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Sonntag, 17. Juni 2012

Solo für Faust: Bach pur

Foto: Felix Broede
Isabelle Faust hat am 16.06. in Ludwigsburg die "Sei Soli à Violino" von Johann Sebastian Bach gespielt. Es war ein langer. intensiver und beglückender Abend mit einer Geigenvirtuosin, die den Begriff Kammermusik ganz neu buchstabiert. Im Ordenssaal des Residenzschlosses mit seiner großartigen Akustik rang sie ihrer "Dornröschen"-Stradivari aus dem Jahr 1704 Klänge ab, die ebenso gut von zwei oder drei Instrumenten hätten kommen können.
Bach schrieb seine Solowerke für Violine in seiner Zeit als Kapellmeister und Direktor der "Cammer-Musiquen" am Hof des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen (1717 - 1723), in der auch seine "Brandenburgischen Konzerte" und das "wohltemperierte Klavier" entstanden sind. Seine solistischen Violinsonaten 1-3 und die Partiten 1-3 setzen bis heute Maßstäbe.
Isabelle Faust spielte sie an einem einzigen Abend - eine Herausfordserung und ein Kraftakt für Künstlerin und Publikum. Aber die Leute saßen wie gebannt und scheinbar ohne Ermüdungserscheinungen im Saal und lauschten einer unglaublichen Steigerung.
Von der Sonate g-Moll bis zur großen Partita Nr. 2 d-Moll mit der berühmten Ciaccona wurde das Publikum Zeuge eines Zwiegesprächs zwischen Künstlerin und Instrument, das die leisen Töne, das dramatische Adagio, das Tempospiel in den Finalsätzen, die ambitionierte technische Finesse der Fugen und poetische Phasen im Andante oder Largo ausdrucksvoll und in unüberbiertbarer Perfektion interpretierte. Unnachahmlich die Heiterkeit und Spielfreude, mit der sie in der Partita Nr. 3 e-Dur auch Elemente alter Volkstänze hervorhob, an denen schon Bach beim Komponieren seine Freude gehabt haben muss.

Foto: Widmar Puhl

Über die Ciaccona am Ende der Partita Nr. 2, die sie mit sicherem Gespür für Dramaturgie als Finale spielte, ist kaum mehr zu sagen als das: So mag überirdische Musik klingen. Dass so viel Gefühl, eine solche  Präsenz und Konzentration nach fast drei Stunden noch möglich sind, riss das Publikum förmlich von den Stühlen: als Isabelle Faust nach dem letzten Ton den Bogen wie in Zeitlupe sinken ließ, verharrte es in andächtigem Schweigen. Nach vielleicht 20 Sekunden tobte dann ein Sturm von Applaus und Bravorufen los, den sie mit einem feinen Lächeln entgegen nahm - wie überrascht, dass alles schon zu Ende war.
Das Publikum der Stuttgarter Bachakademie war im Saal ebenso vertreten wie Kinder und ganze Familien, Musiker und ganz gewöhnliche Musikfreunde. Die "Kleiderordnung" reichte von teuerer Abendgarderobe, die angesichts von fast 30 Grad Außentemperatur snobistisch wirkte, über alle Skalen bis hin zu Jeans, Polohemd und Badeschlappen, wo ich meinen würde, der Respekt vor dem Werk und der Künstlerin würde etwas mehr Aufwand erwarten lassen. Wer sich schön kleidet, signalisiert Aufmerksamkeit für den besonderen Anlass. Und dies war einer: Momente reiner Musik, die sich einen besonderen Platz in der Erinnerung verdient haben.

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