Seiten

Samstag, 3. September 2016

Monteverdis Marienvesper in Stuttgart: ein Riesenerfolg

Die "Gaechinger Cantorey" bei Monteverdis Marienvesper (Foto: Holger Schneider)


Die "Gaechinger Cantorey" - die neu formierten Ensembles aus Chor und Orchester haben sich gestern beim Eröffnungskonzert für das Musikfest Stuttgart in der Liederhalle zum ersten Mal öffentlich präsentiert. Das Debüt war gleich ein Hammer: Festival- und Akademieleiter Hans-Christoph Rademann dirigierte die Marienvesper von Claudio Monteverdi, ein Vorzeigestück polyphonen Klangreichtums aus der Renaissance bzw. dem Frühbarock - je nach Blickwinkel. Mit phantastischen Solisten - allen voran Dorothee Mields und die blinde Gerlinde Säman (beide Soran), den Tenören Georg Poplutz, Jakob Pilgram und Tobias Mäthger sowie den Bässen Julinán Millán und Martin Schickedanz wurde die Aufführung ein Riesenerfolg. 
Das Orchester spielte virtuos auf historischen Instrumenten oder Nachbauten. Monteverdi schrieb diese Musik als musikalischer Direktor von San Marco in Venedig. Und wenn er die heutige Technik gehabt hätte - nicht auszudenken, zu was der Mann dramaturgisch imstande gewesen wäre. Mindestens hätte er schon mal die Split-Screen erfunden.
Von einstimmigen gregorianischen Choralsätzen des Mittelalters über liturgische Melodien der Psalmen über die Formen der Concertos und Canti fermi und bis zur zehnstimmigen Sonate: dieser Vorläufer von Oratorium und Oper enthält alles, was damals musikalisch bekannt und möglich war, in höchster Vollendung. Dabei ist die Marienvesper alles andere als eine bloße Sammlung liturgischer Musik - sie ist dramaturgisch durchgestaltet. Das Konzert war ein großartiger Hörgenuss - Raumklang in rundum verteilten Vokal- und Instrumentalgruppen, Echos inbegriffen. Ein sehr schönes Detail der historisch informierten Darbietung: Die Sänger bedienten sich perfekt der italienischen Aussprache der lateinischen Texte, wie sie damals üblich war. Die Belohnung für alle Mitwirkenden: lang anhaltender Applaus und Standing Ovations. Bravissimo! 
Einzig zu kritisieren: die Behauptung von Uwe Wolf im Programmheft, die Marienvesper sei "aus dem Geist der Gegengeformation" entstanden. Der Komponist war halt wie die meisten Italiener katholisch und wollte eine große Messe an den Papst verkaufen (was übrigens nicht gelungen ist). Punkt. Die Zusammenstellung alttestamentarischer Texte oder gar die Musik selbst hat mit der Gegenreformation nicht mehr zu tun als Bach mit dem Ablasshandel des Vatikans: nichts.

Keine Kommentare: