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Freitag, 8. Juni 2012

Meine Wien-Reise IV: Caféhaus-Marathon

Kaffee mus immer und überall sein in Wien: Am Zentralfriedhof wird nicht nur getrauert. Auch viele Touristen kommen her und suchen Gräber berühmter und beliebter Menschen auf, um eine Andacht zu halten, die auch recht weltlich sein kann. Aber egal, ob Tränen fließen oder kulturelle Ehre erwiesen wird, der Feiedhof ist riesig. Es fahren zwar Busse, die jenen nützen, die wissen, wo sie hin möchten. Neugierige Besucher flanieren oder wandern eher durch die Kilometer langen Gräberreihen. Das macht hungrig. Und dagegen muss etwas geschehen. Gegen Trauer wie Müdigkeit gibt es alles Erdenkliche im Kaffeehaus am Zentralfriedhof, das durch eine Jugendstilarchitektur aus Holz auffällt.


Mein Lieblings-Kaffeehaus ist das Café Central im Palais Ferstel. Das hat nicht nur einen Hauspoeten (Peter Altenburg),sondern auch eine umwerfende Jugendstil-Ausstattung und die schönste Stmosphäre. Wie überall in Wien gibt es kostenlos ein Glas Wasser zum "Kleinen Braunen" und alle wichtigen Tageszeitungen. Hier ist es so schön, dass sich viele Touristen gegenseitig fotografieren wie auf der Zugspitze. Aber was tun, wenn man gleichzeitig Tourist undf Autor ist? - Genießen. Ins Central kamen wir immer wieder zurück, nicht zuletzt wegen der erträglichen Preise bei enormer Qualität und Vielfalt der Speisen nd Getränke (nicht nur der süßen Mehlspeisen). Waren wir um die Mittagszeit hier, gab  es auch Wiener Würstel mit Kren und einem himmlischen Senf.
















Der siebte Kaffeehaushimmel aber ist auch im Central die Kuchentheke. Hier gibt es z.B. jenen berühmten Apfelstrudel, dessen Teig so dünn ist, dass man nach dem Ausrollen und vor dem Backen die Zeitung hindurchlesen kann. Mit einer Füllung, die nach Zimt und Nelken, Rosinen - und natürlich Äpfeln schmeckt, das Ganze evtl. noch warm (riecht nach Bratäpfeln, ein Kick vor allem im Winter) und übergossen mit heißen Vanillesoße, mit Puderzucker und einem Klacks Schlagobers ober drauf: Kann denn so eine Gabe Gottes Sünde sein? Auch wenn ich inzwischen mit einer Laktoseintoleranz geschlagen bin, die mir gewisse Rücksichten abverlangt, so etwas bleibt ein Kindertraum. Aber Gottlob kann man ja ausweichehn auf ebenso himmlische Kreationen mit Marzipan, Linzer Torte oder einfach einen Gugelhupf.

Im Café Demel müssen anscheinend strenge weibliche Cerberusse die Kuchentheke vor Dieben schützen. Man gibt sich hier extravagant und zugeknöpft, die Kuchenportionen sind z.T. mickrig, die Preise exorbitant. Das Demel hat jahrelang mit dem Hotel Sacher darum prozessiert, wer das Originalrezept hat und die bessere Torte backt.

Ganz reizvoll: im 1. Stock des Demel kann man den Bäckern bei ihrer Akkordarbeit zuschauen. Es kommt also nicht alles aus der Maschine: fein.


Heute darf der eine "echte Sachertorte" verkaufen, der andere "original Sachertorte". Ist mir schnutzpiepegal oder wurscht, wie die Wiener lieber sagen, aber natürlich wollten wir kosten. Die Torte fiel dann so klein aus, dass wir spontan Lust auf einen einfachen Vergleichstest bekamen:

Welche Sachertorte schmeckt den besser, die vom Demel oder die beim Sacher? Wir hielten im Notizbuch fest: Bei Demel war sie sehr, sehr süß und sonst nur etwas hart. Die Konfitüre drin schmeckte man kaum.

