nimmt das begeisterte Publikum mit nach Hause. Sie glänzt übrigens auch als Kommunikatorin und liebt das Gespräch mit den Besuchern. Darunter ist auch schon mal ein Musiklehrer, den seinen ganze Schulchor in die Auffühung schicken will. Den Besucher des Freien Musikzentrums (FMZ) empfängt schon im Foyer eine interaktive Ausstellung. Fürs Catering sorgt gut und preiswert das Lokal "Falafel" vom Killesberg, wo ebenso wie auf der Bühne Flüchtlinge mitarbeiten. Genau das will ja Cornelia Lanz mit ihrem mehrfach preisgekrönten Ensemble: Mut machen für das interkulturelle Miteinander im Engagement für Frieden und Völkerverständigung durch Kultur, vor allem Musik und Theater.
Walaa Kanaieh (Mitte) in der interaktiven Ausstellung

Cornelia Lanz im Gespräch mit Besuchern

Das Freie Musikzentrum Feuerbach

 


Sonntag, 29. April 2018

Licht-Spiele: eine poetische Vernissage


Auch die Kunst des Auffallens ist eine Kunst: Iris in Rot

Gestern Abend bei der Vernissage der Ausstellung "Metamorphosen des Lichts - Photographische und zeichnerische Abstraktionen" von Iris Caren Herzogin von Württemberg bei Fotowerkstatt & Galerie Norbert Nieser in Stuttgart Degerloch: Nicht nur Lichtkunst vom Feinsten, sondern auch höchst elegante abstrakte Acrylbilder, die an chinesische Tuschzeichnungen erinnern. Iris beim Empfang der Gäste ganz in Rot auf dem roten Teppich. Wer diesem künsterischen und literarischen Multitalent auf fb folgt, konnte ihren kreativen Farbenrausch schon anlässlich ihrer Reise nach Barcelona erleben. Reisen bilden eben nicht nur, sie inspirieren auch. Interessant finde ich vor allem die Metallplatten als "Leinwand". Das ist auch eine technische Herausforderung. Die Galerie ist klein, aber ein liebevoll präparierter quasi "natürlicher" Ort für so etwas. Solche Dinge und solche Menschen tragen dazu bei, meinen Stadtteil zu einem lebendigen Kulturviertel zu machen.

 





Samstag, 21. April 2018

Ein Datenschutzbericht der anderen Art

Liebe Freunde, am 25. Mai tritt eine Datenschutzverordnung der EU in Kraft, deren konkrete Auswirkungen auf die "kleinen Leute" ich schon im Vorfeld an einem konkreten Beispiel erfahren durfte. Ich will es Euch nicht vorenthalten, weil es zeigt, dass man Gesetze handwerklich extrem schlecht machen kann. Ich wollte Mitglieder meines Gewerkschafts-Ortsverbandes des VS bei ver.di zu einem Autorenstammtisch einladen und wurde freundlich gebeten, eine "Verpflichtungserklärung auf das Datengeheimnis nach § 5 BDSG für ehrenamtliche Funktionäre" zu unterschreiben, zuvor aber 5 Seiten voller Paragraphen, Strafandrohungen und juristischen Fachbegriffen zu studieren, damit ich auch ja weiß, wass ich da unterschreibe. Und dann konnte es losgehen. Das Ergebnis in einer kurzen Zusammenfassung:

Liebe Gewerkschaftssekretärin XY,

vielen Dank! Es ist alles gut angekommen und wird vorschriftsmäßig behandelt. Es hat eine Weile gedauert, denn ich musste die zuvor von mir studierte und unterzeichnete, danach von Dir mit unterschriebene Kopie der Verpflichtungserklärung für ehrenamtliche Funktionäre abheften, mich zunächst bei ver.di online registrieren, mich bei Cryptoshare schlau machen und dort den verschlüsselten Download mit dem separat erhaltenen Passwort erst hinkriegen & schlussendlich entschlüsseln. Wenn man das nicht dauernd macht, ist es halt so. Nun darf ich die Telefonnummern, die ich brauche, um die Kolleginnen und Kollgen aus meiner Stadt zu einem Autorenstammtisch einzuladen, noch einzeln aus dem Telefonbuch zusammensuchen - um festzustellen, dass, wie statistisch üblich, 10 % nicht mehr aktuell sind und weitere 10 % nicht im Telefonbuch stehen. Von Emailadressen gar nicht zu reden... Wir stünden ja alle mit einem Bein im Knast, wenn jede private Email-Gruppenliste ungesetzlich würde und wir über WhatsApp eine Laufgruppe organisieren, die öfters Ort und Zeit der Treffs wechselt, damit der Verfassugsschutz nicht mitläuft. Man weiß ja nie.
Dafür könnt Ihr alle nichts. Aber genau deshalb hatte ich mit meinem Kommentar auf die Email meiner VS-Landesvorsitzenden schon Recht: Eine Brüsseler Datenschutz-Vorschrift, die Facebook, Amazon, Google oder große Organisationen meint, trifft so auch die interne Kommunikation von Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen, Hochschulen, Schulen und mittelständischen Unternehmen bis hin zum Handwerker. Mein Sportverein läuft deswegen gerade Amok. Die Verwaltung weigert sich, der Lungensport-Gruppe die früher üblichen Mitgliederlisten mit Telefonnummern auszudrucken, damit die untereinander und mit den Übungsleitern kommunizieren können. Jetzt kriegt halt keiner mehr mit, wenn das Training ausfällt, weil die Übungsleiterin mit Grippe flach liegt. Ein Arztbrief vom Hausarzt an den Facharzt ist von Strafe bedroht, wenn da eine Telefonnummer drin steht. Meine Chorleiterin hat Schwierigkeiten, ihre Choristen zum Chor-Probenwochenende vor einem Konzert einzuladen. Das ist prima Stoff für Kabarettisten und bombt jede moderne Kommunikation in die Steinzeit zurück. Bis sich die Aufregung legt und Brüssel erklärt, wer alles mit diesem Schwachsinn nicht gemeint ist...
Ich wünsche Euch noch ein schönes Frühlungswochenende ohne Humorverlust!

Mit kollegialen Grüßen,

Sonntag, 8. April 2018

Frühling auf dem Friedhof

Friedhofskompost


Die "Schwälblesklinge" mit dem Nesenbach














Von Stuttgart-Degerloch, wo wir wohnen, führt ein schöner Waldweg über den Dornhaldenfriedhof und den Waldfriedhof durch die "Schwälblesklinge" hinunter in den Ortsteil Kaltental. Den gehen wir oft und entdecken je nach Jahreszeit immer wieder Neues. Jetzt, am zweiten Sonntag im April, haben die Bäume und Sträucher noch keine Blätter, der Wald ist noch kahl. Aber die Friedhofsarbeiter haben schon mal losgelegt - und erst die Pflanzen, die mit dem Kompost des Vorjahres begraben wurden. 1000 Zwielbeln, die nah genug an der Oberfläche liegen, haben ausgetrieben. Den ganzen Weg durch den Wald hat man niemals den Eindruck, in einer Großstadt zu sein. Und doch laufen wir nur eine Stunde lang zur Straßenbahn. Apropos: Ist der Name "Schwälblesklinge" für eine ziemlich urige Schlucht, in der ein gewisser Nesenbach in die Stadt läuft, nicht wunderbar?!