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Donnerstag, 24. August 2017


Antonio Ortuño: Madrid, Mexiko. Roman. Verlag Antje Kunstmann, München, 224 S., 20 €

Mit "Die Verbrannten" hat Antonio Ortuño einen knallharten Thriller über das organisierte Verbrechen an Flüchtlingen in Mexiko geschrieben. Jetzt folgt in der gleichen, schonungslosen Sprache ein Roman über die Flucht eines Mannes namens Yago nach dem verlorenen spanischen Bürgerkrieg nach Mexiko - und die Flucht seines Enkels Omar vor der Mafia aus Mexico nach Madrid. Die Idee hat was, aber die Durchführung ist leider unnötig kompliziert geraten. Der Reihe nach:
1923 konkurrieren die jungen Anarchisten Yago Almansa und sein Freund Benjamín um die Liebe der schönen María. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpft Yago dann bei den Anarchisten, Benjamín aber bei der Kommunisten. So werden sie Todfeinde. Beide fliehen gegen Ende des Bürgerkrieges nach Mexiko - Benjamín aber mit dem gestohlenen Goldschatz seiner Kampfgruppe. Entsprechend schlechter geht es María und Yago, die auch in Mexiko weiter enge Verbindungen zu den dort jedoch völlig korrupten Gewerkschaften pflegen.
1997 hat Yagos Enkel Omar ein Verhältnis mit seiner wesentlich älteren Chefin Catalina. Die erfolgreiche Antiquitätenhändlerin ist mit Mariachito liiert, dem mächtigen Boss der Eisenbahnergewerkschaft, und verdient sich eine goldene Nase mit dieser Connection. Als die zwei in flagranti erwischt werden, endet das für Mariachito und Catalina tödlich, doch Omar kann mit einem Haufen Geld entkommen. Auf der Flucht vor der (unfähigen) Polizei und dem brutalen Handlanger Mariachitos landet er schließlich mit Frau und Kindern in Madrid.
Beide Handlungsstränge zeigen die Verwicklung vieler "normaler" Leute ins organisierte Verbrechen - sowohl in Spanien als auch in Mexiko. Dass die Kommunisten eine wesentliche Mitschuld am Sieg Francos hatten, weil sie ihre anarchistischen und sozialistischen Verbündeten auf Betreiben Moskaus massenhaft liquidiert und verraten haben, ist eine unbequeme historische Tatsache. Ebenso eng und bedrückend ist die Verstrickung vieler Mexikaner in ekelhaften Rassismus ("Sie hassen uns dafür, dass wir dieses Land kolonisiert haben, wollen aber, dass wir ihre Töchter heiraten") und die üble Mischung aus allgegenwärtiger Korruption und Drogenmafia. So gut wie jeder hat irgendwo die Pfoten im Dreck oder lässt sich bumsen, um Vorteile zu haben.
Das ist ebenfalls typisch für diesen Autor, der 2010 als einer der besten seines Landes geehrt wurde, obwohl er mit 41 Jahren noch recht jung für die Branche ist: Sein Personal ist alles andere als nett. Er beschreibt Menschen, die halt so sind, wie sie sind - und so reden, wie die Leute nun mal reden. Das ist oft alles andere als schön zu lesen, aber kreuzehrlich.
Schade nur, dass die zwei gespiegelten Handlungsstränge so unordentich in zeitlich gegenläufigen Kapiteln einander folgen. Auf "Guadajara, 1997" folgt "Ein Strand von Veracruz, 1946", danach wieder Guadajara 1997 und dann plötzlich "Madrid, 1923" - und so weiter. Das stiftet eine unnötige Verwirrung (schon weil man dadurch die Figuren erst spät wirklich kennen lernt), die man anders hätte auflösen müssen.

