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Samstag, 11. Juni 2016

"Königliches Privileg" mit Sarah Wegener in Ludwigsburg


Reinhard Goebel und Sarah Wegener beim Schlussapplaus
Ein tolles Konzert gab es gestern im Ordenssaal des Residenzschlosses bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen: Sarah Wegener mit dem Kammerorchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Reinhard Goebel, de, legendären Gründer des Ensembles Musica antiqua Köln. Die Sopranistin interpretierte Barockmusik von Jean-Joseph de Mondonville (1711 - 1772) und Niccolò Jomelli (1714 - 1774). Jommelli mit der Vertonung zeitgemäßer Schäferlyrik, Mondonville originellerweise mit seinem "Privilège du Roi" - der königlichen Erlaubnis von 1742, seine Noten zu drucken und zu verkaufen. Das wäre ungefähr so, als ob John Lennon einen Plattenvertrag vertont hätte - Musik in höchster Vollendung zu einem unglaublich banalen, rein kommerziell-juristischen Text, einem puren, unbearbeiteten Kanzleidokument eben. Sarah Wegener machte daraus eine phantastisch ironische und musikalisch herausrgende Performance. Wenn Verträge immer so sexy wären, würde ich nichts anderes mehr schreiben. Seit 300 Jahren erstmals wieder zu hören - eine Ausgrabung der Extraklasse auf einem musikalischen Niveau, das derzeit weltweit kaum zu toppen sein dürfte!
Eingeleitet wurde dieses Highlight durch eine ausgesprochen rebellische Komposition: Die "Elementarmusik" von Jean-Féry Rebel (1666 - 1747). Man traut seinen Ohren kaum: Atonal und expressionistisch, das gab es also schon 1737! Nach dem ohrenbetäubenden Anfangsakkord überrollt dieser Barock-Tonsetzer Rebel, dem der Name Programm schien, trotz seiner damals 72 Jahre das Pulikum im Eingangssatz "Chaos" mit einem ausgelassenen Presto, das jedem Versuch hohnspricht, igendwie Ordnung in die Naturgwalten zu bringen. Wasser, Feuer, Luft und zuletzt die Nachtigallen der bewohnten Erde bieten dann wunderschöne harmonische Auflösungen.
 
Intendant Thomas Wördehoff im Pausengespräch
In der Pause, noch vor der "Cantata  Nice" von Jommelli, plauderte Intendant Thomas Wördehoff mit einer Gruppe syrischer Flüchtlinge, die demnächst an einer Koproduktion der Mozart-Oper "Idomeneo" des Vereins Zuflucht Kultur mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen mitwirken. Großartig schon die Proben. Der Hinweis sei erlaubt, dass am 8. und 9. Juli zwei Aufführungen im Forum am Schlosspark geplant sind. Mir fällt bei dieser Zusammenabeit über Kulturgrenzen hinweg noch ein, dass unsere Freunde aus Syrien sich in diesem Schloss fühlen müssen, als seien sie zu einem Konzert in einer ehemaligen Residenz von Saddam Hussein eingeladen (die entsprechenden Gemächer von Baschar al Assad in Damaskus stehen für so etwas ja noch nicht zur Verfügung). Schon der Weg in den Ordenssaal ist ja gepflastert mit einer Ahnengalerie Württembergischer Herrscher, die schon ein rechtes Gruselkabinett darstellt. 
Die wichtigste Lektion daraus auch ohne Worte: demokratische Kultur hat bei uns diese Manifestationen despotischer Allmachtsphantasien besetzt, umgewidmet und für alle geöffnet. Im Schlosshof, wo früher Wachbatallion paradierte, flanieren nun Konzertbesucher und Hochzeitsgesellschaften. 
Den Abschluss des Abends bildete die Sinfonie Nr. 29 A-Dur des 18jährigen Wolfgang Amadeus Mozart, der bekanntlich auch in Ludwigsburg gastierte. Wie brillant dieses Orchester inzwischen auf Alte Musik eingestellt ist, wurde hier einmal mehr hörbar. Es war auch ein Privileg, den Dirigenten Reinhard Goebel zu erleben, den Wördehoff seit seiner Zeit im Ruhrpott kennt. Mit launigen Worten bat er schon vor dem Beginn darum, sich mit modischem Szenenapplaus zurückzuhalten: "Man applaudiert ja besser nicht nach jedem Stück, etwa bei einer Trauermusik". Völlig durchgeschwitzt, entledigte er sich vor der Zugabe (Einer Wiederholung von Rebels "Chaos") seiner "Rüstung: Frack, Bauchschärpe, Fliege fielen zu Boden, und befreit spielte dann auch das Orchester nochmals das musikalische Naturbild über die Zeit vor dem Auftritt des Menschen.