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Freitag, 9. August 2013

Eine Wende im Islam: Kein Gottesrecht gegen Menschenrechte

SWR 2 Buchkritik (Sachbuch) Katajun Amirpur:
Den Islam neu denken – Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“.Verlag C.H. Beck München, 256 Seiten, 14,95 €

Viele islamischen Gesellschaften haben ein Problem mit Gleichberechtigung, Demokratie und Menschen-, vor allem Frauenrechten. Doch nicht der Islam hat den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst, sondern privilgierte Gruppen islamischer Geistlicher, die seit 1000 Jahren eine primitive Lesart des Korans vertreten. Ihr Deutungsmonopol ist verantwortlich für Frauenfeindlichkeit und ein rückständiges Gottesbild, das nur ihnen nützt. Katajun Amirpur, Professorin für islamische Studien an der Universität Hamburg, hat jetzt ein überfälliges Buch vorgelegt: „Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. Ihre Systemkritik kommt von innen.

Im Zentrum steht der Koran selbst. Dieser ist als der Referenztext der islamischen Kultur das einzige, worüber sich alle Muslime einig sind, was man beispielsweise über die Auslegungen nicht sagen kann. Deswegen sind die hier vorgestellten Denker der Auffassung, dass jede Reform ihren Ausgang am Koran nehmen muss. Ohne eine koranische Legitimation hat sie keine Aussicht auf Erfolg.“

Die Autorin zeigt, dass die Vielfalt der Koranauslegun-gen immer ein Wesensmerkmal der islamischen Theologiegeschichte war. Sie lenkt aber vor allem die Aufmerksamkeit auf islamische Reformer von heute. Zum Beispiel zeigen die Auseinandersetzungen mit Salafisten und Muslimbrüdern in Ägypten seit dem „arabischen Frühling“: Innerhalb der islamischen Welt tobt ein Kulturkampf, und wir haben die Chance, die Modernisierer zu unterstützen. Einer davon ist der iranische Wissenschaftler und Theologe Abdolkarim Soroush. Er lebt seit über zehn Jahren in London, weil er den Mullahs unangenehme Wahrheiten wie diese predigte:

"Freie Gesellschaften, ob religiös oder areligiös, sind göttlich [d.h. mit Gottes Willen im Einklang] und menschlich; in totalitären Gesellschaften aber bleibt weder die Menschlichkeit noch die Gottheit übrig".

Amirpur stellt brillante Analysen des Korans durch die wichtigsten Denker eines Reformislam vor, der viel zu wenig Beachtung findet. Die meisten sitzen zwar im Exil, erhalten aber gerade jetzt Aufwind, weil die Islamisten ganz offensichtlich übertreiben.
Exzesse der Idiotie und Brutalität machen diese Reformer immer wichtiger. Der Ägypter Nasr Hamid Zaid etwa griff die Unfehlbarkeit der Geistlichen an. Die nannten ihn einen Gottlosen, und ein Gericht verfügte seine Zwangsscheidung, weil in Ägypten nur Muslime mit einer muslimischen Frau verheiratet sein dürfen. So läuft das!
Amirpur stellt mit Amina Wadud aus den USA und Asma Barlas aus Pakistan auch die wichtigsten weiblichen Vordenkerinnen eines neuen Islam vor. Sie bekämpfen die Sklavenhaltermentalität islamischer Machos. Sie wehren sich gegen Genitalbeschneidung, Zwangsheirat, die lebenslange Bevormundung durch Männer, das Eingesperrtsein im eigenen Haus. Die Verweigerung von Bildung oder Gewalt gegen Frauen werden ja auch noch gern – und völlig unsinniger-weise – mit dem Koran begründet.
Amina Wadud aus den USA zum Beispiel ist die erste Frau, die ein öffentliches Freitagsgebet leitete, an dem Männer und Frauen teilnahmen. Die konvertierte Tochter eines schwarzen Methodistenpfarrers sagt:

Für den, der in den Islam und die Gender-Apartheid hineingeboren wird, mag es Situationen geben, in denen manche Denkmuster, obschon sie unterdrük-kerisch sind, erduldet werden. Ich hatte diesen Hintergrund nicht und akzeptiere nichts, das meine Würde verletzt. Dagegen hatte ich ja schon in einem rassistischen Amerika zu kämpfen gelernt.“

Für Wadud und ihre Kollegin Asma Barlas beleidigt das Patriarchat den Islam und die Moral, weil es ungerecht ist. Es setzt die eigene Auffassung von Gottes Offenbarung mit der Offenbarung selbst gleich und die eigene Person an die Stelle Gottes. Was wäre das für ein jämmerlicher Gott, der universale Gerechtigkeit fordert und Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen duldet? Gottesrechte gegen Menschenrechte auszuspielen, so die Autorin, ist gegen jede Religion und jede Vernunft: Es ist zutiefst dumm und anachronistisch. Auch davon erzählt dieses Buch sehr überzeugend.


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