Montag, 21. August 2017

Roter Faden Poesie

Christoph Buchwald & Ulrike Almut Sandig (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 2017. Schöffling & Co., Frankfurt a.M., 231 S., 22 €


Hier gibt es keine Autoren zu feiern (es sind zu viele), sondern ein Konzept: Seit inzwischen 31 Jahren gibt es diesen roten Faden durch die aktuelle deutschsprachige Poesielandschaft. Und noch immer ist er lesenswert, teilweise anstrengend (wie sich´s gehört für die intellektuellste aller Literaturgattungen), teilweise auch unterhaltsam (was sicher nicht bloß von mir gern genossen wird), oft überraschend (was das größmögliche Lob ist). Die Verlage haben öfters gewechselt, weil Lyrik eben so gut wie unverkäuflich ist, aber dennoch, wie alle Herausgeber durch die Bank betont haben, von unsterblicher Bedeutung für die Literatur - als deren sensibelster sprachlicher Seismograph.
Das Verfahren ist jedoch stets gleich geblieben: Jeder kann sich bewerben. Zwei Lektoren sichten, lesen und wählen dann aus rund 5000 eingesandten Texten, die heute fast ausschließlich per Email kommen. Einer Lektoren ist ein alter Hase (Christoph Buchwald), einer wechselt von Jahr zu Jahr - diesmal ist Ulrike Almut Sandig dran, die besonders große (und begabte) Ohren für den Klang von Gedichten hat. Die Arbeit ist machbar, aber nach Ansicht der Macher irgendwo zwischen "Schlimmer als Kies schaufeln!" (Thomas Rosenlöcher) und "Zwei Monate Ausnahmezustand, mit steifem Hals und ohne nennenswerten Schlaf" (Ulrike Almut Sandig).
Das Ergebnis kann sich sehen bzw. lesen lassen - nicht nur als "mentaler Wasserstand im deutschen Sprachraum": Das Buch ist auch formal eine Fundgrube für originelle Stimmen, Töne, erstaunliche Einsichten, rhetorische Saltos, beeindruckende Zeit- und Epochenbilder. Und, auch wenn Lyrik so gut wie unverkäuflich ist, so schreibt Ulrike Almut Sandig vollkommen zu Recht: "Ja, in deutscher Sprache wird viel und gut gedichtet." Und: "Nie ging es der deutschsprachigen Lyrik besser, ... denn allen Beerdigungsgesängen zum Trotz ist der Anteil der lesefähigen Bevölkerung höher als je zuvor." Ich möchte ergänzen: auch der lese- und aufnahmebereiten Mitmenschen, gerade unter den jungen, was etwa bei Verantaltungsmarathons wie "Leipzig liest" oder den Rauriser Literaturtagen zu besichtigen ist.
Nur haben sich Rezeptionsformen bzw. -Wege verändert und sich unabhängig vom klassischen Buchmarkt gemacht, der ja heute eher wie Amazons Deppendorfer Mainstream erscheint. Das Internet und Veranstaltungen geben flexible Antworten darauf. Sandig widerspricht auch deutlich der Verlags-PR im Klappentext ("die besten zeitgenössischen Gedichte"), wenn sie betont, dass der Zwang zur Auswahl keineswegs jene diskriminiert, die nicht mehr ins Buch passen: "Wenn etwas nicht zu dieser in deutscher Sprache dichtenden Cloud passt, dann ist es das Werten an sich, das Auflisten bester Gedichtbände, das schwarzweiße Schachspiel von Hopp oder Topp, Gut oder Schlecht, Raus oder Rein".
Kurze Informationen über Autoren und Gedichtbände sind hilfreich bei dieser Lyrikschwemme, ein ausführliches Inhaltsverzeichnis ebenfalls. Die Herausgeber tun sich schwer, Trends zu benennen, was auch nehezu unmöglich ist von Jahr zu Jahr. Zu viele Bäume verstellen den Wald. Dass Gedichte mal politischer sind und mal mehr um den eigenen Bauchnabel der Selbstfindung kreisen - sei´s drum. Mir als langjährigem Kritiker und Lyriker ist trotzdem etwas aufgefallen: Ich suche immer bei Lesen von Gedichten nach Antworten auf bestimmte Standardfragen zu Humor, Erotik, Politik, Natur, dem gesellschaftlichen Miteinander, Utopien, Sozialkritik. Das alles findet sich hier in fünf Kapiteln exemplarisch durchexerziert, auch formal (es sind sogar Sonette dabei) - bis auf die Erotik. "Nackig machen" sich etwa nur Apfelbäume im Herbst. Obwohl das erste Kapitel den provokanten Titel "weithin sichtbar: körper" trägt, ist hier so gut wie nichts körperlich. Ist da deine neue Keuschheit im Zeitalter von Kopftuch- Nikabdebatten ausgebrochen? Fakt jedenfalls bleibt eine auffallende Zurückhaltung bei verbaler Erotik - und auch im letzten Kapitel, das erstmals Bildgedichte präsentiert.
Dazwischen finden sich unter dem Titel "völkerball" politisch-gesellschaftlich-sozioökonomische Themen oder Bildergalerien. Utopisches und Verrücktes sammelt das Kapitel "denn ich trage einen sternengürtel" und Nachdichtungen finden sich unter "Mein Liebchen, schlopst du?" (was aber aus dem Text "Wofür Sprachen da sind" kein erotisches Gedicht macht, bloß weil es da lakonisch heißt "Plautdietsch ist die Sprache der Liebe und der Hausarbeit"). Insgesamt ein großartiges Buch - mal wieder.