Also auf zu dem berühmten Hotel an der Oper, das der berühmtesten Schokoladentorte der Welt ihren Namen gab. Für die Lauferei waren wir ja hinreichend gestärkt, Grits neue Schuhe bewährten sich, und für einen zweiten Kaffee war der Nachmittag noch gut.

















Im Sacher war die Sachertorte eindeutig besser: nicht so übermäßig und nicht nur süß, sondern auch fruchtig, locker und mit einem Schokoladeüberzug, der nicht auf der Gabel abplatzte, sondern im Mund schmolz. Eine Freude war das, auch für den Ober, der uns gut gelaunt fotografierte, um das Ergebnis festzuhalten.
Ehrlich: Die Kellner in solchen Etablissements müssen einiges aushalten. Und nicht jeder gibt zum Ausgleich ein Trinkgeld wie wir. Das Sacher als Ganzes hat auf uns eher dunkel gewirkt, altbacken, ziemlich plüschig, aber mit einem Stich ins Scheinmoderne mit Teppichboden von der Stange etc. Das Besondere an diesem Haus ist außer der unmittelbaren Nachbarschgaft zur Oper das Personal: Eindeutig Service-Spezialisten mit oder ohne Wiener Schmäh, grundsolide, ehrlich, freundlich bis zum Abwinken und zurückhaltend obendrein.

Eine ganz andere Welt betritt man im Hawelka. Eingeklemmt in eine enge Seitengasse, die auch beim Fotografieren keine Totale erlaubt, ist dieses Cafe ein Haus fürs Spezielle für jedermann - eine Art Quadratur des Kreises.

Der alte Leopold Hawelka hatte einen biederen Sinn für Geschichte. Der Maler Adolf Frankel, der dieses Haus in der Dorotheengasse ebenfalls bewohnte, war ein Überlebender von Auschwitz-Birkenau und gewiss kein Rechter.

Überhaupt wirkt das Hawelka weniger wie ein Kaffeehaus und mehr wie eine Studentenkneipe. Maler, Filmleute, Literaten und Schauspieler haben sich an den Wänden verewigt bzw. stehen und hängen dort als Staffage eines Lebensgefühls zwischen Plakaten und Programmen. Bohéme (Böhmen) eben.

















Nur dass die "Studenten" auch nicht mehr so ganz taufrisch sind wie einst im Mai. Die älteren Semester überwiegen eindeutig (nicht nur auf diesem Bildausschnitt). Die schummerige Beleuchtung erfüllt die Bedingungen für die klassische Definition des Begriffs "deutsche Gemütlichkeit": Mangel an Platz, Licht und Luft. So fällt auch nicht weiter auf, wenn die Söhne des alten Hawelka (leider lebt er nicht mehr) weniger Geld für die Putzfrau ausgeben als ihr Vater. Es wirkt alles ein wenig schmuddelig und abgegriffen, aber die Preise sind fair und Speisen wie Getränke gut - daran ist nichts zu bemängeln. Nur eben ein ganz anderer Stil die "edlen" Häuser.

In Wien gibt es aber darüber hinaus auch noble Adressen im kalten Glanz von Glas und Stahl, wo man den Cappucchino auf Designermöbeln schlürft. Schlürft? Eher leise vor sich hin schluckt, schweigsam und eingeschüchtert. Es gibt bodenständige durchaus gastliche Durchschnittscafés wie das Diglas, das Sperl, das Schwarzenberg im gleichnamigen Palas am Ring, das hübsch restaurierte Sperl, oder das gemütliche Museumscafé bei der Secession. Ganz Wien ist voll davon, und sie machen einen großen Teil eines Charms aus. Aber ich wollte ja keinen Wiener Kaffeehausführer schreiben, sondern Eindrücke von meinen Lieblingscafés wiedergeben.



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