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Sonntag, 21. Juli 2013

Triumph der Liebe und des Belcanto über Bosheit und schlechtes Libretto: "Ricciardo e Zoraide" bei Rossini in Wildbad

In der Mitte (von links): Alessandra Marinelli als Zoraide und Maxim Mironov als Ricciardo

Das war zwar "nur" eine konzertante Opernaufführung unter der Leitung des jungen spanischen Dirigenten José Miguel Pérez-Sierra. Aber erstens war die Musik wunderschön und zweitens kann da schon mal kein Regisseur was verhunzen. Drittens aber waren da vor allem zwei junge Sänger in den Hauptrollen zu hören, die sicher noch die ganz große Karriere machen werden. Die Sopranistin Alessandra Marianelli (Zoraide) und der Tenor Maxim Mironov (Ricciardo) in den Hauptrollen waren einfach umwerfend und sangen, als wären sie an der Met in New York oder an der Mailänder Svala und nicht in der überhitzten alten Trinkhalle eines Kurortes im Schwarzwald. Klasse!
Vor allem die Duette (auch der musikalisch-dramatische Zickenzoff zwischen der Königin Zomira Silvia Beltrami und der vom König vergeblich angehimmelten, entführten Zoraide), Terzette und Quartette waren Höhepunkte von Rossinis Schöngesang. Das aufwändige Bühnenbild des "Tell" musste noch für eine Vorstellung stehen bleiben, das hat sicher zu der Entscheidung beigetragen, diese Oper konzertant aufzuführen. Musikalisch geschadet hat es ihr nicht. Der junge Dirigent machte seine Sache ausgezeichnet, die Virtuosi Brunensis und der Chor Camerata Bach ebenfalls.
Aber auch der Bösewicht sang eine furiose Partie: Der Amerikaner Randal Bills (im Bild ganz links) hat eine Tenorstimme von stahlharter Strahlkraft - ideal für den Tyrannen, den er hier zu geben hatte. Seit der letzten Spielzeit gehört er fest zum Ensemble der Oper Leipzig, aber Gastrollen führten ihn schon um die ganze Welt. Zusammen mit Mironov und Artavazd Sarsyan, der Ricciardos Freund Ernesto gab, standen hier drei Tenöre in einer Oper auf der Bühne - eine Seltenheit, aus der ein Komponist wie Rossini aber durchaus Funken schlug. Die drei ergänzten sich prächtig.
Das Libretto ist schnell erzählt und eigentlich belanglos - bloß ein wildes Durcheinander historisch falscher Orientalismen plus Gefälligkeitsarien für eine überflüssige Figur (Zoraides Vater): Finsterer Tyrann, Herrscher von Nubien, raubt Braut eines Kreuzritters, die ihn standhaft abweist und mittels einer unglaubwürdigen Mischung aus List, Gewalt und ziemlich dämlichen Intrigen von ihrem Verlobten und dessen Freunden befreit wird. Der Text wimmelt nur so von Platitüden und Klischees, aber wa soll´s. Unmotiviert blieben zudem einige wenige Chor-und Orchesterpassagen aus dem Off: Da wurden die Musiker zunächst aufgenommen und echoten dann recht sinnlos ein bisschen herum. Solche kleinen Einschränkungen nimmt man als Musikfreund aber gerne hin, wenn im übrigen so engagiert und phantastisch gespielt und gesungen wird wie hier.

Freitag, 19. Juli 2013

Eine Erkundung: Wie gesund ist Bad Gastein?