Mittwoch, 16. August 2017

Sanfte Dekadenz mit Humor

Tecia Werbowski: Oblomowa. Roman. Aus dem Polnischen von Barbara Schaefer. Atlantik bei Hoffmann und Campe Hamburg, 85 S., 10 €

"Der Schmerz im Leben der Frauen ist wie eine Katze, die ihnen um die Beine streicht, wenn sie die Wäsche bügeln, die Betten machen, die Fenster öffnen oder einen Apfel schälen." Dieses Zitat von Christian Bobin aus "Ein kleines Festtagskleid" ist diesem netten Romänchen vorangestellt, wie um die Titelgrafik zu erklären. Es ist aber aus zwei Gründen so unrealistisch wie der ganze Text: Die Autorin ist keine junge Frau, sondern eine gestandene polnische Übersetzerin Jahrgang 1941, die seit 1968 in Kanada lebt. Zudem wirkt das feministisch klingende Motto des Büchleins extrem deplatziert, wenn man an den Titel und die Figur Oblomows denkt, den sympathisch-apathischen Faulpelz aus dem gleichnamigen Roman von Iwan Gontscharow. An den lehnt sich die ich-Erzählerin Maya mindestens ebenso an wie an die Rücklehne von Bett und Rollstuhl (der ihrem verstorbenen Mann gehörte). Sie ist keine Feministin, sondern eine liebenswerte Schmarotzerin, die niemals Wäsche gebügelt oder Betten gemacht hat - jedenfalls nicht für eine Familie und Kinder, die nie wollte. Sie hält die Tatsache, dass sie vollkommen allein auf der Welt ist, jedoch nicht für ein trauriges Schicksal, sondern für "ziemlich originell".
Geboren als Waisenkind, hat Maya einen reichen, weit älteren Mann geheiratet und lebt in Erwartung einer riesigen Erbschaft nach dessen Tod in den Tag hinein. Am liebsten sind ihr Tage, die sie im Bett verbringt. Den engsten gesellschaftlichen Umgang pflegt sie mit ihren Katzen Minou und Professor Blum oder allenfals dem Briefträger, der im Winter auch Lebensmittel für sie einkauft. So muss sie kaum aus dem Haus. Und auch daheim bewegt sie sich meistens im Rollstuhl ihres Exgatten, obwohl sie kerngesund ist. Diesen Zustand hat der Verstorbene bei aller Liebe wohl vorhergesehen: Er machte die Erbschaft davon abhängig, dass sie seinen letzten Wunsch erfüllt und ihr Nichtstun beendet.
So sieht es aber bis zum Schluss nicht aus, zumal ihre monatliche Apanage ausreicht. Wozu auch diese Eile und Hetze, diese ständige Hysterie, irgendwas zu verpassen? "Ich verstehe wirklich nicht, weshalb die Menschen sich so beeilen, wohin es sie treibt. Da doch jeder Tag sie ihrem Tod näher bringt." Ihre Mitmenschen findet Maya durch die Bank sterbenlangweilig oder lästig. Konsequent bereitet sie ihren Selbstmord mit Champagner und Schlaftabletten vor, regelt ihre Angelegenheiten, vermacht ihre Ersparnisse dem Tierheim und lässt monatelang einen Brief ungeöffnet liegen. Bis der Absender - da hat sie bereits den Champagner geöffnet und die Tabletten bereitgelegt, eines Tages klingelt und in persona vor der Haustür steht...

