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Sonntag, 4. Juni 2017

Thomas Zehetmair feiert die Mutter aller Violinkonzerte

Am 01./02. Juni spielte das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Philippe Herreweghe sein 9. Abo-Konzert in der Liederhalle. Im Zentrum des Abends stand Ludwig van Beethovens (einziges) großes Violinkonzert D-Dur, so etwas wie die „Mutter aller Violinkonzerte“. Solist war
dabei Thomas Zehetmair. Der vielfach preisgekrönte Salzburger Virtuose leitet seit dem Herbst 2016 auch das Musikkollegium Winterthur. Und was der 50jährige als Spezialist für Mozart und Paganini, der 2009 Beethovens Violinkonzert bei Philipps Classics eingespielt hat, damit anstellte, war schlicht atemberaubend. Auch für Beethovenkenner, die dieses
schon oft gehört haben, waren überrascht von der Gefühlsintensität, Präsenz und technischen Brillanz des Solisten, der Beethovens Klavierfassung seines eigenen Konzerts als Kadenz spielte, als sei Beethoven anders nicht zu interpretieren. Die inspirierte Arbeit des Komponisten fand in Zehetmair einen kongenialen Interpreten.
Dieses Violinkonzert ist 41 Minuten lang, gilt als Prototyp seiner Gattung und hat deren Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Das Charkteristische, damals Neue ist die komplexe Verbindung von Einflüssen des Virtuosenkonzerts mit sinfonischen Elementen. Es war aber den meisten Solisten zu schwer und bot ihnen gleichzeitig zu wenig Gelegenheit, als Virtuose zu glänzen. Unglaublich, aber histofisch wahr. Aber seit Zehtmair gelten andere Maßstäbe.
Mit diesem Konzert begann übrigens auch die späte Freundschaft zwischen Schumann und Joseph Joachim. Der berühmte Geiger spielte es im Mai 1853 beim Niederrheinischen Musikfestival in Düsseldorf, das Schumann mitgestaltete. Joachim regte an, Schumann möge doch auch so etwas für Violinisten schreiben. Und tatsächlich ließ sich der dadurch zu seiner Fantasie für Violine und Orchester op. 131 und dem Violinkonzert WoO 1 anregen.
Eingerahmt wurde Beethoven durch die „Manfred“-Ouvertüre und die Sinfonie Nr. 2 C-Dur von Robert Schumann. Die Ouvertüre zur Schauspielmusik zu Lord Byrons dramatischem Gedicht „Manfred“ aus dem Revolutionsjahr 1848 leitete den Abend ein, obwohl sie ein Spätwerk ist. Denn sie zeigt eindrucksvoll die starke literarische Prägung Schumanns durch seinen Vater, der Buchhändler war. Sie ist hier besonders deutlich zu hören.
Schumanns Sinfonie Nr. 2 C-Dur bildete den Abschluss. Die Suche des Komponisten nach der „Wahrheit des Ausdrucks“ hat seine Frau Clara Wieck hier besonders geliebt, „weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken". Es entstand 1844 mitten in einer Depression, durch die sich der Komponist aber noch einmal zurück ans Licht kämpfte.
Der Dirigent war Philipp Herreweghe aus dem belgischen Gent (Jahrgang 1947). Der studierte Musiker und Psychiater gilt als vielseitiger Spezialist für historische Aufführungspraxis und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Seit 1997 ist er Hauptdirigent der Königlichen Philharmonie von Flandern und ein gefragter Gastdirigent – unter anderem beim Mahler Chamber Orchestra in Berlin, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem Concertgebouw-Orkest Amsterdam. Seine Interpretation von Beethoven und Schubert zeigte Seelenverwandtschaften. Nach einigen Minuten irrituerenden arhythmischen Gefuchtels zu Beginn der Mannfred-Ouvertüre zeigte sich, dass der Verzicht auf den Taktstock Sinn hatte: Herreweghe hat unglaublich sensibel sprechende Hände.

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