Die Hotelstadt mit Wasserfall

Ein bisschen Zauberberg für Reiche

Kein Parkplatz nirgends und viel Verfall

Am Heilstollen I: So könnte jedes Hallenbad von außen aussehen

Prospekte gibt´s gratis - auch russisch

Weiterunten ist das Gasteiner Tal dörflich-bescheiden

Bad Gastein von ferne: ein schöner Schein und eine sterbende Idylle

Thermalwasser auch in Hotelpools für Normalos: Bad Hofgastein
Bad Gastein hat einen Weltruf als Kurort: eine urbane Hotelbastion, die z.T. schon verfällt, weil in einer Höhe über 1000 Meter die Straßen und Hotelbauten an Steilhängen extrem pflegebedürftig und teuer sind. Was Besucher anzieht, ist ein Thermalwasser, das Radongas enthält und daher dreifach wirkt: gut für den Bewegungsapparat (Wirbelsäule, Rheuma und Schmerztherapie), gut für die Atemwege (Asthma, COPD), gut bei hartnäckigen Hautkrankheiten wie Schuppenflechte, Allergien etc. (wegen Förderung der Immun-Abwehrkräfte). Das Radonwasser gibt´s nur als Wannenbad, denn in Hotel-Pools toben auch Kinder unkontrolliert herum, die sich an keine Dosierung halten. Radon ist aber nichts für Spontis, sondern darf nur unter medizinischer Aufsicht verwendet werden. Das Thermalwasser ohne das leicht radioaktive, medizinisch aktive Radon (kann, da es ein Gas ist, einfach herausgequirlt werden) gibt es auch einfach in vielen Hotelpools für Normalverdiener - deutlich preiswerter weiter unten im Tal, z.B. in dem Ortsteil Bad Hofgastein. Die absolute Krönung der Gasteiner Kur ist aber der Heilstollen im Berg über Bad Gastein: nichts für Klaustrophobiker und nur auf ärztliche Verschreibung. Dafür zahlt´s aber auch die Krankenkasse.
In diesem Stollen wurde vor 100 Jahren mal nach Gold gesucht. Man fand keins, aber die hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme (rund 40 Grad) viel auf. Das war nicht die Nähe zum Erdinneren, denn die heißen Quellen liegen eigentlich 1000 Meter tefer. Durch Spalten und Risse im Gestein stiegt (und steigt) der Dampf des radionhaltigen Thermalwassers hoch bis in den Stollen. Dort reichert sich das Edelgas in einer feuchten, warmen Atmoshäre so optimal an, wie es kein Apotheker besser hinbekäme - sagen jedenfalls einige wissenschaftliche Studien. Hier also legen sich auch Lungenkranke auf Liegen und atmen schwitzend vor sich hin, was das Zeug hält. So schmilzt das Rheuma einen sanften Tod, die Haut erholt sich und das Wohlbefinden bessert sich. Ich hab´s einmal gratis im Schuppermodus ausprobiert: Nicht schlecht. Da drinnen darf man leider nicht fotografieren. Aber vielleicht ist das auch für eine Digitalkamera besser so. Ich hab´s auch noch nicht in der Sauna probiert...