Leicht zum Abheben

Diego Galdino: Der Sommer in deinen Augen. Roman, aus dem Italienischen von Renée Legrand. Atlantik bei Hoffmann und Campe Hamburg, 265 S., 15 €

Der Autor betreibt im Hauptberuf ein kleine Café-Bar, und so leicht aufgeschäumt wie ein guter Cappuccino oder Latte macchiato  sind auch seine Romane. "Der erste Kaffee am Morgen" (2014) und "Das sizilianische Mädchen" (2016) eroberten die Herzen zahlreicher Leser - und vor allem Leserinnen. Urlaubslektüre eben, bei der man nichts allzu schwer nehmen darf. Die Handlung: Mal wieder eine Liebesgeschichte - diesmal mit einem reiferen Maler und der jungen, hübschen Tochter seiner Gastgeber auf dem Land in der Nähe von Siena. Er hat den Auftrag, die Gegend zu malen, und die naiven Eltern geben ihm die Tochter als Cicerone mit. Malerische Beschreibungen einer malerischen Landschaft und Architektur sind da zu lesen, aber auch Charakterstudien: Ein arroganter Amerikaner mit Geld und eine unerschütterlich charmante Italienerin ohne solches etwa.
Die Faszination des Unzugänglichen oder die Tatsache, dass Bares nicht nur auf Pensionswirte, sondern auch auf Frauen eine magische, blind machende Anziehungskraft ausübt, ist zwar nicht neu. Galdino aber beschreibt sie mit viel Empathie, wenn auch mit ein- bis zwei Augenzwinkern mehr als nötig. Schöne Ausblicke und schöne Anblicke hingegen haben es dem Künstler angetan - o Wunder. Das lässt schon der Titel ahnen. Der Rest ist Atmosphäre: Toskana pur, ein Reiseführer in erzählender Prosa und ohne Fotos oder Adressapparat. Der Plot darf ruhig vorhersehbar sein, das ist er auch bei Weltromanen wie Don Quijote. Doch auch hier (wie schon bei Cervantes) gibt es das überraschende Detail und Humor, der sich aus dem Zusammenstoß des Widersprüchlichen speist: Unerschöpfliche Quellen dafür sind die neugierige Wirtin, der Dorfklatsch, die Balzrituale und das Dolce vita als solches eben.
So muss leichte Unterhaltungslektüre aussehen: bekömmlich, aber unverbindlich, mehrheitsfähig und nett, aber bloß nicht zu tiefgründig oder gar problembewusst. Ein bisschen Kunst und Kultur, ein bisschen Erotik und ein bisschen Küchenpsychologie auch, aber bloß nichts Anstrengendes. Was Rosamunde Pilcher für Wales, das könnte dieser Barista Diego Galdino für die Toskana werden. Klischees? - Ja, bitte gerne. Kein Mensch kann ewig nur originell sein. Wer sich gerade mal selber zum Hals raushängt, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

Dienstag, 15. August 2017

Großes Finale eines genialen Romanzyklus

Carlos Ruiz Zafón: Das Labyrinth der Lichter, Roman. S. Fischer Verlag Frankfurt a.M., 945 S., 25 €

