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Freitag, 20. März 2009

Fröhliche Untergeher und zerstrittene Minderheiten

Neue Reportagen von Karl-Markus Gauß:

Die fröhlichen Untergeher von Roana - Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen. Zsolnay Verlag, Wien, 158 S., 17,90 €

Es ist schon seltsam, was für wunderbare Bücher keiner meiner Kollegen Literaturkritiker für so besprechenswert hält, dass er mir dafür fünf Minuten Sendezeit gäbe. Über Gauß habe ich schon mehrfach geschrieben; man könnte also wissen, was für ein großartiger Beobachter und Autor das ist. Aber oft scheint eben der letzte verlogene Schund von Peter Handke wichtiger, bloß weil er neu ist. Also an dieser Stelle wenigstens: auf zu neuen Minderheiten.

Etwas gewagt ist die These von Gauß ja schon, nach der die Assyrer oder Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche oder ethnisch definiert Syriaken in Schweden eine besondere Heimat gefunden hätten. Tatsächlich flohen sie (und fliehen immer noch) aus dem Grenzgebiet zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak in alle Länder, die sie aufzunehmen bereit sind. Erst gestern verkündeten unsere Medien, dass es 120 aus dem Irak ins Aufnahmelager Friedland gesachafft haben und von Ihresgleichen herzlich begrüßt wurden. Ich sah Fernsehbilder von weinenden Menschen, die sich umarmen, und einen hilflosen Lagerverwalter, der seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, sie würden gut integriert.

Im Zweifel werden sie ins Ghetto zu Ihresgleichen ziehen. Und das hat gute wie schlechte Seiten, wie jedes Ghetto. Es gibt Heimat und grenzt zugleich aus. Dass die irakischen Assyrer derzeit von muslimischen Fanatikern gejagt und umgebracht werden, ist bekannt. Dass die türkischen inzwischen weniger Opfer türkischer Vertreibung sind als einer Landnahme von Kurden, die als potenzielle PKK-Symtathisanten von der türkischen Armee aus ihren anatolischen Dörfern vertrieben wurden und sich nun aus "Dorfschützer" progromtechnisch an den christlichen Assyrern austoben, beschreibt Gauß in gewohnt differenzierter und kluger Weise. Er beschreibt auch die immanenten orientalischen Traditionalismen bis hin zu Zwangsheirat und Blutrache, die den Assyrern keineswegs fremd sind, nur weil sie in christliche Kirchen gehen.

Dieses Elend habe ich schon vor Jahren in Heilbronn persönlich erlebt, als ein syrisch-orthodoxer Pope flammende Reden des Protestes gegen das etwas schwule Theaterstück "Corpus Christi" hielt. Peinlich, wie unaufgeklärt und intolerant diese Sippschaft daherkam, die doch von unseren Steuern und unserer Toleranz lebt. Und noch peinlicher, als nur wenige Monate später derselbe Pope wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt wurde. Was für eine Einstellung zum "Patriarchat" verbirgt sich da hinter Asylanträgen! Es ehrt die aus der zweiten und dritten Generation, dass sie anders denken als die Alten. Nur ist daher die Gemeinde untereinander heillos zerstritten - bis hin zu Mordanschlägen. Wenig christlich das.

Die Reise zu den Zimbern möchte ich eines Tages auch machen: Das sind vielleicht wirklich übrig Gebliebene von den berüchtigten "Kimbern und Teutonen", die 105 v.Chr. der Schrecken Roms wurden und sich heute noch in einigen wenigen Hochtälern bei Verona finden. Bevor sie ganz aussterben, möchte ich ihren Homor kennen lernen, ihr seltsames Althochddeutsch aufnehmen, ihre Lieder hören und ihre Geschichte kennen lernen. Anscheinend gibt es noch zwei-drei Dörfer mit vielleicht 500 Menschen, deren Alltagssprache Germanisten wie mir bislang entgangen ist. Schande! Spannung! Solche Entdeckungen macht er, der Karl-Markus Gauß.

"An den Karaimen bin ich aber gescheitert", schreibt er mit herrlichem Understatement bei dieser litauischen Minderheit, die teils christliche, teils jüdische, teils offenbar muslimische Wurzeln hat und sehr unabhängig sein will. Seine Recherche fördert doch ungeheuer viel zu Tage über diese aussterbende ethnische Winzigkeit, die als Palastgarde des Großfürsten von der Krim nach Litauen kam und sich so gut mit den Krimtataren verstand. Heute allerdings ist nicht einmal mehr ihr Sekretariat zu finden. Gauß schreibt sehr zum Schmunzeln über ein Kulturzentrum, das E-Mails aus einer Briefkastenfirma in einem Abbruchhaus verschickt. Wahrscheinlich wissen ihre Mitglieder weniger über sich selbst dieser liebevolle Sammler von Minderheiten in Europa.

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