Sonntag, 14. Juli 2013

Rossinis "Guillaume Tell": Große Freiheitsoper in Bad Wildbad


"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr"
Es passte aber auch wirklich alles bei der Premiere der Oper "Guillaume Tell" von Gioacchino Rossini am 13. Juli in Wildbad: Wetter, Musik, Bühnenbild, Regie, auch die politischen Kämpfe um demokratische Freiheiten in Ägypten, in der Türkei, aber auch in den Ländern des "Westens", die einen aktuellen Hintergrund bildeten.
Alles zusammen ergab am ersten großen Opernabend der Saison im Schwarzwald die Premiere einer grandiosen Freiheitsoper. Zum 25. Geburtstag des Festivals "Rossini in Wildbad" hätte es nicht besser laufen können: Das Ganze wurde zu einem musikalisch-theatralischen Rütlischwur, der das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. Regie führte diesmal der Intendant Jochen Schönleber persönlich, die musikalische Leitung lag in den bewährten Händen des erfahrenen Rossini-Dirigenten Antonino Fogliani, und auch sonst wurde nichts dem Zufall überlassen.
Der Camerata Bach Chor lief zu großartigen Leistungen auf, das Orchester Virtuosi Brunensis (die Musiker aus Brünn sind ebenfalls Stammgäste in Wildbad) war in glänzender Spiellaune. Robert Schrag hatte eine stilisierte Gebirgslandschaft als Bühnenbild geschaffen, das mit 20 Meter Tiefe für die Massenszenen mit Schweizer Milizionären ebenso intelligente Lösungen anbot wie für Augenblicke intimer Zweisamkeit im Hause Tell oder bei den Liebesduetten zwischen Arnold Mecthal und der designierten Regentin Mathilde von Habsburg. Die Kostüme von Claudia Möbius, die deutsch-französischen Übertitel von Reto Müller, die Choreographie von Matteo Graziano für die Balletteinlagen passten ebenfalls bis aufs i-Tüpfelchen.
Für eine Oper von über vier Stunden ist es eine enorme (und seltene) Leistung, Rossinis Auftragsarbeit Pariser Opéra überhaupt zu stemmen. Die wollte im Entstehungsjahr 1828 nicht einfach eine Oper, sondern bereits ein Gesamtkunstwerk, in dem Musik mit anspruchsvoller Literatur, Tanz und bildender Kunst zu verknüpfen sei. Diverse Komitees prüften akribisch die Balletteinlagen, die historisierenden Kostüme, bei der Inszenierung vor allem die Bewegung der gewaltigen Chöre. Es gab Vorschriften, die bis in die Besetzung hinein reichten. Daher die Länge des Werkes - und daher auch die Länge der Produktionszeit. Rossini, der sonst schon mal eine komplette Oper in ein- bis zwei Monaten auf die Bühne stellte, brauchte hier anderthalb Jahre bis zur Uraufführung des "Tell" am 3. August 1829 an der Académie Royale de Musique.
Das Ergebnis ist ein unerhörter Reichtum an musikalischen Einfällen, Chorsätzen, Arien, Duetten, Terzetten, Quartetten und Ensemblenummern. Rossinis legendäre melodiöse Vielseitigkeit und Vielstimmugkeit erreicht hier einen Höhepunkt des Schönklangs, der zugleich Schlusspunkt war. Mit seinem angekündigten Rückzug vom Opernschaffen und mit angeblichen Krankheiten hatte er seinen Marktwert so in die Höhe getrieben, dass nur noch der Ruhestand blieb, den der Komponist insgeheim längst wollte.
Der "Tell" ist in mehrfacher Hinsicht eine ungewöhnliche Oper, nicht nur durch seine Länge und musikalische Kraft. Es ist die französische Oper eines Italieners mit einem Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis zum Gründungsmythos der Schweiz - nach dem Drama des Deutschen Friedrich Schiller: ein wahrhaft europäisches Werk also. Es war aber auch immer ein "work in progress", denn schon nach der Pariser Uraufführung floss die Aufnahme durch Presse und Publikum in immer neue Varianten ein, bei denen der Zeitgeist keine unerhebliche Rolle spielte. Es gab zahlreiche Bearbeitungen und häufige Zensureingriffe wegen der revolutionären Dynamik mit Tyrannenmord und Freiheitsrufen. Es gab aber auch Kürzungen (vor allem bei den extrem langen Tanzeinlagen) von vier auf drei Akte.
Schon während der Ouvertüre verknüpfte die Regiedas Geschehen klug mit zeitgenössischen Assoziationen zur "Arabllion" und der "Blockupy"-Bewegung. Die Misshandlung von Frauen und Zivilisten, die Demütigung und Unterdrückung der Völker durch Regierungen so genannten Global Player (damals Habsburg), die sich außerhalb der Gesetze stellen und grausame Sippenhaft üben, fand ihre nonverbale Entsprechung in getanzten Sequenzen. Der Sohn Tells (Jemmy, eine fulminante, sich vom stummen Statisten zum Heldensopran steigende Hosenrolle mit Tara Stafford), der vom Opfer zum Helden des Widerstandes gegen Gessler wird, die Chöre der Frauen und Männer, die den Gessler-Hut grüßen müssen und auf Gewalt mit Gewalt reagieren: das alles steigert sich zum Volksaufstand gegen Tyrannei, dem sich sogar die designierte Regentin aus Liebe zu Arnold anschließt, dem Sohn des ermordeten alten Macthal. Die Perversion der alpinen "Kuhreigen"-Volkstänze zum demütigenden Erschöpfungs-Tanzritual zu Gesslers Ehren gerät ein wenig arg lang, aber so steht´s halt in der Partitur. Und dass im französischen Libretto Habsburg als der Erbfeind aus Deutscland erscheint: geschenkt.Zu seinem 25. Geburtstag hat Wildbad sich und dem Publikum eine vollständige Aufführung nach der kritischen Ausgabe der Partitur der "Fondazione Rossini" in Pesaro gegönnt, die als neue Referenzgröße dienen dürfte. Dafür wird schon die Aufzeichnung des SWR sorgen, die in ein- zwei Jahren als CD bei NAXOS oder SWR Classics erscheinen wird.
Andrew Foster-Williams als Tell
Rossinis Tell ist radikaler als der von Schiller, aber einen blindwütigen Fanatiker, den Intendant Schönleber hier sieht, zeigte die Aufführung eigentlich nicht. Nur einen, der sich dem Landvogt Gessler mehrfach ganz offen widersetzt und dafür auch in Ketten gelegt wird und beim Apfelschuss aus Liebe zu seinem Kind Qualen leidet, konnte man erleben: durchaus psychologisch glaubwürdig bis hin zum finalen Tyrannenmord. Motivation: zusätzlich hat Rossinis Gessler nach dem Apfelschuss auch Tells Sohn in Sippenhaft genommen und bedroht den geflüchteten Schützen rachsüchtig und wortbrüchig mit dem Tod. Andrew Foster-Williams gab ein überzeugendes Debüt als britischer Wilhelm Tell, stimmgewaltig und trittsicher.
Auch die übrigen Solisten waren sorgfältig ausgesucht. Der amerikanische Tenor Michael Spyres sang einen starken, klaren Arnold Mecthal, der trotz seiner Liebe zu Mathilde als Heerführer Rache für seinen ermordeten Vater nimmt. Er hatte seine besten Auftritte in den Liebesduetten mit Mathilde (die Britin Judith Howard, die zuletzt in Hesinki in Verdis "Don Carlo" und in Minneapolis die Titelrolle in Puccinis "Madame Butterfly" sang): ein musikalisch wie psychologisch stimmiges Paar, das die Abgründe eines zwiespältigen Weges durch beschädigte Loaylitäten zum privaten Glück souverän bewäligte.
Zu den Entdeckungen dieser Aufführung dürften zwei junge Sänger gehören, die noch am Anfang ihrer Laufbahn stehen und sich hier eindeutig für Größeres empfohlen haben: der argentinische Bass Nahuel Di Pierro, der mit großer stimmlicher Präsenz den Eidgenossen Walter Fürst sang und in famoser Maske auch den alten Vater Mecthal), sowie die bereits erwähnte Tara Stafford aus Baltimore im burschikosen Punk-Look. Ihr glockenreiner, durchsetzungsfähiger Koloratursopran begeisterte nicht nur die Zuschauer, sondern auch ihre Mitsänger. Die Bösewichte Gessler (Raffaele Facciola, Bass) und Rodolphe (Giulio Pelligra, Tenor) waren stimmlich eher farblos; aber das könnte sogar Absicht einer Besetzung gewesen sein, die strahlende Helden in den Vordergrund rückte.
Das Arrangement des Tell-Abends war in mehrfacher Hinsicht ein Experiment. Um den langen Operngenuss zu erleichtern, hatte im Hotel "Rossini" (vormals "Bären") in einer großen Pause ein Abendessen angerichtet, von dem man rechtzeitig zum 3. Akt wieder zurück bei der Aufführung in der Trinkhalle sein konnte. Ein Wermutstropfen muss trotzdem in den guten Wein dieses Abends: viereinhalb Stunden verlangen dem Sitzfleisch schon einiges ab, vor allem wenn ältere Leute mit Rückenproblemen zu kämpfen haben. Dass aber anscheinend zwei Sitzreihen mehr als bisher in die Trinkhalle gezwängt wurden, sorgte für qualvolle Enge selbst bei mittelgroßen Opernfreunden, die im Flugzeug noch Economy fliegen können, ohne ständig mit den Knien an die Lehne des Vordersitzes zu stoßen. Für ein paar verkaufte Karten mehr mussten alle leiden. Ich will nicht hoffen, dass die Standing Ovations am Ende auch mit dem Drang zu tun hatten, sich aus dieser schmerzhaften Eingeklemmtheit zu befreien.

