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Sonntag, 4. Mai 2008

Reisen mit Büchern

SWR2 Buchkritik
Brita Steinwendtner: „Jeder Ort hat seinen Traum. Dichterlandschaften“.
Haymon Verlag, Innsbruck, 278 S., 19,90 €

Der englische Autor Bruce Chatwin starb 1989 an Aids. Sein Grab auf der Peloponnes ist einer der Orte, die Brita Steinwendtner in ihrem Buch beschreibt: „Jeder Ort hat seinen Traum. Dichterlandschaften“. Dem Leben und Werk Chatwins spürt die Salzburger Autorin dort nach, wo er zuweilen ausruhte und schrieb bei einem Freund, der ihn zuletzt auch pflegte. Und wo seine Asche begraben ist: am Nikolaus-Kirchlein von Chora. Immer dabei, auch in den Texten, als Gesprächspartner oder kritisches Korrektiv: Ihr Mann, der Fotograf Wolf Steinwendtner.

Muss man solche Details kennen? W. findet sie überflüssig. Ich möchte alles wissen, stelle es in zuneigende Distanz, weise den Vorwurf des Voyeurismus zurück und bin dennoch unsicher, wo die Grenze verläuft... Es ist ein verzauberter Flecken Erde. Die kleine byzantinische Kirche ist nur über einen verborgenen Weg zu finden. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert. Niedrig und erdfarben liegt sie wie mit dem Grund verwachsen da, sich aufrecht haltend vor der Welt. Sie steht auf einem Felsvorsprung, das Land wie ein Fächer zu Füßen gelegt. Das Gotteshaus ist versperrt, der Besitzer lebt in Athen. Besitzen kann man hier nichts.

Solche Sätze sind typisch dafür, wie Brita Steinwendtner Recherche, Beobachtung und Reflexion verknüpft. Sie schreibt über 13 viel gereiste Autoren des 20. Jahrhunderts, bis auf Bruce Chatwin Österreicher und Deutsche. Auf der Suche nach dem genius loci besucht sie die meisten zu Hause. Zum Beispiel in Italien. Dorthin zog es etwa Paul Wühr und Hartmut Lange. Der schwäbische Autor Veit Heinichen lebt und schreibt zwischen Duino und Triest. In dieser Region wo die Menschen in 100 Jahren sieben Mal die Nationalität und das politische System wechseln mussten, entstehen die Heinichen-Krimis von großer atmosphärischer und historischer Dichte.

In Rom ging die Autorin dem Leben des Prager Exilanten und Expressionisten Johannes Urzidil nach, gestorben 1970 im Österreichischen Kulturinstitut, begraben auf dem Campo Santo Teutonico in den Gärten des Vatikans.

Es ist ein stiller Ort, beschützt und eingeschüchtert von den fast fensterlosen, riesigen Flanken des Petersdoms, von den Türmen und fernen Kuppeln, die zum Himmel schweben. Hohe Pinien im Geviert, Palme, Blüten, süßer Duft von irgendwo. Grabplatten, Inschriften, Kreuze, hingeduckte Kirche, Bruderschaftsgebäude... Auf dem menschenübersäten Platz vor St. Peter liest Papst Benedikt XVI eine Messe, vervielfacht auf riesigen Videowalls. Gesang dringt her über die Kolonnaden, Mauern und Schweizer Garden, später die Chöre mit den Rufen nach Be-ne-detto, immer wieder Be-ne-detto. Der Rhythmus hat eine Silbe mehr als andere Heil-Rufe, die uns immer noch im Ohr klingen.

Vom Grab eines Dichters, den sie gerade entdeckt, blickt die Autorin auf die gespaltene Geschichte der ewigen Stadt, die so schön ist, so vital und so widersprüchlich. In Rom, wo Lebensfreude und Tod so nah beieinander liegen wie selten, lebte und starb auch Ingeborg Bachmann. Jeder dieser Essays stößt den Leser auf ein Stück Zuhause und Identität im Fremden.

Dem ersten, mediterranen Teil des Buches folgt ein alpiner. Da beschreibt Brita Steinwendtner das Wien von Ilse Aichinger, das Refugium des Dramatikers Peter Turrini im Weinviertel an der tschechischen Grenze, die Heimat der Islamwissenschaftlerin und Dichterin Barbara Frischmuth im Salzburger Land. Aus den Feriengebieten Österreichs und der Schweiz legt sie Fährten in alle Welt, mit so unterschiedlichen Autoren wie Christoph Ransmayr, Raoul Schrott oder Wolfgang Hildesheimer.
Steinwendtner öffnet eine neue Sicht auf Dichter, die jeder zu kennen glaubt, etwa Peter Handke in Paris und Salzburg. Sie öffnet den Blick für die Poesie von Namen und Orten, Tiere und Pflanzen inklusive. Poetisch weist sie auf die Faszination von Sprachen und Geschichten in bekannten Landschaften, durch die wir fast alle schon gefahren sind, ohne inne zu halten. Sie macht Lust auf eigene Entdeckungen. Mit diesem Buch werde ich noch viel unterwegs sein.

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