Er begann als Autor von Schauerromanen und hat in der Zunft den Ruf eines genialen Arschlochs, was auch immer das heißen mag. Carlos Ruiz Zafón hat jedenfalls in den Romanen seines Barcelona-Zyklus mit "Der Schatten des Windes", "Das Spiel des Engels" und "Der Gefangene des Himmels" sowie "Marina" gezeigt, dass er ein Dichter von sehr hohem Niveau ist. Alle seine Bücher wurden Bestseller (was nichts mit der Qualität eines Autors zu tun hat), aber alle haben nicht nur das Publikum, sondern auch die Kritiker begeistert (was ziemlich viel mit der Qualität eines Autors zu tun hat). Mit dem Roman "Das Labyrinth der Lichter" legt Zafón jetzt das große Finale dieses genialen Zyklus vor: Fast 1000 Seiten dick und doch keine einzige davon langweilig. Wo andere vielleicht Zeilen schinden oder sich geschwätzig in den Wirren eines komplexen Plots verlieren, fällt diesem Autor immer noch etwas ein, um die Spannung zu steigern. Überraschungen sind sein Metier ebenso wie seine Heimatstadt Stadt Barcelona. Da sollte man meinen, man kennt das Zubehör und Überraschungen seien nicht mehr wahrscheinlich. Weit gefehlt! Man mag ja auch die Zutaten eines guten Kochs auf dem Markt schon lange kennen und vielleicht auch selbst einkaufen. Aber das macht halt allein noch keinen guten Koch. Der wird man erst durch gute Rezepte und geniale Ausführung. Was zu begründen wäre:
Das Konzept ist eine furiose Mischung aus Gruselgeschichte, Polit-Thriller und historischem Roman über die Leiden einer Buchhändlerfamilie im spanischen Bürgerkrieg, in der Francodiktatur und in der Zeit danach. Da hat nämlich ein Teufelspakt zwischen Nationalisten und Sozialisten in Madrid dafür gesorgt, dass die Mörder nicht nur ungeschoren davonkamen, sondern auch nahezu unbehelligt weitermachen konnten. Die Zeit nach Franco war in vieler Hinsicht eine Zeit der Beutesicherung für die Sieger: Zu Unrecht erlangte Posten, geraubte Vermögen, erseilschaftete politische Macht in Behörden, Banken, Baukonzernen, Kunst- und Kulturbetrieb wurden mit Methoden des organisierten Verbrechens und politisch gedeckter Vertuschung nachhaltig zementiert und immunisiert gegen juristische Verfolgung. Vergangenheitsbewältigung? - Fehlanzeige in der spanischen Realität. In der Literatur muss man aber neben das Werk des leider 2015 verstorbenen Rafael Chirbes inzwischen einen zweiten Namen stellen: Zafón. Beide lassen nicht locker, haben sich regelrecht verbissen in einen gesellschaftlichen und historischen Skandal, der wirklich mehr als nur einen spannenden Plot hergibt. Dennoch muss man diese wüste Stoffmenge erst einmal sammeln, sichten, sortieren und bewältigen. Zafón meistert diese Mammutaufgabe souverän.
Hier, in diesem mutmaßlich letzten Roman des Zyklus, verschwindet ein "begnadeter" Kulturminister spurlos, der sich im Lauf detektivischer Recherchen als Massenmörder, Folterknecht, Titelbetrüger und Dieb entpuppt, der auch noch mit gefälschten Staatspapieren handelte, um das Maß voll zu machen. Seine Opfer haben ihn erst entführt und sich dann grausam gerächt, was perfekt ins Konzept einer intriganten Grauen Eminenz passt, die einen lästigen Mitwisser entsorgt sehen will, der einfach zu viel Mist gebaut hat. Sie missbraucht Geheimdienstler und Kripo als Marionetten, wie das nur Politiker können. Irgendwann kippt halt eine Lebensvesicherung, die darin besteht, mit mächtigen Leuten buchstäblich viele gemeinsame Leichen im Keller zu haben, ins Risiko.

Dann die Charaktere: Von Bösewichten und Opfern bis zu heldenhaft beharrlichen, aber keineswegs eindimensionalen Ermittlern mit menschlichen Schwächen zeichnet Zafón glaubwürdige Figuren und stattet sie mit dem historisch korrekten Outfit, dem nachvollziehbaren Auftreten und einer passenden Sprache aus. Sie spielen sorgfältig ausdifferenzierte Rollen und reden so, wie man halt in so einer Rolle nur allzu oft redet. Manchmal sehr sachlich, lakonisch und knapp. Auch komisch und durchaus witzig. Manchmal satirisch oder salbadernd und eitel, manchmal hochgestochen und saudumm politisch, an den richtigen Stellen naiv oder arrogant, brutal oder verletzlich, je nach Standpunkt auch sarkastisch oder zynisch. Zafon behherrscht diese Tonarten alle, und das brillant. Wo er dabei seine Sympathien hat, ist letztlich wurscht. Das Buch ist ein fulminantes Sprachkunstwerk, das eine ganze Gesellschaft allein mit erzählerischen Mitteln im Kopf entstehen lässt. Das alles in der Übersetzung nachzuvollziehen, ist ein großes Verdienst des Nachdichters Peter Schwaar.
Die Gabe des Erfindens: Zafón nutzt nicht nur historische Steilpässe fürs Fabulieren, sondern hat mit seinen Ausflügen in das unterirdische Barcelona und den grandiosen, labyrinthischen "Friedhof der vergessenen Bücher Schauplätze einer psycholgisch dichten Atmosphäre geschaffen, die denen des real existierenden Barcelona mit seinen Spelunken und Cafés, seinen historischen Villen an den Hängen des Montjuic und den Folterkellern der Geheimpolizei in nichts nachstehen. Eine nette Klammer, die alle Romane in diesem Zyklus verbindet und nur hier aufgelöst wird: Den Wächter dieses Friedhofs der vergessenen Bücher stellt traditionell ein Mitglied der Buchhändlerfamilie Sempére. Mittendrin natürlich immer schöne Frauen und herzzerreißende Geschichten von Liebe, Betrug, Abhängigkeit, Genie und Wahnsinn, in denen die beteiligten Männer eher unglücklich bis ahnungslos agieren.