Beim Schlussapplaus vereinigt: Gut und Böse bei Rossinis "Tell" in Bad Wildbad


Montag, 8. Juli 2013

Interreligiöses Chorlabor VI bei der Bachakademie Stuttgart

Das war harte Arbeit, aber sie hat sich gelohnt!

Assaf Levitin von der Geiger-Kantorenschile Potsdam und Andreas Eckert von der PH Ludwigsburg haben die Sänger des interreligiösen Chorlabors mal wieder mit Neuheiten eingedeckt. Leider habe ich den Vormittag aus familiären Gründen verpasst. Dabei stand da laut Projektleiter Bernhard König Improvisation auf dem Programm, "eine Zumutung für die Sänger", diesmal aus der jüdischen Synagogalmusik. Angekündigt hatte der Opernsänger und Kantor Levitin "Gesänge, die teilweise so alt sind, dass sie Moses vom Berg Sinai mitgebracht haben könnte". Aber eben auch "Klangwolken", die eher zur Neuen Musik gehören und für die Chorliteratur bisher eher untypisch sind. Was ich dann nach der Mittagspause zu hören bekam, war noch aufregend genug.


Andreas Eckert in Aktion

Erst sang Levitin Antonin Dvoráks Psalmenvertonungen, und dann übte der Ludwigsburger Musikpädagoge Andreas Eckert mit dem Chorlabor das Credo aus der D-Dur-Messe Dvoráks ein - christliche Kirchenmusik, die ebenfalls eher unbekannt ist. Überhaupt darf man wohl sagen, dass dieses Chorlabor eine umfassende Reise durch die religiöse Chormusik anbietet. Selbst wer nicht mitsingt (Fotografieren und Tonaufnahmen schließen das aktive Singen leider aus), dem bieten diese Sonntage mehr als nur Theorie und Chorproben. Charakteristisch ist eine ganz eigentümliche Mischung aus Praxis, Theorie, Spracharbeit und eingeübter Empathie, die jedes Mal auch neue Gefühlswelten erschließt.
Dvoraks D-Dur Messe, so Eckert, ist eigentlich für einen kleinen Chor geschrieben. In so großer Besetzung entfaltet sie ein Klangvolumen von großer Tiefe und Breite. Daran änderte auch nichts, dass an diesem Tag die Männer (also Tenöre und Bässe) extrem in der Minderheit waren. Lag´s an der Sommerwärme, die endlich auch in Stuttgart angekommen war und teilweise schon an Hitze grenzte? Lag´s an konkurrierenden Verpflichtungen der muslimischen Sänger kurz vor dem Beginn des Fastenmonats Ramadan, an der grassierenden Sommergrippe?
Tapfer warfen sich jedenfalls auch Assaf Levitin, Dozent Eckert und Projektleiter König in die Bresche. Ihre geschulten Stimmen konnten die zahlenmäßige Unterlegenheit aber nur teilweise wettmachen. "Wäre ja auch noch schöner, wenn man das nicht hören würde", schmunzelte eine der Damen.
Nach einer Kaffeepause war dann wieder Schwerarbeit für den Chor angesagt. Assaf Levitin hatte ein großes Kompliment für die Sänger mitgebracht. Nach dem ersten gemeinsamen Probe habe er sich so inspiriert gefühlt, dass er ein vierstimmiges Arrangement für "Shirat Ha-Awassim" (deutsch: Der Gesang der Gräser) von Naomi Shemer geschrieben habe. Das philosophische Lied nach einem Text des berühmten Rabbi Nachman aus Breslau erzählt von den Melodien der Schöpfung, die das Herz mit Sehnsucht nach dem Schöpfer erfüllen und zu einem Gesang des Herzens werden. "An dieser Partitur haben Sie alle eine Stammaktie", erklärte Levitin unter dem Beifall der Sänger. Auch wenn das Ergebnis an diesem Tag noch keine Konzertreife war, musste Levitin vor allem den Sängerinnen viel Lob spenden; "Die Bässe haben es immer einfacher". Mit einem eingebauten Kanon und extremen Tonsprüngen stellt das Werk besonders hohe Anforderungen. Trotzdem oder gerade deshalb: Es hat allen Beteiligten wieder großen Spaß gemacht. Überzeugen Sie sich selbst.
Hier gibt es schon einmal eine Hörprobe: http://widmar-puhl.podspot.de/
 

Avantgarde in 900 Meter Höhe


Die "Kaaba von Glurns"

