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Samstag, 12. März 2011

Eine Pianistin? - Ein Medium! Alice Sara Ott

Hier hat sie beim Signieren nach dem Konzert gerade eine Freundin entdeckt und zeigt sich gerührt. Alice Sara Ott ist überhaupt eine Frau zum Knuddeln. Gestern Abend spielte sie in der Stuttgarter Liederhalle ein Konzert mit den Wiener Symphonikern, das wahrhaft umwerfend war. Umwerfender als meine Digitalkamera, deren Objektiv zu lichtschwach ist, um festzuhalten, wie sie auf der Bühne wirkte - und sei es auch nur beim Schlussapplaus. Auf dem Programm standen das Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur und der "Totentanz" von Franz Liszt, nach der Pause folgte zum Chillen noch die Sinfonie Nr. 1 c-Moll von Johannes Brahms sowie als Zugaben die "Tritsch-Tratsch-Polka" von Johann Strauss (ich weiß nie, ob vom Vater, vom Sohn oder vom Heiligen Geist) und einer der berühmten Slawischen Tänze. Das musste sein mit einem Adam Fischer am Dirigentenpult, der schließlich in Budapest geboren ist.
Zurück zu Alice Sara Ott: 22 Jahre alt ist dieses zarte Persönchen mit einer japanischen Mutter und einem deutschen Vater (beide Musiker). Wer sich ein wenig angelesen hat, war gewarnt: Sie spielt nicht erst seit kurzem Liszt. Was dann aber auf der Bühne zu sehen und zu hören war, ist unglaublich. Abgesehen davon, dass ich noch keinen Mann im Smoking (oder bin Jeans) barfuß am Klavier erlebt habe, stellt dieses junge Huhn an Virtuosität und Charme bereits eine Hélène Grimaud in den Schatten. Sie hat das Gefühl einer Geisha und kann doch in die Tasten hauen wie ein Kerl. Ihr lange rotes Kleid, ohne das der Barfuß-Auftritt leicht hätte peinlich werden können, verbarg nicht die Muskelarbeit, die hinter ihrem so leicht und anmutig, nicht im mindesten athletisch wirkenden Spiel steckt. Und für mich war das alles symbolisch für eine neue Freiheit der Performance, die derzeit viele junge Solistinnen in die Welt der klassischen Musik bringen.
Schon beim Klavierkonzert Nr. 1 von Liszt war aber noch etwas zu erkennen: Diese Frau ist nicht nur eine Pianistin, sie ist ein musikalisches Medium von unglaublicher Intensität. Die Musik - und jeder einzelne Musiker des großen Orchesters mit ihr, bis hin zum Dirigenten - scheint durch sie hindurch zu fließen. Sie nimmt alles auf und gibt es verändert, verzaubert weiter. Ihr Klavierspiel ist ein zweites Orchester, das im perfekt synchronisierten Gegenchor ein faszinierendes Frage- und Antwortspiel mit der Umgebung liefert. Wer dabei in ihr Gesicht schaut, sieht höchste Verzückung und schmerzhafte Hingabe, in jedem Fall aber völlige Versenkung und Konzentration bei gleichzeitig umfassender Präsenz. Anwesender, bestimmender, beglückender - weil dialogischer - habe ich in solcher befrackten Umgebung selten jemanden spielen gesehen. Das war eine Jam-Session! Fast zu schade für ein wie meistens eher steifes Stuttgarter Publikum, aus dem nur einzelne Bravos den allerdings mehr als höflichen, sehr starken und langen Applaus durchbrachen? - Nein, ich will nicht so sein. Stuttgart hat sich gefreut und hat´s bitter nötig.
Alica Sara Ott war auch nicht engherzig. Als Zugabe nach ihrem furiosen Liszt-Auftritt spielte sie das versonnene, poetische, manchmal melancholische Nocturne cis-Moll von Chopin.

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