Donnerstag, 10. August 2017

Kleine Gardinenpredigt zum Thema "Fluchtursachen"


Italien und Österreich zoffen sich wegen der 25000 Flüchtlinge, die im Juni aus Schwarzafrika gekommen sind und z.T. wie einst gehabt in öffentlichen Parks campieren. Deutschland schickt viele Afghanen zurück - oft nicht nach Afghanistan, sondern nach Italien, wo sie zuerst aufgeschlagen waren, bevor sie weiterzogen. Alles der reine Irrsinn! Frau Merkel will "Fluchtursachen bekämpfen" und redet immer noch mit gespaltener Zunge. Wir Europäer müssen endlich klare Verhältnisse schaffen - zuerst einmal bei uns selbst, und dann sind wir auch glaubwürdig bei anderen, z.B. Afrikanern.
Es muss aufhören, dass Europa fast nur noch aus Rosinenpickern besteht, die Geld nehmen, aber keine Flüchtlinge. So funktioniert weder Europa noch irgend eine Integration von Flüchtlingen. Also sollten unsere Politiker endlich den Tatsachen ins Auge sehen und Konsequenzen ziehen: Länder, die gemeinsame Regeln nicht akzeptieren (z.B. Polen, Techechien, die Slowakei, Ungarn oder der ganze Balkan bis hin zu Rumänien und Bulgarien, aber auch die "Südländer" Portugal und Spanien), müssen raus aus den Vorteilen des Euro und der Zuschüsse! Es ist eine elende Rosstäuscherei, zu behaupten, davon habe "Europa" etwas. Nur die Mafia und Nationalisten haben davon etwas. Und die brauchen wir nicht.
Es muss zudem aufhören, dass Italien und Griechenland allein gelassen werden, dass EU-Fabrikschiffe die afrikanischen Fischer brotlos machen, Rotes Kreuz, Caritas und Arbeiter-Samariterbund u.a. mit unseren Kleiderspenden Kenias Textilindustrie und den einheimischen Handel ruinieren, weil sie die Klamotten im industriellen Maßstab mit Dumpingpreisen zu Geld machen. Es muss aufhören mit dem legalen und illegalen Landraub und der "Entwicklungshilfe", mit der sich bloß Diktatoren bereichern, es muss aufhören mit den Waffenverkäufen in Krisenregionen, ganz gleich ob durch Heckler & Koch (Mexico) oder Rheinmetall (mehrere arabische Länder). Wir können also schon eine ganze Menge mehr mehr tun, als Erdogan oder lybischen Banditen in den Arsch zu kriechen. Wer erinnert sich noch? - Die Bundeswehr hat erfolgreich Brunnen in Somalia gegraben und ist dann abgezogen. Es folgten die Seeräuber, die unsere Schiffe überfallen, und die Warlords, vor denen die Leute flüchten. Wir geben zu viel Geld ohne Kontrolle und Gegenleistung ins Ausland, ganz generell. Das muss alles auf den Prüfstand, das sind unsere Steuern. Was da passiert, ist unfassbar idiotisch und eine der Hauptursachen für die Flüchtlingsflut in der Welt!
Es geht aber auch anders. Es wurden viele Fehler gemacht, doch meines Wissens nicht von Gott oder Aliens, sondern von Menschen. Deshalb können Menschen diese Fehler auch korrigieren. Vor allem bei Wahlen.
Wer nicht wählen geht, lässt die AfD machen. Wer CDU wählt, lässt Wolfgang Schäuble und seine Freunde unter der Regie von Angela Merkel weiter machen, was schon so lange falsch läuft in Richtung Katastrophe: Kein sozialer Wohnungsbau, aber schleichende Enteignung der kleinen Sparer durch Nullzinspolitik, Steuer-Milliarden für die Sanierung von Banken, Großunternehmen und Staatshaushalten, aber immer noch legale Steuervermeidung und zu wenig Stellen für Erzieherinnen, Lehrer, Pflegepersonal, Polizei. Keine Energiewende, sondern weiter Abgasbetrug, enorm dreckige Braunkohlekraftwerke, erstickende Menschen in den Städten sowie einseitige Belastung der privaten Haushalte durch Ökostrom. Keine Gesundheitsreform, sondern stattdessen Selbstbedienung von Ärzten und Pharmakonzernen bei den Krankenkassen. Milliarden für Stuttgart 21, aber kein Geld für die Sanierung maroder Straßen, Brücken, Schulen und Traumapsychologen, die Farsi oder Arabisch können. Und so weiter. Leute, wacht auf: Ihr könnt das ändern!

