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Freitag, 20. März 2009

Neues von José Cura

Vielseitigkeit ist eine verkannte Stärke des Tenors
Im Mai vergangenen Jahres hat Achim Thorwald, der Intendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, eine engere Zusammenarbeit mit dem argentinischen Tenor José Cura verkündet. Am 15. März war es so weit: Cura sang in einer Galavorstellung die Hauptrolle der Oper „Andrea Chenier“ von Umberto Giordano, und wie schon voriges Jahr bei Curas „Carmen“-Gala dirigiert Jacques Delacôte. Am Ende gabs stehende Ovationen für die ganze Truppe, vor allem aber für Cura. Zu recht (und nicht nur weil der André Chenier so ziemlich die schwerste Monsterrolle der Opernliteratur für Tenöre ist, für die es derzeit sonst niemanden gibt).Auch für den Karlsruher Opernball am 9. Mai hat sich Cura angesagt. Aber das Publikum soll den Sänger auch als Dirigenten und Regisseur erleben.

„Samson und Dalila“ mit Olga Borodiná war vor zehn Jahren seine erste Gesamtaufnahme. Im Herbst 2010 soll José Cura diese Oper von Camille Saint-Saens in Karlsruhe inszenieren, das Bühnenbild entwerfen und bei der Premiere auch die männliche Hauptrolle singen. Ist das noch professionell?

Cura: Ich glaube, der Begriff „Profi“ ist etwas bescheidener als der Begriff „Künstler“. Das sage ich mit allem Respekt, denn ein Profi zu sein ist kein Makel, keine Erbsünde. Es ist eine demütige Beschränkung auf die Grenzen, die uns das Leben aufzeigt: Bis zu dem und dem Punkt kann ich etwas, und ich versuche, das zu beherrschen. Das ist sehr gut, nicht mehr und nicht weniger. Ein Künstler dagegen riskiert letzten Endes einfach mehr. Nur solche Leute verändern etwas.

José Cura ist 1962 in Argentinien geboren und in einem mediterranen Ambiente aufgewachsen: der Vater libanesischer Herkunft, die Mutter halb Italienerin, halb Spanierin. Er ging seinen Mitmenschen aber nicht als früher Badezimmer-Caruso auf die Nerven, sondern besuchte die Kunstschule der staatlichen Universität in seiner Heimatstadt Rosario. Das heißt, er absolvierte die Schauspielschule, nahm intensiv Gitarrenunterricht und studierte beileibe nicht nur Gesang. Vielseitigkeit aber steht bei vielen Kritikern unter Generalverdacht.

Cura: Böse Zungen sagen, dass ich dirigiere, weil ich als Tenor keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Aber ich mache verschiedene Sachen, weil sie mich interessieren. Ich bin neugierig. Außerdem ist meine Karriere umgekehrt verlaufen. Ich habe als Chorleiter angefangen und wurde erst mit 30 Sänger. Von der Ausbildung her bin ich Dirigent und Komponist. Ich habe auch bei kleineren Stücken Regie geführt. Zu singen begonnen habe ich erst viel später.

Mit 23 ging José Cura als Stipendiat an die Kunstschule des Teatro Colón in Buenos Aires. Und nach einigen Jahren im Opernchor wollte er mehr. 1991 zog er mit seiner Familie nach Europa – erst nach Verona, dann Paris und schließlich Madrid. Er gab Konzerte, experimentierte und debütierte an ziemlich vielen Bühnen.
1994 gewann er den „Operalia“-Wettbewerb von Plácido Domingo. Seine erste CD „Puccini Arias“, bei deren Aufnahme Domingo dirigierte, zeigt, warum. Durch den Telekom-Werbespot von Paul Potts hat jeder die Arie "Nessun dorma" aus "Turandot" im Kopf. Aber man sollte erst mal hören, was Cura damit macht!

Als Otello, als Don José in „Carmen“ oder Samson, der Krieger in Liebesketten, ist er in seinem Element. Das sind Rollen, die den Mann als Macho zeigen, grundlos oder begründet eifersüchtig, abhängig von seinen Hormonen und gefangen in den Widersprüchen starker Gefühle.
Seine Stimme hat mit den Jahren an Volumen gewonnen. So gelingt ihm auch bei leisen Tönen Ausdrucksstärke. Schöne Beispiele dafür finden sich auf der CD „Anhelo“ – Sehnsucht – aus dem Jahr 1998. Da singt er lauter Lieder argentinischer Komponisten, viele nach Texten von Pablo Neruda. Dabei sind auch Aufnahmen des Komponisten José Cura.
Die Met in New York, die Wiener Staatsoper, die Mailänder Scala, London, Paris, Zürich, Berlin, Stuttgart: Plötzlich wollten ihn alle haben, und er konnte nicht nein sagen. Er reiste um die Welt und sang – auch Rollen, die er heute ablehnt. Es ging ihm ähnlich wie Rolando Villazón durch den Hype mit Anna Netrebko, meint Cura selbstkritisch.

Cura: Rolando ist wohl genau das passiert. Gottseidank hat er seine Lektion gelernt, hat sich erholt und ist wieder da. Und das ist gut, denn er hat ein großartiges Talent und eine sehr schöne Stimme. Mit Rolando ging alles zu schnell, und das hat ihm geschadet.
Im Jahr 2000, als auch seine Plattenfirma „Erato“ eingestellt wurde, legte José Cura alles Geschäftliche in die Hände seiner Frau und besann sich auf seine Vielseitigkeit. Gleichzeitig wurde er wählerischer und lernte, auf Kompromisse zu verzichten.
Inzwischen ist er Erster Gastdirigent der Sinfonia Varsovia, gibt Meisterkurse, fotografiert, macht Bücher und hat ein eigenes CD-Label. Manche Künstler, sagt Cura, zum Beispiel Rolando Villazón, sind wie Kristallvasen: strahlend, transparent und zerbrechlich.

Cura: Andere, wie zum Beispiel ich, sind eher Gefäße aus Holz. Die sind härter und halten mehr aus. Mir ist das Gleiche passiert wie Rolando, aber ich habe ein breiterer Kreuz. Ich bin körperlich kräftiger gebaut und anscheinend auch stimmlich widerstandsfähiger. Ich habe diese Feuerprobe durchgestanden. Das überlebst du, um davon zu erzählen, und jetzt bin ich da, wo ich bin, zum Glück.

Sicher nicht zufällig hat Cura einen weiblichen Fan-Club. Verständlich, der Mann mit den schwarzen Locken und dem grau melierten Bart sieht ja wirklich gut aus. Und seinen Resonanzkörper trainiert er auch im Fitness-Studio. Für José Cura ist Oper nicht nur eine musikalische Disziplin, sondern auch intellektuelle Herausforderung, Theaterspiel und Sport. Dementsprechend bewegt er sich auf der Bühne. Er liebt die schwitzenden, maßlosen, drastisch lebenden Charaktere, die nackten Gefühle ohne Sicherheitsnetz, hat er einmal gesagt.
Der sinnliche Kontakt zum Publikum ist seine Droge: etwas, das sich eben nicht downloaden lässt. Dafür hinterfragt er Klischees, wechselt Perspektiven, probiert immer wieder etwas Neues aus.

Cura: Die Leute erwarten das oder hoffen darauf. Der Künstler soll Maßstäbe setzen, darum geht’s doch. Sonst könnten wir so weiter machen wie vor 150 Jahren: Nicht gut, nicht schlecht, aber eben wie vor 150 Jahren. Das heißt: neue Standards zu schaffen ist Teil unserer Aufgabe.

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