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Donnerstag, 7. September 2017

Helmuth Rilling: Gebeugt von den Jahren, unbeugsam an Statur

Rilling wartet auf seine Solisten
Helmuth Rilling dirigiert "Sichten auf Bach IV" mit dem Jungen Bach Ensemble Stuttgart: eine denkwürdige Begegnung von Jung und Alt.

Helmuth Rilling (84), Gründer und langjähriger Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart, dirigierte in der Stiftskirche Die Kantaten "Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten" (BWV 149) und "Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen" (BWV 146). Da ging´s auch musikalisch "Vom Weltgetümmel in den Himmel". Der Maestro wurde schon mit Standing Ovations empfangen: gebeugt von den Jahren, unbeugsam an Statur. Er sitzt inzwischen am Pult, seinen Augen aber entgeht nichts. Präzise gibt er die Einsätzte, konzentriert, aufmerksam hat er Chor und Orchester im Blick, mit sparsamer, doch effizienter Gestik führt er den Taktstock. Die beiden gebotenen Bach-Kantaten könnten unterschiedlicher kaum sein: Zum Auftakt (BWV 149) ein lebhafter, von starken Bläsern dominierter Instrumentalsatz, der den Kampf zwischen Erzengel Michael und Satan, zwischen Gut und Böse ankündigt. Der wuchtige Titelchor und der Schlusschoral "Ach Herr, lass dein lieb Engelein" haben eine alles andere als süßliche Wirkung, was auch an den immer wieder überraschenden Bläsern liegt. Vor allem die Sopran-Arie "Gottes Engel weichen nie" (Julia Sophia Hagenmüller) und das Duett "Seid wachsam, ihr heiligen Wächter" mit der Altistin Ruth Katharina Peek und dem Tenor Lucas van Lierop waren große Kunst: Seelvoll, aber nie schmalzig, stets tonsicher und stimmstark.
Rillings Solisten
Überhaupt war da ein spürbares Band zwischen Rilling und seinen jungen Musikern zu spören, die ja nur zweieinhalb Wochen hatten, um sich kennen zu lernen. Da ist der Funke auf jeden Fall übergesprungen. Beim Schlussapplaus wartet Rilling, bis seine Solisten wieder hereinkommen. Dann verschwindet er für einen Augenblick für den Betrachter hinter den glücklichen Nachwuchskünstlern und taucht während der Verbeugung hinter ihnen wieder im Mittelpunkt auf: eine kleine Bildserie nicht ohne symbolische Bedeutung. Aber Bilder eilen oft voraus. Noch ist die zweite Kantate nicht erwähnt: Nicht weniger virtuos musiziert, aber doch ganz anders im Charakter kommt BWV 146 daher: Fröhlich von einer virtous-dominanten Truhenorgel getragen die einleitende Sinfonia, die dann auch im weiteren Verlauf, teils mit Oboen und Flöten unterstützt, eine leitend-begleitende Rolle einnimmt. Das macht die Gesamtwirkung deutlich religiöser und zurückhaltender, da über weite Strecken weder Streicher noch Hörner zum Einsatz kommen. Der erste Chorsatz, extrem schwierig wegen des langsamen, getragenen Duktus, bringt die Sänger bei einigen der versetzten Einsätze an ihre Grenzen. Da hatte die Feinabstimmung noch Optimierungspotenzial. Wunderbar aber, wie Rilling alle wieder einfing.

Rilling und seine Solisten
Die Alt-Arie "Ich will nach dem Himmel zu" (eine starke Pauline Stöhr) ist eigentlich ein Duett mit einem Violinsolisten, war ein ausdrucksvoller Höhepunkt. Teils liedhaft, teils tänzerisch, nur von Orgel, Oboen und Flöten begleitet, interpretierte die Sopranistin Reinet Behnke mit schöner, teils zerbrechlich wirkender Stimme die Arie "Ich säe meine Zähren mit bangem Herzen". Sehr harmonisch - mal tänzerisch, mal lyrisch - folgte das Duett "Wie will ich mich freuen" mit Ronan Caillet (ein blendender, starker Tenor) und dem Bass Arthur Cangucu: ein weiterer virtuoser Höhepunkt. Chor und Orchester setzten mit dem Choral "Wer selig dahin fähret" einen klangmächtigen Schlusspunkt, feierlich und getragen.
Das Ergebnis war Begeisterung pur. Der Applaus wollte nicht enden, obwohl das Konzert mit rund 70 Minuten deutlich länger gedauert hatte als am Tag zuvor "Sichten auf Bach III" mit Hans-Christoph Rademann. Und wie war das mit dem ditekten Vergleich? - Sagen wir mal so: Bach ist unvergleichlich. Und was Rilling und Rademann anging: Die Dirigenten sind in ihrer Gestik seht unterschiedlich (Rademann expressiv, körperlich sehr präsent und aktiv, Rilling alteresbedingt gestisch zurückgenommen, aber mit ungemein wacher Mimik), aber keine Konkurrenten. Ich glaube, das hat auch niemand so empfunden. Dass man diese beiden überhaupt so kurz nacheinander hier erleben konnte, war schon bewegend.






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