Puni: Die einzige Whiskybrennerei Italiens

Die einzige Whiskydestille Italiens heißt Puni III und hat ihren Sitz in Glurns am Reschenpass. Der Vinschgauer Sommelier, Bauunternehmer und Künstler Albrecht Ebensperger hat das Unternehmen als nachhaltigen Musterbetrieb in Südtirol gegründet. Schon der ziegelfarbene Bau ist sehr ungewöhnlich: Der Würfel aus gegossenen Betonsteinen ist von der Naturlüftung der Vinschgauer Heustadel inspiriert. Hinter dieser Fassaade sitzt ein moderner Glaskasten, der Büros, die eigentliche Brennerei, Lager und Räume für Verkostung und Verkauf beherbergt. Was da in einem unscheinbaren Gewerbegebiet am Rand von Tirols kleinster Stadtgemeinde entstanden ist, wirkt ebenso futuristisch wie bodenständig und ist auf jeden Fall extrem nachhaltig konzipiert. In enger Zusammenarbeit mit den besten Brennereien Schottlands entstand hier eine Anlage zur Produktion des ersten Single Malt Whiskey auf italienischem Boden. D.h. bisher gibt es nur einen "Babybrand".
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Drei Jahre muss der Brand nämlich lagern, bevor er als Whisky verkauft werden darf. Ein guter Whisky lagert 12 Jahre und verliert durch Verdunstung im Holzfass bis dahin 50 Prozent seiner Masse. Das treibt den Preis in die Höhe, bedeutet aber auch, dass damit kein schnelles Geld zu machen ist. Die Markenbezeichnung PUNI III, kurz und knackig, ist dennoch ein wenig kryptisch. Nur so viel verrät der Inhaber des Familienbetriebs: Drei Jahre Grundreifezeit, drei Söhne, drei Getreidesorten (Weizen, Gerste, Roggen) sind damit gemeint, die dem Edelgetränk als Basis dienen - nicht etwa "Werk III" oder so.
Brennkessel
Die beiden Brennkessel sind Handarbeit aus der letzten Kupferschmiede in Stuttgart, und ähnlich edel geht es in der ganzen Produktionsstätte zu - bis hin zum Endprodukt. Das Getreide kommt aus dem Vinschgau, ebenso wie Sahne für den likörartigen Kaffee-Whisky, der auf dem Programm steht, und natürlich das ausgezeichnete Wasser aus Tiroler Bergquellen oder die Marmelade für einen speziellen Brotaufstrich des Hauses mit Single Malt. Aber auch die Marsala-Fässer zum Lagern stammen aus Italien: eine komplett heimische Produktion wird da aufgebaut.
Sogar im Brennkeller prägt das durchbrochene Ziegelmuster der Fassade die Atmosphäre - dank der Glasdecke. Blitzsauber ist hier alles, einladend in jeder Hinsicht: ein wunderschöner Arbeitsplatz, durch den Ebensperger und Söhne mit berechtigtem Stolz schon jetzt zahlreiche Besuchergruppen führen. Bis die drei Jahre der ersten Lagerstufe um sind, können Sie ohnehin nur brennen und Werbung machen.
Wie durchdacht schon die Architektur ist, zeigen zwei Beispiele: Erstens in der Eingangshalle der segmentierte Blick in die Landschaft. Hier im Foto erscheint fast genau in der Mitte ein "Fenster" mit dem Ausblick auf das Kloster Marienberg. Das ist kein Zufall, sondern Sinn für den Zusammenhang von Alt und Neu,für die Verbindung unterschiedlicher Kulturen und Traditionen in einem Umfeld voller Ästhetik und Lebensgenuss. Hier arbeitet man gern.

Blick aus der Eingangshalle der PUNI-Brennerei: in der Mitte das Kloster Marienberg

Zweitens die Kellergewölbe. Auch sie sind in dem einzigartigen Ziegelmuster der Fassade gehalten. Zentrales Natur-Oberlicht und diskret an den Seiten hinter den Ziegelkarrees verborgene Leuchstoffröhren erzeugen ein warmes, unaufdringliches Licht.
Moderne und traditionelle Elemente verbinden sich in der Architektur der "Kaaba von Glurns" zu immer neuen und stets starken Eindrücken. Ermüdungsfrei ruht das Auge auf liebevoll gestalteten und doch schlichten Details.
Ebenso unaufdringlich und effizient wie die Beleuchtung ist die Belüftung: Der ganze Bau ist voll klimatisiert, sonst müsste es im Sommer stickig heiß sein und im Winter wären die Heizkosten astronomisch. Es müsste nach Maische und Alkohol riechen, nach Gärung und Arbeit - oder wenigstens nach Whisky. Doch nichts davon. Mag sein, der Whiskygeruch kommt noch mit der Reife des Produkts, aber ich vermute, das wird nicht geschehen. Das hier ist kein Labor und keine Kneipe: PUNI III wirkt schon jetzt wie ein Multimedia-Museum mit dem Aroma als vierter Dimension.

