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Donnerstag, 21. Oktober 2010

Wider hirnlose Jasager und Schönschwätzer

Barbara Ehrenreich: “Smile Or Die – Wie die 
Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“. 
Antje Kunstmann Verlag, München, 254 Seiten, 19,90 €.

Es stimmt, dass subjektive Faktoren wie Entschlossenheit entscheidend fürs Überleben sind und der einzelne Mensch manchmal über alptraumartige Widerstände triumphiert. Doch dass der Geist über die Materie siegt, ist kein Automatismus, und wer die Bedeutung schwieriger Umstände ignoriert – oder, schlimmer noch, sie auf die eigenen Gedanken zurückführt -, läuft Gefahr, in eine obszöne Selbstgefälligkeit zu verfallen wie sie die australische Autorin Rhonda Byrne angesichts des Tsunami von 2006 zum Ausdruck brachte. Sie berief sich auf das Gesetz der Anziehung und behauptete, solche Katastrophen passierten nur Menschen, die „auf derselben Wellenlänge sind wie das Ereignis“.

Diese Bilanz zieht Barbara Ehrenreich am Ende ihres Buches „Smile Or Die – Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“. Die erwähnte Rhonda Byrne ist übrigens ihre Lieblingsfeindin. Sie hat den quasi-religiösen Bestseller „The Secret“ – Das Geheimnis – über jenes angebliche Gesetz der Anziehung geschrieben, dem zufolge man sich etwas nur intensiv wünschen muss, um es zu bekommen.
Heerscharen von Motivationstrainern, Werbeagenturen und amerikanische Fernsehprediger arbeiten mit diesem süßen Gift und leben gut davon. Aber längst hat es auch die Chefetagen von Wirtschaft, Medizin und Politik erreicht. Positives Denken ist ja gut, doch wer hat nicht schon beobachtet, wie es in hirnlose Jasagerei, Schönreden und krankhaftes Verdrängen echter Probleme umschlägt?
Barbara Ehrenreich analysiert die Gründe dafür, beschreibt die Entstehung des Phänomens und liefert Argumente für die Verteidigung gegen eine gute Idee, die sich zur verlogenen Pest entwickelt hat. Die erfolgreiche amerikanische Journalistin ist gelernte Biologin, hat eine Krebserkrankung überwunden und weiß: Positive Gefühle waren wichtig dabei, aber geheilt wurde sie von Chirurgen. Schon bei der ersten Untersuchung fiel ihr auf, dass die Umkleidekabine mit Kitsch beklebt war:

Eine „Ode an die Mammographie“, eine Liste der zehn wichtigsten Dinge, die nur Frauen verstehen – zum Beispiel toller Klamotten und Wimpernzange, und direkt neben der Tür, unübersehbar, das Gedicht „Ich habe für dich gebetet“, umrankt von rosa Rosen.

Doch der Markt für solchen Unsinn ist riesig. Sektiererische Ideologie erlebte Ehrenreich auch in Selbsthilfegruppen und in Motivationsseminaren: Nicht genug damit, dass ihr von der aufgesetzten Fröhlichkeit Todgeweihter übel wurde, das positive Denken schuf Feindbilder.
Wer kritisch denkt und frustriert auf seine Entlassung oder ständige Misserfolge reagiert, wird ausgegrenzt, mundtot gemacht und gedemütigt. Dem sagt man, er sei negativ und selber schuld. Nur so ist zu erklären, dass die Geheimdienste vor dem 11. September 2001 kein Gehör fanden oder dass alle Warnungen vor der Finanzkrise 2008 ignoriert wurden:

Was war dieser Marktfundamentalismus anderes als aus dem Ruder gelaufenes positives Denken? Nach der unter Bush und in geringerem Maß ... auch unter Clinton vorherrschenden Ansicht bestand kein Grund zur Wachsamkeit oder Angst um die amerikanischen Finanzinstitute, denn der „Markt“ würde alles regeln.

Als Ursache für die Entgleisungen des positiven Denkens macht die Autorin den Calwinismus aus – und typisch amerikanische Verzerrungen davon. Sie setzen Glück mit Erfolg gleich und ersetzen die totale Abhängigkeit von Gottes Gnade durch den Glauben, der Wille allein mache alles möglich und jede Armut sei selbstverschuldet. Pseudowissenschaftliche Unterstützung kam durch einseitige Studien über psychosomatische Medizin, diverse Magnetfeldtheorien und die „positive Psychologie“ der so genannten „Christian Science“.
Diese Leute beten zwar nicht mehr, gehen aber mit pseudoreligiöser Inbrunst gegen Alkohol, Tabak, Kaffee und Sex vor – ein pervertiertes Überbleibsel calwinistischer Genussfeindlichkeit.
Ein wichtiges und trotzdem unterhaltsames Buch: Es geht mit Witz und Wut an gegen die geisttötende Tyrannei kollektivier, fröhlicher, aber eben irrationaler Sorglosigkeit in Krisenzeiten. Wer etwas verändern will, muss anpacken und nicht im Chor jubeln: Alles wird gut!


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