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Montag, 12. September 2016

Schlussapplaus mit Händel-Oratorium beim Musikfest Stuttgart

Finale: Gerlinde Sämann (im roten Kleid), Hans-Christoph Rademann, James Gilchrist, Gillian Webster, Andreas Wolf
Das Abschlusskonzdert beim diesjährigen Musikfest Stuttgart war eine Aufführung von Georg Friedrich Händels "L´Allergro, il Pensersoso ed il Moderato", Pastoral in drei Teilen mit der Gechinger Cantorey und Solisten unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann, dem künstlerischen Leiter der Stuttgarter Bachakademie. Die Atmosphäre in der ausverkauften Liederhalle am 11. September war feierlich (Indiz: trotz tropischer Temperaturen waren die Leute tatsächlich gut angezogen), das Gebotene angemessen und die musikalische Leistung hervorragend, um es gleich zu sagen.
Dass der Vielschreiber Händel auch bei diesem Stück aus dem Jahr 1740 in seiner Widersprüchlichkeit erkennbar blieb, ist keine Schuld der Heutigen und kaum eine des Komponisten. In seiner fruchtbarsten Schaffensperiode - zumindest was musikdramatische Werke angeht - schuf Händel besonders viel, und auch besonders viel wunderschöne Musik. Leider darf man als Zuhörer nie länger als eine Minute vergessen, dass Händel Hofkomponist in London war. Das erklärt die englischen Texte nach (sehr schönen) Gedichten John Miltons (der Autor von "Paradise Lost"), aber nicht den italienischen Titel, der eher in Richtung Oper deutet. Dem Maestro scheint Dergleichen ziemlich wurscht gewesen zu sein. "Il Allegro" - Der heitere, "il Penseroso" - der Gedankenvolle, Melancholische, und "il moderato" - der Ausgeglichene ist ein typischer Titel für Aufklärungswerke, deren erhobener Zeigefinger dem königlichen Auftraggeber wichtiger war als eine knalliger oder auch nur treffende Überschrift. Auch dafür kann heute niemand etwas. Damals hatten dergleichen allegortische Figuren wie personifizierte Tugenden oder Untugenden auf den Bühnen Hochkonjunktur. Theater, auch Musiktheater, sollte erzieherisch sein.
Der an sich dramatisch reizvolle Kontrast zwischen Lebensfreude (Allegro) und Miesespeter (Penseroso), an deren Dauerstreit sich schließlich zwecks Vermeidung einer bipolaren Störung (früher sagte man dazu manisch-depressive Störung) ein lachender Dritter namens "Ausgeglichenheit" freut, ist aber musikalisch trotz allen Melodienreichtums eher grottenlangweilig. So etwas kann man heute ohne Gähnen nicht mehr fast drei Stunden lang durchhalten, das ist ohne Bearbeitung einfach nicht abendfüllend. Doch auch daran sind die hervorragenden Musiker absolut unschuldig. Allein dass man so viel Worte braucht, um den ganzen Schmonzes zu erklären, ist Indiz für die Überfälligkeit einer Schrumpfkur. Die könnte z.B. bei den Rezitativen und Wiederholungen ansetzen.
Aber von vorn: Das Orchester spielte grandios. Auch ohne Dirigenten intonierte es das einleitende Concerto grosso G-Dur HWV 319 anstelle einer Ouvertüre: Souverän bis virtuos, teils geradezu schmissig, rhythmusbetont - ein richtig moderner Händel, für historische Instrumente keine Kleinigkeit - oder doch?
Die Solisten waren durchweg überragend. Nicht nur sangen sie schwierige Passagen absolut sicher, auch die Stimmen harmonierten miteinander aufs Schönste. Sogar die Textverständlichkeit übertraf manche deutschsprachige Opernaufführung um Längen wegen der durchweg großartigen, aber nie affektierten Artikulation. Die blinde Sopranistin Gerlinde Säman (Allegro) und ihre englische Kollegin Gillian Webster (Penyseroso) gaben ein wunderbares Duell-Duo ab: ebenbürtig, klug aufeinander abgestimmt, beide stimmgewaltig. Am schönsten in Ensemblenummern wie mit dem starken Chor in der Nummer "Haste thee, nymph...", die eigentlich eine echte, aber virtuose Lach-Nummer ist, im Duett mit der Querflöte bei "Sweet bird..." oder in dem Duett "As steals the morn".
Der britische Tenor James Gilchrist (Kommentator) und der deutsche Bass Andreas Wolf (Jäger) standen kaum nach, hatten nur kleinere Rollen. Die ganze Bandbreite barocker Schäferlyrik rollte da auf und ab. Es gab reichlich Höhepunkte, aber dazwischen stand das Gewässer des musikalischen Flusses nahzu still. Schade eigentlich, denn da steckt der Stoff für ein ganz großes Musiktheater drin. Falls sich denn jemand traut, das rauszuholen. Zur Belohnung für Sänger und Musiker nach so viel Schönklang und Durchhalten war erschöpfter, aber dankbarer, lang anhaltender Applaus. Die Musiker hatten sich getraut, den ganzen Reichtum Händlscher Melodien und Formen auszupacken. Das war eine bestandene Feuerprobe für die "Gaechinger Cantorey". Dieser Eindruck wird bleiben.




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