Hausherr Albrecht Ebersperger (rechts) bei einer Verkostung

Wirtschaft und Schönheitssinn, Geschichte und Gegenwart, Heimatliebe und Welterfahrung verbinden sich hier zu einer zukunftsweisenden neuen Einheit. Auch wer kein Whiskytrinker ist, sollte dieses Haus besuchen, wenn er in den Vinschgau kommt. Es könnte sein, ja, ich halte es für wahrscheinlich, dass er es inspiriert wieder verlässt.

Eigene Eindrücke und aktuelle Informationen erhalten Sie unter www.PUNI.com

Für die Anreise in die Handwerkszone von Glurns:
PUNI Destillerie GMbH
Am Mühlbach 2
39020 Glurns im Vinschgau (Glorenza, Val Venosta)




Freitag, 5. Juli 2013

Preisregen in Glurns, der zweiten Heimat des PEN-Clubs Liechtenstein

Johanna Tinzl, Stefan Flunger und Kulturbürgermeister Alois Frank
Am 29. Juni. dem Geburtstag des bekannten Karikaturisten und weniger bekannten Autors Paul Flora, ging in seiner Heimatstadt Glurns ein wahrer Preisregen nieder auf Künstler und sozial engagierte junge Leute. Der PEN Club Liechtenstein, dessen Präsident der Tiroler lange Zeit war und den er regelmäßig einlud, die Frühjahrssitzung in Glurns abzuhalten, hat seine Bindung an die kleinste Stadt des Alpenraums erneuert. Das geschah durch den Beschluss, diese Frühjahrssitzungen weiterhin in Glurns abzuhalten und das Kulturleben von Glurns nachhaltig zu bereichern. Sichtbar wird diese enge Beziehung z.B. durch die Neu-Schaffung eines Paul-Flora-Preises, der gemeinsam von Nord- und Südtirol gestiftet wurde. Flora selbst hatte noch diesen Preis für Tiroler Künstler gestiftet, die in seinem Sinn politisch wach und sozial engagiert diesseits und jenseits des Brenners wirken. Im Rathaus von Glurns - dem Geburtshaus Paul Floras, erhielten den Paul-Flora-Preis 2013 die Videokünstler Johanna Tinzl und Stefan Flunger.
Kulturbürgermeister Alois Frank (im Bild rechts) hatte die Kulturlandesrätinnen Dr. Sabina Kaslatter Mur (Bozen) und Dr. Beate Palfrader (Innsbruck) dafür gewinnen können, den mit 10 000 € dotierten Preis in der Stadt Paul Floras zu verleihen. Das kulturell interessierte Pulikum kam nicht nur aus Glurns, sondern z.T. von weit her, um dem Festakt beizuwohnen. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von dem Gitarristen Hubert Dorigatti und dem Kontrabassisten Klaus Telfser. Die Laudatio hielt Paul Floras Tochter Katharina Flora Seywald, die auch in der Jury mitgewirkt hatte. Die Gastgeberstadt Glurns stellte nicht nur die schön restaurierten Räumlichkeiten zur Verfügung, sondern lud auch zu einem guten Vinschgauer Imbiss ein und richtete im Erdgeschoss des Rathauses eine Ausstellung mit Fotos aus den Videos der Preisträger ein.