Mittwoch, 9. August 2017

Bernstein-Lyrik als Buch? - Nein, danke!

F.W. Bernstein: Frische Gedichte. Verlag Antje Kunstmann, München, 208 S., 18 €

Der Verlag Antje Kunstmann hat generell meine größte Hochachtung für seine Publikationen. Hier aber hat er ins Klo gegriffen. Das Zitat aus der Süddeutschen Zeitung auf der Bauchbinde sollte jedem potenziellen Leser eine Warnung sein: "F. W. Bernsteins Werk vermittelt den Eindruck grenzenloser Munterkeit". Ich würde eher von Albernheit reden. Ach was war die gereimte Komik von Leuten wie Hanns-Hermann Kersten noch originell und technisch sauber! Hier aber schreibt ein Karikaturist, der besser zeichnet als dichtet. Für Zeitschriften wie Pardon und Titanic ist das ok, aber ein dickes, in Leinen gebundenes Buch mit dem Autorennamen in Gold? Bäh. Mag ich nicht. Beispiel gefällig?
Unter dem Titel "Mein Programm" heißt es gleich eingangs:
Ihr sucht
Verse von schnatternder Wucht?
Ihr findet sie hier:
Alle von mir.
Ach ja? Was ist denn, bitteschön, eine schnatternde Wucht? Ich habe das Quaken einer Ente als Klingelton auf dem Handy - laut und durchsetzungfähig, aber eine Wucht? Und so geht das die ganze Zeit durch Kraut und Rüben. Verzeihung, die Kapitel lauten "Drinnen und draußen", "Das Tier und wir", Vom Dichten, Sport und Mord" oder "Die letzten Dinge", "Historisches und Politisches", "Kunst, Kulinarik und Musik". Kommen noch "Huldigungen und Gelegenheitsgedichte", Sachen "Zu Zeichnungen von Chlodwig Poth" und zuletzt "Kleinkram und lyrische Störfälle". So hätte man die ganze Sammlung nennen sollen: beliebig, unernst, blödelnd ohne jeden Tiefgang, weder witzig noch wirklich poetisch. Kalauer statt Witz:
Nein!
Reim kann bleim.
Weg mit dem Bedeutungsschmutz!
Ich zähl die Wörterchen und putz
die Lichter des Gedichts.
Sonst wird das nichts.
Frei nach dem Motto "Reim dich oder ich fress dich" geht er da dem "Wörterschmutz" an den Kragen und lässt den Reim gnädig "bleim". Au weia, vielen Dank auch! Und das ganz ohne Karikaturen, die sonst die kahlen Zeilen belebten: ein "poetisches und witziges Spätwerk" wie des Kaisers neue Kleider: Nackt, traurig. Sorry: nichts für Lyrikfreunde, schon eher für die Lektüre beim Friseur so nebenher. Unreife mit Professorentitel halt. "Gala" in Reimchen für Heimchen.