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Sonntag, 20. Juli 2014

Gelungende Deutschlandpremiere: "Adelaide di Borgogna" bei Rossini in Wildbad



Ein Unhold, der König Lothar von Burgund ermordet hat, seinen Thron besetzt und seine Witwe zur Frau will, aber von Kaiser Otto dem Großen daran gehindert wird: Das ist der historische Kern der Oper "Adelaide di Borgogna" von Gioacchino Rossini, die am 19. Juli beim Festival Rossini in Wildbad Deutschlandpremiere hatte. Was aber Regisseur Antonio Petris und die Musiker aus der Geschichte machten, war große Oper in kleinem Rahmen mit veritablen Überraschungen. Danach sah es allerdings zunächst nicht in  jeder Phase aus. Bei der Besetzung hatte Intendant Jochen Schönleber erkennbar auf etablierte Qualität gesetzt. Hier gut, dort Böse: so einfach war es dann eben doch nicht. Denn auch Schurken leiden und Helden können sehr wohl grausam sein.
Unter der musikalischen Leitung von Luciano Acocella spielten die Wildbad-erfahrenen Virtuosi Brunensis. Das bewährte Orchester nahm feinsinnig und virtuos die Vorgaben des Dirigenten auf, der - anders als der rhythmus-betonte Antonino Fogliani - eher die Melodien betonte und die Bläser stärker ins Spiel brachte. Der musikalische Leiter der Oper Rouen ist ein weltweit erfahrener und stilsicherer Rossini-Interpret. Er brachte zielsicher eine ausgewigene Balance großer dramatischer, zuweilen vaterländisch-italienischer Gesten und menschlicher Gefühle zwischen Liebe und Hass, Demütigung und Machtstreben, Verrat und Solidarität auf die Bühne.
Die großen musikalischen Momente dieser Oper sind ohne Zweifel die Duette von Königin Adealide und Kaiser Otto dem Großen, der sie schließlich aus ihrer misslichen Lage befreit und heiratet. Nicht ohne Befremden wird ein Teil des Publikums bemerkt haben, dass Rossini den männlichen Helden mit einer Hosenrolle besetzt hat. Aber das sollte sich als genialer Schachzug erweisen, der in Wildbad mit Bravour umgesetzt wurde.


Nicht nur der Leitspruch "Sex sells" gilt auch und gerade für die Oper. Die Sopranistin Ekaterina Sadovnikova (Adelaide) und die Mezzosopranistin Margarita Gritskova (Ottone) bekamen Gelegenheit zu einer ungewöhnlichen Breite und Tiefe musikalischer Liebeserklärungen und sangen nicht nur umwerfend, sondern spielten auch hinreißend: Es war bei tropischen Temperaturen ein gelungenes Stück Musiktheater mit zwei heißen Frauen in den Hauptrollen. Mit einem Tenor hätte das so nicht funktioniert. Und das, obwohl Ottone kein verkleideter Mann und das Paar keineswegs eine Lesbenshow für Voyeure oder Feministinnen war. Das Spiel dieser beiden bkieb in jeder Phase musikalisch überzeugend und psychologisch offen. In Höhen und Tiefen wie im Vibrato treffsicher, mit einer großen Leichtigkeit und Spielfreude sangen sie sich in die Herzen des Publikums: zwei wunderbare, elastische und vor Kraft strotzende Stimmen, zwei sinnliche, starke, manchmal laszive, jedoch niemals ordinäre Prachtweiber, die aus einem abstrakten Konstrukt handfestes Phantasiefutter machten. Zwei junge, aber schon international erfahrene Sängerinnen mit Mut zum Experiment.
Die Männer waren an diesem Abend nicht nur kriegerisch die Verlierer: Der Bösewicht-Usurpator Berengario (Baurzhan Anderzhanov, Bass) hatte nur eine undankbare Nebenrolle, die für eine Profilierung seiner stimmlichen Qualitäten nicht viel hergab. Sein Sohn, der Möchtegern-Regent und verhinderte Adelaide-Bewerber Adelberto (Gheorghe Vlad, Tenor), hatte nicht seinen besten Tag. Er wirkte zuweilen unsicher und verkrampft.

Der Camerata Bach Chor Posen - auch nicht zum ersten  Mal in Wildbad - erwies sich einmal mehr als Ausbund an Spielfreude und musikalischem Schwung. So ein Chor tut jeder Oper gut: kein schiefer Ton, kein ungenauer Einsatz, keine Beliebigkeit. Und die Wandlungsfähigkeit, mit der die Sängerinnen und Sänger mal Soldaten der gegnerischen Heere, mal Personal und trauernder Hofstaat oder jubelndes Volk waren, nötigt Respekt ab. Schade nur, dass so viele Premierenbesucher anscheinend wegen der Hitze kurzfristig abgesagt hatten. Eine Premiere, die schätzungsweise nur zu 60 Proztent ausgebucht ist, habe ich in Wildbad noch nicht erlebt. Da rächt sich leider die provisorische Spielstätte Trinkhalle; sie fasst zwar deutlich mehr Sitzplätze als das alte Kurhaus, aber die Baracke heizt sich enorm auf und ist wegen ihrer Leichtbauweise kaum für eine Klimaanlage geeignet, weil im wahren Sinn des Wortes nicht ganz dicht. Wer trotzdem kam, wurde belohnt: Pravos, lang anhaltender Applaus und strahlende Gesichter.





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