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Samstag, 21. April 2012

Schrei nach Freiheit - zum Tag des Buches


Zum internationalen Tag des Buches am Montag, 23., April, habe ich einen besonderen Buchtipp:

"Schrei nach Freiheit" von Samar Yazbek, Verlag Nagel und Kimche bei Hanser, München.

Nicht zufällig hat Rafik Schami ein Vorwort zu diesem Buch geschrieben. Der in Damaskus geborene Dichter hat hier seinenesgleichen entdeckt. Und er hat im arabischen Original die Romane von Samar Yazbek gelesen, die bei uns noch niemand kennt. Also hat er auch die Sprache erkannt, die diese Dichterin spricht. Es ist der Versuch, rettende, heilende, aber auch anklagende Worte zu finden, und ein kraftvoller Beleg für die therapeutische Kraft des Wortes zugleich. 
Dieses Buch ist ein erschütternder Bericht aus dem Inneren der syrischen Ravolution, aber es ist auch ein Tagebuch gegen die Angst. Die heißt "Schabbiha", und das sind gedungene Mörderbanden in Diensten des Assad-Clans: finstere Gestalten, die herhalten müssen für die Behauptung des Regimes, vom Ausland gesteuerte, bewaffnete Banden würden Unruhe stiften und syrische Zivilisten töten. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass es jedenfalls zum Teil Hisbollah-Kämpfer aus dem Libanon und Pastaran aus dem Iran sind: Gefangene, die kein Arabisch sprechen, persische Graffitti an Schauplätzen von Erschießungen.
Die Autorin gehört zur alawitischen Bekenntnisrichtung des Islams, der im Iran und bei der Hisbollah vorherrscht und dem auch die Assad-Clique in Syrien angehört. Da sie mit offenen Augen durchs Land fuhr und in den gepeinigten Städten mit den Opfern der maßlosen Gewalt sprach, ohne auf die Konfession zu achten, wurde sie von ihrer eigenen konservativen Familie als Verräterin abgestempelt und auf Flugblättern für vogelfrei erklärt. Sie hat sich nicht einschüchtrern lassen. Und hier ist ihr Zeugnis.
"Es stimmt nicht, dass der Tod, wenn er kommt, deine Augen haben wird" Es stimmt absolut nicht, dass der Wunsch nach Liebe und der Wunsch nach dem Tod einander gleichen. Vielleicjt gloeichen sich die beiden Wünsche in der Sehnsucht nach Auflösung. Die Gedanken der Menschen waren schon immer erhabener als ihre leibliche Existenz". So beginnt keine Reportage, keine Polemik, kein politischer Essay. So beginnt eine Augenzeugin zu sprechen, die Dichterin ist und der es die Sprache schier verschlägt angesichts der Barbarei, die sie mit ansehen muss. Vier Monate lang. Bis sie mit ihrer Tochter die Heimat verlässt, weil die vom Geheimdienst verfolgt wird. Lesen Sie selbst. Es ist kein Gutenachtbuch, aber ein not-wendiges Buch.
Die Autorin hat ihre Beobachtungen oft in einer geradezu poetischen Sprache der Trauer formuliert. Wenn ihr die Vorgänge nicht gerade vor Entsetzen buchstäblich die Sprache verschlugen. Entsetzlich Recht hat die Autorin auch, wenn sie (übrigens nur ein einziges Mal gegen Ende) vor der Ausreise aus Syrien schreibt: "Ich lasse meinen Zorn über die Intellektuellen zurück, die zum Töten schweigen, über ihre Feigheit und ihre Angst."

Dieses Buch ist eben keine neuerliche Beschimpfung von Assad (obwohl ich mich frage, warum man da etwas gegen haben sollte); es ist vielmehr die Art genauer Beobachtung, wie sie durch Twitter oder YoTube-Filmchen allein nicht möglich ist: Gespräche mit Dutzenden von Aktivisten, Opfern, Offizieren, Soldaten, Deserteuzren, die der Autorin ihre Geschichten erzählen. Beschreibungen, wie die Todesschwadronen aussehen, die wohl z.T. aus iranischen Pastaran oder libanesischen Hisbollah-Kämpfern bestehen, wie sie zu Armee und Geheimdiensten stehen, wie das Regime ihre perfide Arbeitsteilung organisiert und wie sich eine wirklich tapfere Opposition konspirativ weiterbildet und diesen Banditen meist trotz allem einen Schritt voraus ist - davon kann man eine Menge lernen. Dazu Spannende Reportagen über Taxifahrten in verbotenes Gebiet voller Checkpoints zeigen weit mehr als alle Fernsehbilder von jenseits der türkischen Grenze.

Die Autorin wirft dem Westen kein Schweigen vor, sondern höchstens Feigheit und mangelnde Konsequenz in einer Diplomatie, die mit ausgewiesenen Massenmördern "Dialoge" führt und sich dabei nach Streich und Faden verarschen lässt. Nichts gegen Beobachter: aber während all dieser seit Monaten andauernden scheinheiligen Manöver sterben jeden Tag Menschen. Aus dieser Innensicht der Autorin darf man auch keine Dialogbereitschaft erwarten. Die Autorin erwähnt dennioch ausdrücklich die Solidarität Frankreichs und der USA, die das syrische Volk bei seinem Weg zum demokratischen Wandel unterstützen wollen. Und wir sollten wieder mal in aller Solidarität schweigen?! 


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