Antje Landshoff-Ellermann vom PEN-Club Liechtenstein mit NUDOS-Netzwerkern
Der Nachmittag gehörte der Jugend. Zum letzten Mal wurde der Peter-Surava-Preis verliehen, den der PEN-Club Liechtenstein 1998 zur Erinnerung an das Gründungsmitglied des Clubs eingerichtet hatte. Der Schweizer Peter Hirsch alias Ernst Steiger hat sich zeitlebens unbeugsam gegen Rassismus, soziales Unrecht und die politische Diskriminierung von Außenseitern und Minderheiten eingesetzt - auch als Publizist in der WOCHE gegen den Naziterror in seiner Heimat. Dafür machte ihm nach Kriegsende in der Schweiz das politische Establishment  das Leben extrem schwer. Bisherige Preisträger sind das Writers in Prison Committee in London, Rupert Neudeck vom Komitee Cap Anamur, die unerschrockene Publiziszin Siba Shakip und der Feldkircher Arzt Martin Dünser. Dann gab es wegen Geldmangel eine Pause. 2012 beschloss der PEN-Club, den Preis zum 100. Geburtstag von Peter Surava, der 1995 gestorben war, noch ein letztes Mal zu verleihen.
Nutznießer der mit 15 000 CHF dotierten Auszeichnung ist das soziale Netzwerk NUDOS aus Liechtenstein, dessen junge Aktivisten in einer groß angelegten Spendenaktion das Ausbildungs- und Koordinationszentrum "La Casita" (spanisch: das Häuschen) im argentinischen Mar del Plata bauen und ein Kinderheim in Bolivien einrichten konnten. Stellvertretend für ihre zahlreichen Mitstreiter nahmen Luis Hilti, Martina Walser und Sara Bagladi den Preis aus den Händen der Liechtensteiner PEN-Präsidenten Antja Landshoff-Ellermann entgegen. Bei NUDOS (spanisch: Knoten) läuft fast alles ehrenamtlich und fast ausschließlich übers Internet: Einmal im Monat tagt der Vorstand, hinzu kommen aber zahlreiche Skype-Konferenzen sowie viele Treffen und ein reger Austausch mit dem Personal vor Ort und anderen Organisationen, mit denen der Verein zusammenarbeitet.
Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter ist ehrenamtlich tätig. Fast alle Vorstandsmitglieder haben als Praktikanten in lateinamerikanischen Kinderheimen gearbeitet; Geschäftsführerin Laura Hilti, die bei NUDOS eine 20-Prozent-Stelle hat, tat dies vor der Vereinsgründung anderthalb Jahre lang. Persönliche Kontakte sind eine wichtige Grundlage der Arbeit, aber die Routine erleichtert das Internet: die Spesenrechung für das Jahr 2012 z.B. weist nur 24 EURO und einige Cent auf. Für Menschen, die so arbeiten, ist das Preisgeld nach den Worten von Vereinspräsident Luis Hilti eine "unschätzbare organisatorische Reserve" bei Notfällen, für Schulungen, Verwaltungsmittel oder die Reparatur eines PC.
Als Schüler haben sie angefangen, als veritable NGO standen die Macher von NUDOS nun auf der Bühne. Da ist das Erbe von Peter Surava wirklich in die Hände junger Leute übergegangen. Andrea Kühlbacher-Schlapp würdigte in ihrer Laudatio auf NUDOS nicht nur das kluge soziale Engagement junger Leute, sondern gab auch einen Abriss der Entstehungsgeschichte des Vereins. Seit 2004 geht es ihm darum, Kulturen miteinander zu verbinden und Netzwerke zu knüpfen, die den Begriff der Globalisierung positiv besetzen.
Die Idee dahinter ist so simpel wie durchschlagend: Praktikanten können ihr soziales Jahr oder ein soziales Praktikum in einem der Projekte machen, bezahlen die Reise selbst und erhalten vor Ort kostenlos Unterkunft und Verpflegung. Dabei wird nicht bloß einfach Entwicklungshilfe geleistet. Erfahrungen dieser Art sind von unbschätzbarem Wert und durch nichts zu ersetzen. Sie lassen aber auch das Netzwerk NUDOS ständig wachsen. In der "Casita" werden vor allem Kurse organisiert. Mit Hilfe eines regionalen Radiosenders veranstalten die jungen Leute Konzerte und sammeln mit dem Erlös Lebensmittel, die in Armenvierteln verteilt oder als fertiges "Essen auf Rädern" abgeholt werden.

Dadurch soll der interkulturelle Austausch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefördert werden. Der Transfer von Wissen, Fähigkeiten, Bildung und Ausbildung steht dabei ganz obenan, immer mit dem Ziel, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern, die traditionell als benachteiligt gelten. Im Zentrum "La Casita" in Mar del Plata werden Jugendliche zu Kursleitern oder Sozialarbeitern ausgebildet. Dazu kommen in Kooperation mit örtlichen Einrichtungen Projekte wie die Prävention ungewollter Schwangerschaften, die Betreuung junger Eltern, der Aufbau eines Kinderheimes in Bolivien oder die Arbeit mit Jugendlichen in Slums, mit Behinderten und vieles mehr. Netzwerke wie NUDOS machen die Welt auch mit wenig Geld zu einem besseren Ort.
Gewinnen Sie selbst einen Eindruck von den Zielen und Aktivitäten des Vereins unter www.nudos.li.